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Gesellschaft Umwelt

„Go for Spinat!“


Mittwoch, 14. Juni 2017 | Text: Alida Pisu | Bild: Evgeny

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

Mitten in der Stadt das eigene Feld beackern und Gemüse in Bio-Qualität selbst ernten? JA! Seit mehr als zehn Jahren ist das in und um Köln herum auf den Äckern des innovativen  „Gartenglück“-Projektes möglich. Als mir eine Freundin im letzten Jahr freudestrahlend eine Tüte mit Roter Bete (die ich zu Salat verarbeitete: ich hätte mich reinlegen können!) von ihrer Gartenglück-Parzelle überreichte, wurde ich Fan des Projektes. Grund genug, mit Bio-Bäuerin Katrin Ivanov, die mit ihrem Mann Evgeny hinter dem Projekt steht, über das Glück des Gärtnerns in der Stadt zu sprechen. Und sie als Gast zum Thema „Unser Umgang mit Tieren“ in den Gottesdienst in der Lutherkirche am 18. Juni einzuladen.

Meine Südstadt: Was ist das Prinzip bei Gartenglück, wie funktioniert es?
Katrin Ivanov: Von Landwirten pachten wir eine Ackerfläche. Das war in der Anfangszeit gar nicht so einfach. Die Landwirte haben uns gesagt: „Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass sich jemand freiwillig mit der Hacke aufs Feld stellt, sein Gemüse bearbeitet und sein Unkraut weghackt.“ Aber dann haben wir in Hochkirchen einen Bauern getroffen, der uns ein Stück Land gegeben hat. Was wir damit losgetreten haben, traf auf eine ungeheure Resonanz und Nachfrage.
Vom Prinzip her läuft es so: im Frühling fahren wir auf den Acker und fangen an mit der Aussaat und dem kompletten Anbau des Gemüses. Es wird in langen Reihen angebaut, mehr als dreißig Gemüsearten, insgesamt mehr als vierzig Reihen, denn bestimmte Gemüse werden gerne gegessen, wie Kartoffeln oder Möhren und Zwiebeln. Von anderem, z. B. Petersilie oder Basilikum, ist eine Reihe schon reichlich. Wir haben auch Blumen dabei, eine Reihe Ringelblumen, ebenso Phacelia, die sehr bienenfreundlich ist. Außerdem eine Sommerblumen-Mischung. Wir schaffen durch unser Gartenglück eine blühende Oase. Ab Ende Juni explodiert alles, es ist dann wahnsinnig bunt und sieht toll aus. Und jeder, der eine Parzelle bei uns pachtet, bekommt den kompletten Querschnitt von dem, was wir angebaut haben.

 

Wie viele Parzellen hat ein Feld und wie erkennt man seine eigene auf dem Feld wieder?
Katrin Ivanov: Insgesamt haben wir dieses Jahr etwa 700 Gärten an vier verschiedenen Standorten. Bis auf einige wenige sind fast alle Parzellen schon vergeben. Man „tauft“ seine Parzelle, die Leute sind sehr kreativ, Parzellen heißen z. B. „Ich glaub, es hackt“, „Go for Spinat“ oder „Salat-Spagat“. Es gibt keine Doppel-Benennungen. Wenn der Name einmal vergeben ist, kann man ihn nicht noch einmal verwenden. Einen Tag, bevor wir die Parzellen übergeben, kriegen alle ihr Schild an die Parzelle. Die Unterteilung der Parzellen erfolgt über einen Trampelpfad, den wir am Tag der Übergabe zusammen treten. Das ist ein kleines Gemeinschaftsspiel.

