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Kultur

„Glamour ist nicht so mein Ding“

Sonntag, 5. Mai 2013 | Text: Gastbeitrag | Bild: Tamara Soliz

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Das Atelier in den ausgebauten Kellerräumen des zweiten Hinterhofes in der Alteburger Straße 40 direkt unter dem seit den 80er-Jahren existierenden Studio ist die perfekte Kulisse für die Gemeinschaftsausstellung der Künstler Christian Hein (Malerei & Objekte) und des Fotografen Wolfgang Burat. „Dort sind etliche SPEX-Cover entstanden“, erzählt der 1955 in Osnabrück geborene Mitgründer, Mitherausgeber und stilprägende Fotograf des legendären deutschen Magazins für Popkultur.

Die Ausstellung fand im Rahmen der „Köln Süd Offen“ statt, einer Veranstaltungsreihe, bei der 54 Kölner Südstadtkünstler ihre Ateliers für neugierige Besucher und Kunstinteressierte öffneten. In diesem Jahr kooperierte diese erstmalig mit der „kunstroute ehrenfeld“, so dass den Kölner Kunstfreunden am 4. und 5. Mai ein Kunstangebot von 65 offenen Ateliers und 131 beteiligten Künstlern in zwei beliebten Stadteilen zur Auswahl stand.

Die 80er-Jahre und Zeitgenössisches im 2. Hinterhof
„Das Menschenbild“ ist das verbindende Element, das dem Experiment, verschiedene Dynamiken gegenüber zu stellen, zugrunde liegt. Bei Christian Hein bunt und zeitgenössisch, Subkulturen der 80er Jahre in schwarz und weiß bei Wolfgang Burat.

 

Wolfgang Burat lebt seit den Neuzigern in der Kölner Südstadt. Da die Geschichte der heute nach Berlin umgezogenen SPEX aber zu großen Teilen Kölner Südstadtgeschichte ist, da diese Ihre Anfänge in den Stationen Severinstraße, Mühlengasse und Zugweg hatte, reichen seine Bezüge zur Südstadt bis in das Gründungsjahr 1980. Aus seiner zehnjährigen Schaffenszeit bei der SPEX sammelte sich ein analoges Material von über 100.000 Schwarz-Weiß-Bildern von Künstlern und  Bands wie z.B. Paul Weller, Bauhaus, Blixa Bargeld, Fad Gadget, Talking Heads, Dead Kennedys, Freiwillige Selbstkontrolle, Nick Cave, The Ramones, Jonathan Richman und die All-Girl-Band Malaria! In anderen Worten: Bands, die die unterschiedlichen Strömungen der Untergrund-Musik der 80er prägten – und nicht wenige davon zählten zu den „Helden unserer Jugend“. Aber auch Vertreter anderer Musikstile wie Archie Shepp oder popkulturelle Phänomene wie die britische Band „Bananarama“, die mit Ihrem Hit „Venus“ einen Prototypus für spätere „Girlgroups“ wie die „Spice Girls“ lieferten, gehören in diese Dekade.

Die Fotos vermitteln den Charme der Authentizität einer Zeit, die noch originäre Quellen lieferte, bevor die Kultur des Mixens und Samplens in den 1990ern Einzug hielt. Und sie transportieren das Lebensgefühl der 80er Jahre, die nicht oder nur am Rande in den grellen und geschmacklosen Fassaden der Themenshows des Privatfernsehens auftauchen. Der Münchener Autor und Pop-Kritiker Karl Bruckmair beschreibt diese Zeit in Wolfgang Burats 2006 im Parthas Verlag erschienenen Buch „Keine Atempause. Musikerfotos der Achtziger“ als „ein ungemein neugieriges, lebenslustiges und selbstbewusstes Jahrzent.“ Der Slogan „No Future“ hieß einfach, „erst einmal keine Verantwortung für die uns angebotenen Zukünfte übernehmen zu wollen – der Rest würde sich dann schon finden.“

