„Generation Happy End” – Theater bis zum Umfallen
Freitag, 23. April 2010 | Text: Betsy de Torres | Bild: Dirk Gebhardt
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Jeder der sich die Fähigkeit erhält, Schönes zu entdecken, wird nie alt werden.(Franz Kafka) Versteckt in einem Hinterhof im Süden Kölns, der Schokoladenduft der ehemaligen Fabrik Oriol ist längst vergangen und ersetzt durch die Düfte des Theaters: Schweiß, Aufregung und Spannung. Wir befinden uns im Freien Werkstatt Theater Kölns. Ich steige die Steintreppen hoch (seit letztem Jahr gibt es einen Aufzug, große Premiere, andere Geschichte) und befinde mich in einem von Licht durchflutetem Raum, aufgeregtes Stimmgewirr. Begeisterung liegt in der Luft. Heute wird ein neues Stück erarbeitet. Ich schließe die Augen und versuche die Stimmen einem Alter zuzuordnen, irgendwo zwischen 30 und 50 Jahren?
32 Jahre Kultur im Hinterhof
Tatsächlich befinde ich mich beim Alten-Theater des Freien Werkstatt Theaters Köln, gegründet 1979. Das Ensemble zählt 27 Mitglieder im Alter zwischen 63 und 93 Jahren. Unter der Leitung von Ingrid Berzau und Dieter Scholz: Es gibt viele Alten-Theater und alle denken, sie hätten’s erfunden. Aber erfunden haben wir es! Dieter Scholz, Gründer des FWT: Seit 30 Jahren gibt es das Alten-Theater. Wir sind das erste Alten-Theater in der Bundesrepublik, als Profi-Theater, das mit Nicht-Profis kontinuierlich Theater macht. Die Stücke sind aus den Ensemble heraus mit uns zusammen entstanden.
„Nicht lahmarschiger als bei 20-Jährigen“
Ingrid Berzau: Ich bin erst seit 28 Jahren dabei. Ich hatte die Chance in diese Arbeit einzusteigen, weil eine Kollegin weg engagiert wurde. So bin ich wie die Jungfrau zum Kinde gekommen!“Dieter Scholz: Es sind nicht nur die persönlichen Geschichten, sondern auch die Ausdrückmöglichkeiten von Gesichtern die Alter ausdrücken. Der Körper, das Temperament, das oft durchaus nicht lahmarschiger ist als bei 20-Jährigen. Das Kapital des Alters, künstlerisch geformt und durchaus etwas tiefgründig, möglichst für alle Generation zu präsentieren“.
Theater des Lebens
Die gemeinsam entwickelten Stücke basieren auf vielen Jahren Lebenserfahrung. Ich sitze mit im Halbkreis, vorne stehen die Leiter Berzau und Scholz. Es wird ein Thema vorgeschlagen: Wie sieht die Jugend aus ? Und dann gehts los. Einer nach dem anderen stehen sie auf und beginnen zu erzählen…
Georg, 82 Jahre: …volle Haare, glatte Haut, knackig!“Rosemarie, 78 Jahre: Ich werde von meinen Enkeln sexy Ömmche genannt!“Georg, 82 Jahre: „ volle Lippen, feste Brüste, ohne körperliche Leiden: Ein Schmelzen der Jugendlichkeit. Wir sind geschmolzen!“Selbsbewusst, ironisch und lustig machen Sie weiter.
Dieter Scholz: Was heißt Mut im Alter ?
Von einer Seite des Raumes kommt Einen jungen Mann zu nehmen und mutig alt zu werden!Von der anderen Seite des Raumes kommt: Ich nehme mir einen Archäologen!Alle lachen. Es ist eine ausgelassene Stimmung, während sie das Erzählte aufnehmen und sammeln fürs nächste Theaterstück.
Schauspiel als Leben und als Lebenstraum
Ingrid Berzau Wir nehmen auf, entwickeln ein Stück und dramatisieren es. Ein sehr spannender und komplexer Prozess“. Die Theaterstücke spiegeln die Lebens und Zeitgeschichte der Beteiligten wieder, sie sind selbstironisch, sinnesfroh, nachdenklich und witzig, ehrlich aus dem Leben geschrieben eben. Mittwochs trainieren, improvisieren und inszenieren sie.
Ulrich, 69 Jahre alt: Ich habe 40 Jahre lang im Dienstleistungsbereich gearbeitet und damit zwangsläufig 40 Jahre lang geschauspielert. Mit Beginn des Ruhestands kam ich zum FWT.“
Rosemarie, 78 Jahre: Ich wollte schon als Kind immer schauspielern, aber meine Eltern wollten, dass ich was Anständiges lerne. Später kam ich zum Alten-Theater. Der Mittwoch ist für mich das Highlight der Woche! „
Preisgekrönte Theaterarbeit
1999 konzipierte und veranstaltete das FWT das erste Welt-Altentheater-Festival. In den Jahren 2001 bis 2004 führte das FWT das NRW-weite Modellprojekt Alter im Rampenlicht durch. In der Reihe von Auszeichnungen und Preisen für das FWT Altentheater erhielt es zuletzt für seine professionelle, kontinuierliche und originelle Theaterarbeit den Hauptpreis des Otto-Mühlschlegen-Preises 2008 ZUKUNFT ALTER der Robert-Bosch-Stiftung.
Der Zuschauer kann sich auf kluge, lustige, lyrische, zum Teil einleuchtende Texte und Geschichten gefasst machen. Gut inszeniert von frechen Regisseuren und glaubhaft gespielt von selbstbewussten Darstellern. Das Ensemble und ihre Theaterstücke: WIR, DIE ALTEN!“, „EWIG JUNG“ und „ALLE TAGE SONNTAG“ begeisterten nicht nur im Theaterhaus in der Südstadt sondern auch bei zahlreichen Gastspielen.
Bühne frei für die Alten!
(Foto: Meyer Originals)
Alter auf der Bühne ist gesamtgesellschaftlich bedeutsam und notwendig , um die Zukunft gemeinsam auf der Grundlage eines Schatzes von Erlebnissen und Erfahrungen und dem daraus gewachsenen Bezug zur Gegenwart zu gestalten (aus dem Flyer des Alten-Theaters) Ursula, 75 Jahre: Ich halte mich für NICHT alt. Manchmal zwickt es am Knie, aber wenn es wieder weg ist, denke ich nicht mehr dran.“
Theater bis zum Umfallen
Und wenn sie schauspielern, scheinen sie ihre Wehwehchen zu vergessen. Die Augen sprühen vor Vitalität, sie sind konzentriert, ihrer Kreativität sind keine Altersgrenzen gesetzt und es macht unheimlich viel Spaß zu sehen mit welcher Inbrunst sie dies tun.Dieter Scholz: Ich glaube es gibt kein Theater, das ein Ensemble 30 Jahre kontinuierlich zusammenhält. Wenn man kommt, bleibt man, wenn man weg geht, stirbt man weg – und wir (Dieter Scholz und Ingrid Berzau, Anm. d. Redaktion), wir bleiben sowieso. Wir machen seit 30 Jahren mit den Alten-Theater und wir machen noch weiter, weil wir bis jetzt erst ein kleines Quantum geklärt haben…
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