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Kultur Sport

Go East! Oder auch nicht.

Mittwoch, 16. April 2014 | Text: Reinhard Lüke | Bild: Karsten Schöne

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Ein faszinierender Dokumentarfilm über das Aufstehen nach dem Fallen.
Andreas Niedrig, geb. 1967, geriet als Jugendlicher irgendwann auf die so genannte schiefe Bahn, probierte so ziemlich alles, was an Drogen greifbar war und landete schließlich als Junkie an der Heroin-Spritze. Mit Mitte zwanzig dann der radikale Wandel. Der ehemalige Heavy-User wandelte sich zum Extrem-Sportler, absolvierte Marathons und war schließlich als Triathlet beim Iron Man auf Hawaii erfolgreich.  2011 wollte Andreas Niedrig am Race Across Amerika, dem härtesten Radrennen der Welt, knapp 5000 Kilometer von West nach Ost, quer durch den nordamerikanischen Kontinent, teilnehmen. Ein Dokumentarfilm sollte seine Strapazen in Bild und Ton festhalten. Doch dann kam alles ganz anders. „Traumwärts“ ist das faszinierende Protokoll dieses Unterfangens, das weit mehr ist als die Geschichte eines verhinderten Traums. Das Gespräch mit Andreas Niedrig, Martin Szafranski (Regie und Produktion) und Heiner Renneberg (Produktion) führte Reinhard Lüke im Rahmen der Kölner Premiere von „Traumwärts“ im März im Odeon. „Traumwärts“ ist wieder am 23. April um 19 Uhr 00 im Odeon zu sehen.

Meine Südstadt: Andreas, wie bist du denn heute aus dem Ruhrgebiet nach Köln gekommen? Gelaufen oder mit dem Rad?
Andreas Niedrig: Mit dem Auto

Ach was…
Ich hab´ auch ein ganz schlechtes Gewissen. (lacht) Aber ich war heute Morgen schon schwimmen, dann mit dem Hund spazieren, anschließend laufen und bin dann noch 120 Kilometer mit dem Rad gefahren.

Okay, entschuldigt. Eigentlich sollte es in dem Film ja darum gehen, dass Andreas Niedrig das Race Across America (RAAM) fährt. Jenes legendäre, alljährlich veranstaltete, Radrennen über knapp 5000 Kilometer quer durch die USA. Aber letztlich sieht man Andreas Niedrig dann nur mit gerissener Patellasehne auf einem Elektromobil im Schneckentempo durchs Ruhrgebiet tuckern…
Wirklich dumm gelaufen. Das ist mir ausgerechnet zwei Tage vor dem Abflug passiert, als mein Betreuer-Team und ein Großteil der Film-Crew schon vor Ort waren.

Wie fühlt man sich als Regisseur und Produzent, wenn der Hauptdarsteller kurz vor Drehbeginn ausfällt?
Martin Szafranski: Bescheiden. Sehr bescheidenen.

War damit der Film nicht gestorben?
Heiner Renneberg: Das ganze Projekt abzublasen, wäre bei dem schon betriebenen, nicht zuletzt finanziellen, Aufwand Unsinn gewesen. Also haben wir einen Plan B entwickelt und überlegt, ob nicht sein Betreuerteam für Andreas fahren könnte. Wozu die Jungs dann -nach einigen Bedenken- glücklicherweise auch bereit waren.

Aber ohne das Filmprojekt hätten die sich nicht aufs Rad gesetzt?
Heiner Renneberg: Eher nicht. Überhaupt hat ja auch Andreas die Idee, am RAAM teilzunehmen, gemeinsam mit uns entwickelt.

Andreas Niedrig: Ich halte ja viele Vorträge über Motivation und Selbstüberwindung, aber das sind ja letztlich nur Worte. Darum wollte ich in einem Film einfach mal zeigen, was so eine enorme Kraftanstrengung wie das Radrennen mit einem Menschen macht. Was geht einem dabei durch den Kopf, wenn man acht Stunden durch die Wüsten von Arizona am Limit vor sich hin strampelt. Ursprünglich hatten wir die Idee, diese Gedanken in fiktionaler Form in die Dokumentation einzubauen. So als eine Art Kopfkino.  