Keine Verklärung durch den Meister des entfesselten Blitzes
Wolfgang Burat selbst kommentiert die Achtziger viel nüchterner: „Eine interessante Zeit. Aber jede Zeit ist interessant.“ Auch hinsichtlich der Ästhetik und der Stylistik dieser Epoche versucht er gar nicht erst in Verklärung und falsche Nostalgie zu verfallen: „Die Schwarz-Weiß-Fotografien hatten nur zweitrangig etwas mit gewollter Ästhetik zu tun. Das hatte schlichtweg finanzielle Gründe, sie waren einfach günstiger, und die Abzüge konnten von uns selbst in Handarbeit produziert werden“. Es ist auch nicht Wolfgang Burat selbst, sondern ein anwesender Besucher, der in diesen Zeiten selbst auch fotografierte, der mir bewundernd erzählte, dass Burat damals der „Meister des entfesselten Blitzes“ war.  Diese Technik, bei der das Blitzgerät in der linken und die Fotokamera in der rechten Hand beherrscht werden muss, kam in Burats Fotografien sehr häufig zum Einsatz. Eines seiner Lieblingsfotos ist ein ungestelltes „Anti-Glamour-Foto“ der frühen „Depeche Mode“. „Niemand würde jemand denken, dass das „Depeche Mode“ sind. Ohne Glamour. Glamour ist nicht so mein Ding.“ Das war einer der Gründe warum er sich in den 1990ern den Themen „Der Prozess Arbeit“ und „Die Struktur der Firmen“ zugewandt hatte. Ein anderer war das leidige Thema „Geldverdienen“. Heute würde er sich nicht mehr als Fotograf, sondern als „Mediaworker“ bezeichnen, da er nun cross-medial arbeite.

 

Das vielleicht doch mehr von den 80er-Jahren in Wolfgang Burat stecken, als er selber zugeben möchte, zeigt sein Vorhaben, weiter an seinem Archiv zu arbeiten. Sowohl an der Ausarbeitung des analogen Materials als auch an der Digitalisierung der Bilder. Aktuell sind etwa 1.000 Aufnahmen digitalisiert, darunter befinden sich bereits die meisten „Alpha-Motive“, die zum Teil bereits für seine Münchener Ausstellung „NO TEARS. Photos 1980-1990“ verwendet wurden. Für die Aufbereitung des restlichen Bildmaterials aus zehn Jahren Arbeit bei der SPEX, hat er sich das Labor im Atelier eingerichtet. „Es ist nicht so, dass ich damit reich werde, aber es ist ein Bestandteil meiner Existenz geworden. Ohne, dass ich das wollte“, kommentiert Wolfgang Burat. Na also, das klingt doch schon wieder ganz nach der Kreativität der 80er-Jahre.

Das alchimistische Versprechen der Kunst
Der zweite Teil der Ausstellung zeigte Bilder und Objekte von Christian Hein. Der 1967 in Kösching geborene Künstler nimmt seit 2008 an der Veranstaltung „Köln Süd Offen!“ teil und umgeht meine Frage nach den kommerziellen Aspekten der Veranstaltung charmant mit einer alternativen  Motivationsbegründung: „Das ist mein Kulturbeitrag für die Südstadt!“ Auch Christian Heins Thema sind die „Menschen“. „Ich male das, was mir im Alltag begegnet“, präzisiert er. Es muss „Klick“ machen, eine Alltagssituation oder eine bestimmte Anrodnung im Blickfeld seiner Lebenswelt muss etwas in Ihm auslösen. Ist sein intuitives Interesse geweckt, fotografiert er das Objekt seiner Begierde, um es später in seine Bilder umzusetzen und „zu verstehen“, wie er das verspätete Deuten und die Erkenntnisse der zweiten und dritten Blicke auf das Objekt, bezeichnet.