Ein lustiges Gemeinschaftsspiel… Was ist denn, wenn ein Teil des Gemüses abgeerntet ist. Säen Sie dann noch mal aus?
Katrin Ivanov: Nein, das machen die Leute selber. Das ist ja auch ein wichtiger Bestandteil des Gärtnerns. Es macht glücklich, seine eigenen Pflänzchen in die Erde zu stecken! Wir haben am Hof eine Jungpflanzen-Anzucht, ziehen auch viele alte Sorten vor, alles fürs Freiland. Es gibt eine tolle Tomatensorte für den Ökolandbau, die tatsächlich braunfäuleresistent ist und unter freiem Himmel, trotz Regens auch im Bergischen Land einen tollen Ertrag hervorbringt. Solche Pflanzen können die Leute bei uns kaufen. Wir sind zwei Mal wöchentlich auf jedem Gartenglück-Feld vor Ort und stehen den Leuten mit Rat und Tat zur Seite. Zu diesen Ackerterminen bringen wir Samen und Pflanzen mit, die zu einem sehr günstigen Preis erworben werden können. Denn es ist schwer für die Leute, an Bio-Saat- oder Pflanzgut zu kommen.

Stichwort Bio: halten die Leute sich an biologisches Gärtnern oder gibt es auch welche, die mit der Sprühflasche hantieren?
Katrin Ivanov: Den Leuten, die bei uns mitmachen, ist der Bio-Gedanke unheimlich wichtig. Deshalb macht man das. Man will Gemüse mit Herkunfts-Sicherheit haben. Es ist natürlich auch eine gegenseitige Kontrolle da. Wenn da jemand seinen Nachbarn mit einer Sprühflasche erwischen würde, dann wäre das Geschrei riesig. Aber es wird sich im Gegenteil viel ausgetauscht, was es denn für pflanzliche Mittel und Alternativen gibt. Unser Hauptschädling ist der Kartoffelkäfer. Da hilft nur Absammeln und regelmäßiges Kontrollieren. Es gibt noch den Erdfloh, der macht Löcher in Radieschen und Blätter.

 

Ist doch egal, die Löcher schmeckt man ja nicht…
Katrin Ivanov: Genau, und ansonsten haben wir mit Schädlingen wenig zu tun.

Warum pachten die Leute ihre Parzellen?
Katrin Ivanov: Weil es ganz, ganz glücklich macht! Heutzutage rennen die Menschen durch ihren Alltag und sind gestresst. Und da passiert – im wahrsten Sinne des Wortes – Erdung. Wenn man die Erde unter den Fingernägeln hat, wenn man die Kartoffeln ausgegraben hat, die ersten Möhren zieht, das macht so glücklich. Und das dann nach Hause mitzunehmen. Es ist ein zutiefst befriedigendes Gefühl. Man sieht, was man geschafft hat, man nimmt an einem Kreislauf teil. So geht es vielen Leuten. Gerade nach Feierabend gehen die total gerne auf ihren Acker. Und sie haben einen sehr intensiven Bezug zu ihrem Gemüse. Mein Mann sagt immer: „Es fehlt nur noch, dass sie ihrem Gemüse Namen geben.“

Schöne Idee! Nenne ich meine Möhre Irene und verspeise sie! Aber mal im Ernst: durch das Gärtnern ändert sich also auch der Bezug zu Lebensmitteln?
Katrin Ivanov: Na klar. Man geht ja auch anders, mit viel offeneren Augen, zum Einkauf. Und man fragt sich: „Wenn ich in den Laden gehe, warum sind da alle Möhren nur gerade? Warum haben die Gurken eine bestimmte Krümmung? Warum kann ich im Januar Paprika kaufen?“ Es gibt Viele, die sagen: „Seitdem ich bei Gartenglück bin, kaufe ich im Winter kein Gemüse, das von sonst woher kommt.“ Das finde ich auch so toll: dass die Leute ganz viel lernen, ohne dass man sie belehren muss. Es gibt auch keine Ausschussware, nichts Unverkäufliches, die Leute nehmen ihre Möhren, so wie sie gewachsen sind. Unsere Kunden haben eine Seite bei Facebook, da wird sich viel ausgetauscht. Da werden z. B. auch Bilder von den schrägsten Möhren gezeigt oder es werden spezielle Gemüse präsentiert.

