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Eine Südstadt für alle! Gesellschaft

Grüner Tisch vs. unberechenbares Leben: Das Projekt Stollwerck – Teil I

Freitag, 6. Mai 2011 | Text: Gastbeitrag | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

„Hier wird Dein Autoreifen aufgeschlitzt, wenn du Dich getraut hast (…) mit den dortigen Jugendlichen auf der Straße von Angesicht zu Angesicht zu klären, dass besoffener Krawall, sichtbare Dealerei und mutwillige Randale an Spielplätzen bitte aufhören. Oder dass die nächtlichen „Parties“ verlegt werden sollten, auch unseren Kindern zuliebe (…). Und wenn sie noch mehr „Spaß“ brauchen, lauern sie dir auf und vermöbeln dich. Seither haben die dort wohnenden Menschen ängstlich aufgehört, etwas zu sagen“.

Was ist nur aus dem Stollwerck-Gelände geworden, diesem einstigen Musterbeispiel für städtischen Wohnungsbau? Das fragten wir uns in der „Meine Südstadt“-Redaktion, als ein User im Zuge der Waffenladendiskussion im Dezember diese Erfahrungen postete. Ist das Wohngebiet zwischen Rheinufer- und Zwirnerstraße, zwischen Severinswall und Dreikönigenstraße zum Brennpunkt geworden? Ist das Projekt einer „Stadt für alle“ gescheitert?

Stollwerck Siedlung, 1984-1985 / Foto: Dietrich Bahß

Rückblick, Mitte der 80er: Der Kampf ums Stollwerck. Es geht um ein Filetstück der südlichen Innenstadt. Nachdem die Stollwerck-Schokoladenfabrikation aus dem Severinsviertel weggezogen ist und eine ganze Reihe alter Industriegebäude hinterlassen hat, rücken die Abrissbagger an. Die Stadt will alles im Areal niederreißen und Neubauten hochziehen, unterstützt von Investoren, die an der Entwicklung des Top-Baugrunds großes Interesse zeigen.

Künstler und andere Südstädter, die das Werksgelände zum Teil bewohnen oder als Atelier nutzen, schließen sich gegen den Abriss zusammen und bescheren Köln Deutschlands größte Hausbesetzung mit 2.000 Teilnehmern. Die Aufständischen reklamieren für sich das Recht auf Stadt: Sie wollen den günstigen Wohn- und Arbeitsraum nicht verlieren, sie befürchten eine Sanierung zum Hochpreissegment und ihre eigene Vertreibung.

Auch Architekten und Mitglieder der BISA (Bürgerinitiative Südliche Altstadt) setzen sich für den Erhalt ein. Am Ende muss die Stadt einlenken, ein öffentlicher Wettbewerb für die Zukunft des Areals wird ausgeschrieben. Die Kombination aus Abriss und Erhalt erhält den Zuschlag: Die Kölner Architekten Schaller und Theodor bauen einen Teil des Altbestands um, daneben entstehen neue Gebäude mit insgesamt 800 Wohnungen. Außerdem wird das ehemalige Zeughaus zum Bürgerhaus Stollwerck, einem Ort für Kultur- und Bürgeraktivitäten.

Ein Teil der Wohnungen wird klassische Eigentumswohnungen – einige der Stollwerckbesetzer erwerben so z.B. im ehemaligen „Rundbau“ an der Bottmühle Eigentum zum Vorzugspreis. Der andere Teil ist als Sozialwohnungen konzipiert. Die Bauherren erhalten vom Land dafür vergünstigte Darlehen, müssen die Wohnungen und Häuser aber im Gegenzug über Jahrzehnte hinweg zu festgelegten Gering-Mieten an WBS(Wohnberechtigungsschein)-Inhaber vermieten. Das Ziel: Auf dem Stollwerckgelände soll durch die Mischung aus Eigentum, normalen Miet- auf der einen und Sozialwohnungen auf der anderen Seite eine ausgewogene Mischung von Bewohnern entstehen. Als Investoren treten zum Beispiel die damals noch landeseigene LEG und ein Investorenteam aus einem Steuerberater, dem Bauunternehmer Paul Bauwens-Adenauer und anderen Privatpersonen auf.