 

Alltagssituationen der Südstadt in Stoff & Öl
Objekte findet er häufig in seiner nächsten Umgebung, wie z.B. ein verlassenes Büdchen auf der Teutoburger Straße, das es heute nicht mehr gibt, oder die Aneinanderreihung von metallischen Abfallwägen vollgestopft mit bunten Obstkisten und Kartonage im Hof des Rewe-Ladens um die Ecke. „Als ich in der Bonner Straße 44 gewohnt habe, habe ich den Veedelszoch an Karneval beobachtet – und daraus ist dieses Bild entstanden“, erklärt er mir die Genese eines naturgemäß sehr breitformatigen Werkes. In diesem Sinne materialisieren Christian Heins Bilder visuelle Erinnerungen. Aber auch Augenblicke wie die Figuration einer französischen Familie mit afrikanischem Migrationshintergrund an einer Bushaltestelle, fotografiert nach einem Einkauf in einem Frankreichurlaub oder in seltenen Fällen auch die Vorlage eines Zeitungsbildes eines „Drohnen-Einsatzes“ lösten den Impuls zum Fotografieren aus. Das Spannende ist nicht der Schnappschuss selbst, sondern das, was man beim mehrmaligen Betrachten alles entdecken kann.

Handwerklich beginnt Hein seine Bilder mit einem Stoff oder einer Textur. Auch diese, zumeist gebrauchten Stoffe, findet er im Alltag, z.B. in Form von Kleidung, Sport- und Yogamatten, Kulturbeuteln, Badehosen, Tischtüchern, Sonnenschirmresten, Liegestuhlbezügen, Schaumstoffplatten oder Geldsäcken. Alles strukturell Interessante ist denkbar, auch „unsere alte Tagesdecke fand aus Versehen bereits Verwendung“, erzählt Hein, wie seine Materialsuche mitunter auch für häuslichen Unfrieden sorgte, da „meine Frau diese gar nicht ausmustern wollte.“ Nach der Auswahl der Textur erfolgt eine Grundierung, aber nur in dem Bereich, wo dann mit Ölfarbe gemalt wird. Christian Hein fasziniert die Räumlichkeit, die durch das Zusammenspiel von Stoffen und Gemaltem entsteht, wenn die Raumtiefe durch die Stoffe reduziert wird oder die Malerei in die Textur übergeht. In Extremfällen rastert der Stoff das ganze Bild ähnlich wie bei der Drucktechnik.

Mummifizierte Kakteen und der Mantel des Schweigens
Auch Heins Objekte verweisen, wie er lachend formuliert, auf „das alchimistische Versprechen der Kunst, aus Nichts, Etwas zu machen“. Dabei hält er ein getrocknetes, mummifiziertes Teil eines Kaktusses, welchen er aus einer USA-Reise mitbrachte, in den Händen. Ein anderes Objekt, ähnlich eines Setzkastens, setzt sich mit Gegenständen, die einem Ausfuhrverbot in den USA unterliegen, auseinander. Darunter befindet sich ein blutiges Stück Stoff, angeblich vom Anzug des ermordeten US-Präsidenten Abraham Lincoln und ein Kugelschreiber, mutmaßlich aus dem Büro des ehemaligen CIA-Direktors Turner. Welche Gegenstände nachgestellt und welche einen realen Hintergrund haben könnten, bleibt in diesem Gespräch offen und der Fantasie des Betrachters überlassen. Was in diesem Falle wohl auch am besten ist.

 

Frank Scharitsch

Der Autor ist Kommunikationswissenschaftler und zurzeit in einer Südstadt Grundschule tätig.

Mehr zum Thema:
Wolfgang Burat

„Keine Atempause. Musikerfotos der Achtziger.“, Parthas Verlag, Berlin 2006
„80% Flash“: DVD-Diashow ohne Ton mit 404 Bildern aus den 80-ern, GrawBöckler, Raum für Projektion (gespielt von vielen Djs in Clubs weltweit)
Christian Hein im Netzt.
 

Text: Gastbeitrag

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