Wer genau sind denn Ihre Kunden? Singles, Familien, Freunde oder…?
Katrin Ivanov: Das ist bunt gemischt. Viele Familien mit Kindern, aber auch Studenten-WGs, Rentner und Einzelpersonen. Insgesamt zweieinhalbtausend Menschen machen mit bei Gartenglück. Sie haben einen Sommer lang frisches Gemüse. Die Saison geht von Mai bis November. Im Juni fängt es langsam an mit dem Ernten. Im Juli, August gibt es solche Unmengen, dass Viele davon erschlagen werden. Man kann natürlich Einfrieren oder Einkochen. Wir wollen in diesem Jahr in Kooperation mit dem BioGourmetClub Köln einen Einmachkurs speziell für Gartenglückler anbieten. Sie können ihr eigenes Gemüse mitbringen in die Küche und von einem Profi lernen, wie es verarbeitet wird. Wenn man das bei uns geerntete Gemüse im Bioladen einkaufen würde, müsste man ein Vielfaches bezahlen. Für Manche ist der Bioladen aber nicht erschwinglich, doch mit einer Gartenglück-Parzelle und mit Spaß am Gärtnern ist das eine geniale Lösung.

Ihre Kunden sind Städter und müssen das Gärtnern ja wahrscheinlich erst durch learning by doing erlernen. Wie unterstützen Sie das?
Katrin Ivanov: Es gibt leider eine große Wissenslücke. Die Großeltern-Generation konnte noch so viel. Und die Generation jetzt, also meine Generation, die wissen einfach nichts mehr. Die Leute machen bei uns eine Art gärtnerischen Crash-Kurs. Denn zum einen müssen sie sich bei uns an die Öko-Richtlinien halten. Zum anderen gibt es bei uns auf den Flächen eine Fruchtfolge, weil wir nachhaltig und langfristig wirtschaften wollen. Wir wollen nicht alle paar Jahre einen neuen Acker nehmen müssen, weil da kein Ertrag mehr ist. Das leuchtet den Leuten auch total ein. Alle Gemüse, die wir anbauen, sind Pflanzen-Familien zugeordnet. Es gibt drei Blöcke. Wenn ich z. B. Paprika pflanzen will, muss ich schauen, welcher Block der ist, in den die Nachtschatten- und Kürbisgewächse gehören. Weil die Paprika ein Nachtschattengewächs ist, darf ich sie nur in diesen Block pflanzen.

Da muss man aber schon viel Wissen haben!
Katrin Ivanov: Wir haben einen sehr großen Info-Pool, den wir im Frühling schon verschicken. Denn die Vorfreude ist ja auch groß, die Leute können sich damit schon mal auseinandersetzen und ihre eigene Gartensaison planen. Aber es ist auch sehr selbsterklärend vor Ort. Wenn wir mit unseren Jungpflanzen am Feld sind, haben wir einen kleinen Aufsteller dabei. Man kann auf eine Liste gucken: „Salat, aha, das ist ein Korbblütler“, dazu hat man den Anbauplan von der Parzelle und sieht sofort, wo der Salat hin gehört. Ich finde es ganz toll, dass die Leute daran ein so großes Interesse haben.

 

Was ist für Sie persönlich das Beglückende an Gartenglück?
Katrin Ivanov: Ich finde es beglückend, aufs Feld zu kommen und so viele glückliche Menschen zu sehen. Egal, zu welcher Jahreszeit. Wenn es Frühling ist und sie darauf brennen, loszulegen. Oder wenn die erste Ernte kommt. Oder zum Zeitpunkt unseres Erntedankfestes vor Ort. Da wird selbst gemachtes Petersilen-Pesto und alles Mögliche an tollen Sachen mitgebracht. Zu jeder Jahreszeit trifft man Leute, die super-glücklich sind.

Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch, Frau Ivanov. Wir sehen uns kommenden Sonntag und sprechen dann in der Lutherkirche über unseren Umgang mit Tieren. Vielleicht können wir ja einen Beitrag dazu leisten, auch Tiere glücklich zu machen!

 

 

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Veranstaltung in der Lutherkirche: „Unser Umgang mit Tieren“
 

Text: Alida Pisu

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