 

Stollwerck Siedlung, 1984-1985 / Foto: Dietrich Bahß

 

Spaziert man heute mit Christian Schaller durch die Innenhöfe und Gassen des Geländes hinter dem so genannten „Annoriegel“ (der ehemaligen Fabrik an der Karl-Korn-Straße, deren Rückseite sich zur Annostraße wendet), so kann man ihn spüren, den Geist der 80er. Mit ihren Ideen wollten die damals jungen Architekten für den ersten wirklich großen Fabrikumbau in Deutschland eine Marke setzen. Entstanden sind großzügige Lofts, Wohnungen mit ungewöhnlichen Schnitten, Deckenhöhen und Aufteilungen, mit Gemeinschaftsräumen, Gärten und einer diversifizierten Neubauweise nach Vorbild avantgardistischer US-Architekten.

Der Annoriegel und die Reihenhäuser der autofreien Stollwerckhöfe waren geplant für das Miteinander einer bunten Bewohnerschar: kinderreiche Familien, Künstler, Kreative, Politiker, Geschäftsmänner, Lehrer, sozial Schwache und besser gestellte Eigentumserwerber – sie alle, „darunter viele, die aus dem Sanierungsgebiet Severinsviertel verdrängt worden waren“, sollten Seite an Seite das Viertel beleben.

Kommunikation und Menschennähe hätten bei der Planung einen wichtigen Platz ein eingenommen, erklärt Schaller. Beispiel Spielraumgestaltung: Nah an den Wohnhäusern in Blickweite der Eltern die Sandspielplätze für die Kleinkinder, auf den autofreien Wegen in Rufweite der Häuser die Spielplätze für die größeren Kinder, und außerhalb des elterlichen Blicks der Trude-Herr-Park für die Jugendlichen.

Ist das Konzept aufgegangen, 25 Jahre danach? In den Sandspielplätzen wuchern zwar Gras und Unkraut. Aber spätestens am Nachmittag tummeln sich Dutzende von Kindern auf den Wegen der Stollwerckhöfe, sie nutzen den Raum zum Kicken und toben an den Spielgeräten. Auch der Trude-Herr-Park wird von Jugendlichen wie Erwachsenen aus dem Viertel gut frequentiert. Wir sehen Frauen mit Kopftuch, kölsche Mamis, Jungs mit dunkler Hautfarbe –  dass die Mischung nicht bunt wäre, kann man nicht behaupten.

 

Judith Levold, Christian Schaller und Dorothea Hohengarten (v. Links) / Foto: Dirk Gebhardt

Christian Schaller ist noch immer überzeugt vom Konzept des urbanen Bauens für eine geplant diversifizierte Bevölkerung, er findet das Stollwerck-Gelände nach wie vor gelungen. Trotzdem: Etwas scheint nicht in Ordnung. An vielen Gebäuden blättert die Farbe ab – hier wurde lange nicht mehr gestrichen. In Hauseingängen und Durchgängen müffeln Milchtüten und Bananenschalen vor sich hin. In den Hecken hängen Altkleider, und immer wieder mutiert die Karl-Korn-Straße zur Dauer-Sperrmüllhalde. Ein Hauch von Verwahrlosung liegt in der Luft – ein stärkerer Hauch als sonstwo im Viertel. Woran liegt das?

 

Wir klingeln in einer Parterrewohnung im Annoriegel. Ingrid und Dietrich Bahß und ihre Nachbarin Manuela Krekeler haben uns auf einen Kaffee eingeladen. Die Fotografen und die Künstlerin sind 1988 als erste Garde von Mietern eingezogen – mit damals noch kleinen Kindern, einem WBS und der winzigen Miete von 4 Mark 30 pro Quadratmeter….
 

 

Teil II der Reportage erscheint am Montag, dem 09.05.2011, auf „Meine Südstadt“.

 

Autoren: Dorothea Hohengarten und Judith Levold

 

 

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Text: Gastbeitrag

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