Grüner Tisch vs. unberechenbares Leben: Das Projekt Stollwerck Teil II
Freitag, 6. Mai 2011 | Text: Gastbeitrag | Bild: Dirk Gebhardt
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Wir sitzen am Tisch mit Ingrid und Dietrich Bahß und Manuela Krekeler-Marx, drei Bewohnern des „Annoriegels“ an der Karl-Korn-Straße, und blicken zurück auf die erste Zeit in dieser umgebauten Schokoladenfabrik. Das Zusammenleben, berichten sie, war zu Anfang ideal: Die Gärten nach hinten raus in den Hof, wo die stollwerck’sche Maschinenhalle,der so genannte Kachelsaal, doch den Abreiß-Hardlinern zum Opfer gefallen war, waren klein, aber mein. Dazu die Gemeinschaftsgrünanlage zur Annostraße hin da habe man sich wohlgefühlt. Prima Nachbarn, Spanier, Türken, Deutsche, auch alle mit Kindern, da wurde eigentlich immer Fußball gespielt, da tobte der Bär. Und das mitten in der immer schon hippen Südstadt zu echt bezahlbaren Preisen.
Doch nach und sei das gekippt. Schleichend kumulierten die sozial Allerschwächsten. Viele der vermieteten Eigentums- wie auch der Sozialwohnungen waren illegal überbelegt, besonders bei den kleineren Wohnungen kam es zu häufigen Wechseln. Das städtische Wohnungsamt habe es mit der Vergabe der Wohnungen nach Kriterien der sozialen Balance nicht mehr so genau genommen.
Stollwerck Siedlung, 1984-1985 / Foto: Dietrich Bahß
Die Hausgemeinschaften, am Anfang echte Gemeinschaften, seien nach und nach zerbrochen. Und das Sozialarbeiterbüro im Komplex habe mangels Geld niemals einen Sozialarbeiter gesehen, obwohl wir den bis heute dringend nötig hätten.
Für meine Jungs war es schon vor 20 Jahren heftig, erinnert sich Manuela Krekeler. Schläge gehörten zum Alltag, ein Jugendlicher bedrohte andere mit der Pistole. In der Tiefgarage dealten Heranwachsende mit Drogen. Daran hat sich, glaubt man den Schilderungen mancher Bewohner, hat sich bis heute offenbar wenig geändert – eine gewissen „Grundkriminalität“ ist immer da. 12 Einbrüche in ihre Wohnung hat die Familie Bahß gezählt, seitdem sie im Annoriegel wohnt. Erst vor zwei, drei Jahren habe das aufgehört. Überwachungskameras hängen seitdem in einigen der Eingänge.
Ingrid Bahß, Manuela Krekeler und Dietrich Bahß (v. Links) / Foto: Dirk Gebhardt
Nein, das Konzept des sozialen Miteinanders ist nicht aufgegangen, resümiert Dietrich Bahß heute bitter. Es ist entglitten, sagt Ingrid Bahß. Es ist nicht so, dass die drei den Mitbewohnern die Schuld daran geben. Sie sehen die Gründe auf einer anderen Ebene. Es könne zum Beispiel nicht funktionieren, wenn die Jugendlichen zu wenig Perspektiven hätten. Sobald die eine Lehrstelle haben, sind viele von ihnen plötzlich wie ausgewechselt. Dann kannst du plötzlich mit ihnen reden, berichtet Manuela Krekeler-Marx. Doch viele hier hingen einfach nur ab, ohne Aufgabe.
Das Hauptproblem liegt vielleicht in der fehlenden Steuerung des Komplexes. Kann man das Miteinander von Zweitausend Menschen auf engstem Raum sich selbst überlassen? Die Eigentümer sind nicht miteinander vernetzt, es findet keine Abstimmung statt. Auch die Bewohner selbst finden nicht zueinander ein Quartiersrat, der das Zusammenleben organisieren, die Probleme thematisieren und Lösungen erarbeiten würde, fehlt bis heute.
Stattdessen: Ein wildes Durcheinander von Besitzverhältnissen. In den Stollwerckhöfen sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Häuschen an Selbstnutzer und Immobilienanleger weiterverkauft worden. Zwischen den alt eingesessenen Mietern und den Neubesitzern gebe es immer wieder Auseinandersetzungen, berichtet Manuele Krekeler-Marx – viele der Neuen hätten null Interesse an einer Kultur des Miteinanders. Stattdessen wachse eine Kultur des Gegeneinanders und der Anonymität heran.
Im Annoriegel kennen viele Mieter noch nicht einmal die aktuellen Eigentümer ihrer Wohnungen, sie werfen den dazwischen geschalteten Verwaltungsfirmen Verschleierung vor. Bei uns bekommt jeder Mieter Auskunft, der den Eigentümer wissen will, widerspricht die zuständige Mitarbeiterin der Firma Foncia Immonova, die im Annoriegel vier Häuser verwaltet. Die Frau möchte ungenannt bleiben, aber dass es Abstimmungsschwierigkeiten gibt, unterstreicht sie.
Auf die Dauer wird das dazu führen, dass der Komplex optisch auseinanderfällt. Manche Haus- und Wohnungsbesitzer werden ihr Haus in einer Farbe streichen, andere in einer anderen, und dritte gar nicht. Manche Dachabschnitte werden ausgebessert, andere nicht. Uns fehlt im Grunde ein Stadtteilmanager, sagt die Immobilienfrau.
Realität und Idee: Architekt Christian Schaller erläutert den „Meine Südstadt“-Autorinnen Dorothea Hohengarten und Judith Levold sein Konzept eines städtischen Miteinanders/ Foto: Dirk Gebhardt
Man könnte jetzt denken, mit dem Stollwerck ginge es weiter bergab. Doch dieser Eindruck täuscht. Denn eine wesentliche Änderung steht dem Komplex in den kommenden zehn Jahren bevor. Und sie hat schon begonnen: Die Sozialbindung läuft nach und nach aus. Das heißt: Aus den Sozialwohnungen werden nach einer Übergangszeit privat vermietete Wohnungen, die Mieten werden auf Niveau gebracht und das Filetstück Stollwerck, um das schon Mitte der 80er Jahre gekämpft wurde, macht sich für Eigentümer und Investoren jetzt nach und nach bezahlt. Die gentrifizierte Südstadt steigert den Wert selbst abgenutzter Immobilien.
Genau das ist es, wovor sich Manuela Krekeler-Marx und die Bahß am meisten fürchten: Dass wir uns die Wohnung, in der wir unsere Kinder aufgezogen haben, die unser Zuhause ist, nicht mehr leisten können. In den vergangenen Jahren wurde die Miete schrittweise erhöht, die Nebenkosten sind enorm. Eine schleichende Erhöhung ist verkraftbar, aber nicht schlagartig durch eine Sanierung. Zwar haben Mieter Vorkaufsrecht, falls die Wohnung verkauft wird doch als Künstler und Freiberufler von Mitte 50 ist ein Kauf für sie illusorisch. Kommen also Eigentümer, die hier wohnen wollen, müssen sie gehen. Wenn die Superreichen im Rheinauhafen wohnen, wollen die Reichen wenigstens hier wohnen, sagt Dietrich Bahß.
Autoren: Dorothea Hohengarten und Judith Levold
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