Großes Fernsehen aus der Südstadt
Montag, 23. August 2010 | Text: Dirk Gebhardt | Bild: Dirk Gebhardt
Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten
Fernseh-Premiere für eine Südstadt-Produktion: Mittwoch, 25.08.2010 um 20:15 Uhr zeigt die ARD den Thriller „Takiye – Spur des Terrors“. Geschrieben und produziert wurde der Film von Kadir Sözen. Seine Produktionsfirma „Filmfabrik“ hat am Severinskirchplatz ihren Sitz. „Takiye“ war Eröffnungsfilm des Festivals Großes Fernsehen im Juni, das Teil des Medienforums NRW ist. MEINE SÜDSTADT-Autor Dirk Gebhardt traf sich mit Kadir Sözen zum Interview.
Meine Südstadt: Was einem bei der Vorankündigung der ARD zu Takiye auffällt ist der Satz Eröffnungsfilm Großes Fernsehen. Was bedeutet Großes Fernsehen für Dich?
Kadir Sözen: Großes Fernsehen bedeutet für mich spannende Geschichte, aktuelle Geschichte, engagierte Geschichte und im Idealfall künstlerisch ansprechend umgesetzt.
Es bedeutet aber nicht Kleines Kino, das könnte man ja annehmen.
Nein! Großes Fernsehen kann durchaus gleichzeitig großes Kino sein. Im besten Fall ist Großes Fernsehen etwas eigenständiges. Wir haben allerdings bei diesem Projekt den Versuch unternommen, einen Film für Fernsehen und Kino zu schaffen, also ein Projekt umzusetzen, das in beiden Formaten erfolgreich sein kann.
Der Trailer zum Film ist scheinbar für das Kino zurechtgeschnitten. Das Format, der Schnitt und die ausgewählten Szenen aus dem Film sind vergleichbar mit denen einer Hollywoodproduktion.
Der Trailer ist für das Kino produziert. Er soll genau dieses Publikum ansprechen.
Wenn man den Titel liest, stellt sich sofort die Frage nach der Bedeutung des Wortes Takiye. Wie lautet die Übersetzung ins Deutsche und wo kommt der Begriff her?
Takiye ist ein Begriff aus dem Islam, und bedeutet so viel wie Scheinheiligkeit oder Betrug im islamischen Sinne. Etwas anzugeben oder vorzugeben, was man nicht ist oder was man nicht machen möchte.
Der Film beruht nach den Informationen der ARD auf einer wahren Begebenheit. Welche ist das und wie wurde sie umgesetzt?
Die Geschichte ist eigentlich ein Puzzle aus mehreren wahren Begebenheiten. Es gibt nicht eine wahre Geschichte anhand derer wir das Drehbuch geschrieben haben. Das Drehbuch ist das Resultat von mehreren Ereignissen, die real geschehen sind und die wir zu einer Geschichte zusammengefasst haben. Selbstverständlich haben wir einige Dinge frei erfunden.
Kann man diese Arbeitsweise als journalistische Fiktion beschreiben? Das Grundgerüst habt ihr recherchiert und den Plot frei erfunden?
Ja genau, wir haben die künstlerische Freiheit ausgeschöpft, basierend auf dem realen Leben.
Die Geschichte des Protagonisten Metin in Eurem Film ist ja sehr dramatisch. Er verkauft gutgläubig diesen Fond an seine Familie, Freunde und seine Gemeinde. Mit dem Scheitern der Geldanlage wird sein ganzes Leben durcheinander geworfen, es gerät außer Kontrolle. Sind solche Konsequenzen auch in den realen Geschichten aufgetreten?
Real ist, das es Tausende – nicht nur einen, sondern Tausende – von Menschen gibt wie unseren Protagonisten Metin. Was jetzt zur Fiktion wird, sind seine Erlebnisse im Film, dass Teile seine Familie bei einem Anschlag ermordet werden. Das ist Fiktion. Aber es gibt allein in Deutschland ungefähr 800.000 Familien, die ihr Geld in solchen Fonds angelegt haben und davon keinen Cent wieder gesehen haben. Hier hat es wirklich dramatische Entwicklungen gegeben. Es gab zahlreiche Selbstmorde, viele der Betroffen sind seit Jahren in psychologischer Behandlung, ganze Familien wurden aus der Bahn geworfen.