Die Frage, ob du mit dem Wechsel vom Heroin zum Extremsport nicht nur eine Droge gegen eine andere getauscht hast, ist dir ja vermutlich schön häufiger untergekommen…
Andreas Niedrig: Mag sein, dass es sich da nur um eine Suchtverlagerung handelt und vermutlich werde ich mein ganzes Leben mit diesem Phänomen zu tun haben. Womöglich hat es damit zu tun, dass ich schon immer auf der Suche nach einem Kick war. Die Droge hat mir diese Momente damals immer nur für einen kurzen Moment gegeben, heute muss ich dafür täglich aktiv, ausdauernd und sehr konzentriert arbeiten. Wozu auch gehört, nach extremen Belastungen die nötigen Ruhephasen einzuhalten. Das befriedigt weit mehr. Darum war ich auch bei schwerwiegenden Verletzungen nie in der Gefahr, rückfällig zu werden.

Wenn in deinem Körper mal etwas irreparabel kaputt gehen sollte, wären dann auch die Paralympics ein Perspektive?
Andreas Niedrig: Klar, unbedingt!

 

Regisseur und Produzent Martin Szafranski.

Zurück zum Film. Vor Andreas´ Missgeschick wird es ja ein Drehbuch gegeben haben, das dann aber plötzlich nichts mehr wert war. Wie lief den der Dreh unter diesen Bedingungen ab?
Martin Szafranski: Ein paar der ursprünglichen Ideen konnten wir zwar noch umsetzen, aber im Prinzip haben wir einfach drauf los gedreht. Wobei natürlich unheimlich viel Material zusammengekommen ist. Die eigentliche Geschichte ist dann erst im Schneideraum entstanden. Im Prinzip wurde das Drehbuch also erst nach Abschluss der Dreharbeiten geschrieben.

War Feuerwehrhelm, der im Film rätselhafterweise immer wieder auftaucht, bis schließlich das Geheimnis um ihn gelüftet wird, auch eine spontane Idee?
Martin Szafranski: Nein. Dass der Helm eine Rolle spielen sollte, stand von Anfang an fest. Wie die genau aussehen solle, war uns bei Drehbeginn allerdings noch nicht ganz klar. Durch die veränderten Rahmenbedingungen ist die Rolle dann sicherlich größer geworden als ursprünglich geplant.

Ist Geschichte um den Helm, Andreas und den amerikanischen Feuerwehrmann in der Provinz authentisch?
Heiner Renneberg: Absolut.

Ein anderes, wesentliches Moment des Films sind die vielen, teils skurrilen Typen, die irgendwo am Wegrand stehen und aus ihren Leben erzählen. Darunter finden sich ja echte Charakterköpfe. Wo kommen die her? Habt ihr die gecastet?
Martin Szafranski: Nein, dazu hätten wir gar nicht die Zeit gehabt. Das sind alles reine Zufallsbekanntschaften, die wir unterwegs so spontan gemacht haben, wie sie im Film dann auch erscheinen. Diese Leute, die teilweise unglaubliche offen ihre Geschichten erzählen, sind ein absoluter Glücksfall für den Film. Dabei haben auch unsere Kameraleute, die immer sehr schnell reagiert haben, einen tollen Job gemacht.

Wie seid ihr an Xavier Naidoo gekommen, der in eurem Film den Off-Kommentar spricht, aber nicht singt.
Andreas Niedrig: In habe ihn vor ein paar Jahren mal kennen gelernt und fand ihn sehr sympathisch. Als wir den Film geplant haben, hatten wir die Idee, ihn zu fragen, ob er uns nicht eine Art Titelsong dazu schreiben könnte. Er hat dann auch sehr spontan zugesagt.

Und warum ist daraus dann doch nichts geworden?
Martin Szafranski: Den Song gibt es durchaus. Er ist nur nicht im Film.

Weil…?
Martin Szafranski: Weil wir ihn nicht so passend fanden. Zumindest für den Film nicht.

Und wie hat der Meister auf dieses Urteil reagiert?
Martin Szafranski: Ich gebe zu, mir war etwas mulmig, als ich ihm diese Nachricht überbringen musste, aber Xavier hat total souverän reagiert, „Kein Problem“ gesagt und nicht den Beleidigten gespielt. Und als ich ihm dann die Sprecher-Rolle vorschlug, hat er auch die ohne zu zögern akzeptiert. Ein sympathischer, absolut professioneller Typ ohne Allüren. Er hat mich sehr positiv überrascht.

 

 

Vielen Dank für das Gespräch.

Text: Reinhard Lüke

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