Der Film wurde gleichzeitig einer türkischen und einer deutschen Fassung herausgebracht, wieso?
Wir haben den Film zweisprachig gedreht, oder teilweise zweisprachig gedreht, weil wir auch Schauspieler aus der Türkei hatten, die kein Deutsch sprachen. Wir haben natürlich auch von Anfang an, bei der Planung des Filmes schon an eine internationale Verwertung gedacht. Daher haben wir diesen zweisprachigen Start gewagt.
Der Film spielt neben Istanbul auch in Köln. Habt ihr denn auch in der Südstadt gedreht?
Ja, hier ganz in der Nähe im ehemaligen Sitz der Deutschen Welle haben wir einige Szenen gedreht. In Köln selber haben wir dann noch drei Wochen gedreht. Das Hauptmotiv mussten wir aber in Duisburg drehen. Wir wollten zwar ursprünglich in der Keupstraße Köln drehen, aber das war zu kompliziert. So sind wir dann auf Duisburg ausgewichen und haben dort die Keupstraße neu aufleben lassen.
Unsere Leser interessiert bestimmt auch die für einen Filmschaffenden gewöhnliche Frage, wie lange ihr für die Fertigstellung des Films gebraucht habt?
Seit ungefähr fünf Jahren arbeiten wir an dem Film. Die ersten Recherchen haben wir vor fünf Jahren begonnen.
Du hattest bei dem Film ja eine Doppelrolle. Einerseits Drehbuchautor, andererseits Produzent. In welches Dilemma bist du dadurch gekommen? Als Drehbuchautor möchte man nicht, dass der Produzent oder der Regisseur das Drehbuch verändern, als Produzent muss man es aber, wenn die Kosten nicht stimmen!
Das ist das größte Problem, es war nicht das Problem, dass der Regisseur etwas verändern wollte. Wir hatten die gleichen Bilder im Kopf und auch dieselbe filmische Umsetzung-Philosophie. Das größere Problem ist das, wenn man ein Buch hat bzw. schreibt, wenn ich ein Buch schreibe, denke ich nicht an die Kosten. Ich schreibe halt das, was für die Dramaturgie und für die Qualität des Buches wichtig ist. Wenn das Buch fertig ist, kommt dann der Produzent. In diesem Fall war ich das und ich musste manchmal schon daran zweifeln, was der Drehbuchautor so geschrieben hat und mir Gedanken machen wie ich das finanziere. Aber letztendlich war das keine neue Situation für mich, da ich schon häufiger Filme produziert habe, bei denen ich selber das Drehbuch geliefert habe. Wenn der Drehbuchautor in mir das Drehbuch abgeschlossen hat und ich als Produzent an das Projekt ran gehe, dann bin ich da auch in gewisser Weise radikal, genauso wie ich als Autor konsequent bin, wenn ich es schreibe und mir keine Gedanken über Kosten und Verwertung mache.
Wie lässt du dich inspirieren? Du wohnst seit Jahren in der Kölner Südstadt, bist aber auch oft in Istanbul, viele Filme, die du machst, haben eine Bezug zu beiden Ländern. Deine Inspiration – kommt die eher aus deinem deutschen Umfeld oder aus dem türkischen, oder ist es eine Melange?
Erst einmal haben wir auch in der Türkei eine Firma. Die Filmfabrik gibt es auch in Istanbul. Daher versuchen wir, soweit es geht Synergien aus beiden Standorten herzuleiten. Macht die Filmfabrik in Istanbul einen Film, dann sehen wir immer, wie sich die deutsche Dependance beteiligen kann und umgekehrt genau so. Die schönsten Projekte sind daher immer die Projekte an denen sich beide Länder beteiligen können. Es entstehen dann immer wunderschöne Mosaiksteine die, wenn der Film fertig ist, etwas ganz besonderes darstellen. So genau kann ich aber nicht sagen wo meine Inspiration her kommt. Ich bin nun mal Deutsch-Türke, oder ein türkisch Deutscher. In mir sind beide Kulturen das kann ich nicht wirklich auseinander halten. Da ich in beiden Ländern zu Hause bin versuche ich das beste aus beiden Kulturen zusammen zu bringen.
Was auffällt ist, dass die Wahrnehmung des Filmes in beiden Ländern unterschiedlich gesteuert wird. Im Deutschen lautet der Untertitel Spur des Terrors und in der türkischen Kinofassung Im Namen Gottes. Was bedeutet das?
Das ist nichts ungewöhnliches. Selbst bei Hoolywoodfilmen ist das so. Es gibt halt verschiedene Marketing Konzepte und verschiedene Wahrnehmungen.
Ja, aber es scheint, dass die deutsche Fassung des Untertitels die Angst des Westens vor dem Islam bedient, während die türkische Fassung eher zweideutig ist. Wie kommt das?
Das ist richtig. Das hängt wiederum damit zusammen, glaube ich, dass wir in Deutschland zuerst im Fernsehen rauskommen und nicht im Kino. Im Fernsehen braucht man doch, da das Fernsehpublikum ein anderes als das Kinopublikum ist, knackigere, prägnantere Untertitel, etwas, was der Leser einer Programmzeitschrift sofort erkennen kann. Daher vielleicht im Deutschen der etwas direktere Untertitel.
Wann ist der Start in den deutschen Kinos geplant?
Im Herbst überlegen wir die Kinoversion zu starten. Im Fernsehen läuft ja eine Fernsehversion des Stoffes. Sie ist kürzer und einige Elemente haben der Geschichte werden oberflächlicher behandelt. Daher freuen wir uns schon auf den Herbst.
Über den Film:
Erzählt wird die Geschichte von Metin, einem in Köln lebenden religiösen Moslem. Hüseyin, der Vorsitzende der islamischen Gemeinde, ist für Metin eine Art Vaterersatz. Als dieser für einen neuen islamischen Wirtschaftsfond wirbt, bittet er Metin um Unterstützung. Der überzeugt nicht nur alle seine Freunde, ihr Geld zu investieren, sondern investiert auch das gesamte Geld seiner Familie. Der zunächst Erfolgversprechende Fonds ist plötzlich über Nacht Pleite, und Metin wird von allen zur Verantwortung gezogen. Und auch der Verfassungsschutz ist sehr an den Machenschaft des Fonds interessiert
Sendetermin der Fernsehfassung:
Mittwoch, 25.8., 20:15 Uhr, ARD
Infos zu „Takiye – Spur des Terrors“:
Darsteller:
Metin: Erhan Emre
Numan: Stipe Erceg
Hodscha: Ali Sürmeli
Hüseyin: Rutkay Aziz
Karl Höffgen: Michael Mendl
Sabine: Suzan Anbeh
Stefan: Thomas Reisinger
Mesut: Numan Acar
u.v.a.
Stab:
Buch: Kadir Sözen
Regie: Ben Verbong
Kamera: Axel Block
Schnitt: Ulrike Leipold
Musik: Oliver Krantz
Szenenbild: Alexander Scherer
Ton: Wolfgang Wirtz
Kostümbild: Bea Gossmann
Maske: Christina Paul
Aufnahmeleitung: Caren Wiederhold
Produktionsleitung: Gabriele Goiczyk
Produzent: Kadir Sözen
Redaktion: Wolf-Dietrich Brücker, WDR
Produktion: Filmfabrik Spiel- und Dokumentarfilmproduktion im Auftrag von WDR, BR und ARD Degeto; in Kooperation mit der Filmstiftung NRW
Daten:
Drehzeit:
03.11.09 17.01.2010
Drehorte:
Köln, Duisburg, Istanbul
Material/Format:
HDCAM, 16:9
Länge:
90
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