Haialarm in der Severinstraße
Mittwoch, 2. September 2015 | Text: Nora Koldehoff | Bild: Tamara Soliz
Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten
Geschrieben, erzählt Christina Bacher, habe sie schon immer. In der Schule ging das mit einem ziemlichen Arbeitsaufwand einher: Für ihre selbstverfassten und eigens farbig illustrierten Kurzgeschichten über ‚Purzel und Wurzel‘ fand sie schon in der Grundschule Abonnenten. 10 Pfennig kostete jeweils das Frühwerk von damals. Ein Dumpingpreis, wenn man bedenkt, dass Bacher weder Kopierer noch Drucker oder wenigstens Matrizen zur Hand hatte. Jede Geschichte wurde von Hand abgeschrieben und erneut illustriert. ?Nach Studium, in Germanistik und Europäischer Ethnologie arbeitete sie als Pressesprecherin für Verlage. Inzwischen betreibt Christina Bacher mit ‚Bachers Büro‘ eine „Schmiede für Texte aller Art.“
Ihre Kinderbuchreihe ‚Bolle und die Bolzplatzbande‘ spielt überwiegend in der Kölner Nordstadt. Im April ist das neue Buch ‚Haialarm‘ erschienen, in dem die Gruppe eine Reihe von Überfällen auf Schmuckgeschäfte aufklären will, die irgendwie mit einem Immobiliencoup in der Nordstadt zusammenzuhängen scheinen.
Meine Südstadt: Als ‚Köln-Krimi für Pänz‘ bewirbt der emons-Verlag das neue Buch ‚Haialarm‘. Wird die Reihe auch anderswo gelesen?
Christina Bacher: Ja, sehr viel. Ich war mit der Reihe auch vorher bei einem anderen Verlag aus Berlin, der hat die Bücher gar nicht mit so viel Lokalkolorit vermarktet. Ich bin sehr viel auf Lesungen unterwegs, in ganz Deutschland und auch in der Schweiz. Bei den Lesungen woanders kommt es vor, dass man ins Gespräch über Köln kommt. Und wenn ich auf dem Land lese, dann staunen die Kinder und sagen: Oh, so ist es in Köln? Fahrraddiebe, oje. Hab ich noch nie einen gesehen. Während hier die Kinder viel von ihren geklauten Rädern zu erzählen haben. Die Bücher funktionieren auch auf dem Land, aber eben anders. Und in Potsdam zum Beispiel ist dafür das Immobilienhai-Thema nicht so präsent. Ich hatte zuerst auch etwas Bedenken, dass das neue Buch unter dem Label Regionalkrimi herauskommt, weil das ja auch ein Stempel sein kann, aber das muss es gar nicht sein. Und es passt gut dahin. Als sei die Buchreihe nach Hause gekommen.
Bekommt man über spannende Krimigeschichten die Kinder eher ans Lesen?
Wenn ich zu Lesungen in Schulen bin, müssen die Schüler ja kommen. Da sitzen dann etwa 60 Kinder, und darunter sind natürlich auch immer welche, die eigentlich keine Lust haben. Mit den Krimigeschichten kriege ich sie dann schon. Sicher auch, weil Krimis eben spannend sind. Ich fange meist mit einem Ratekrimi an, dann entwickeln sie schon so einen sportlichen Ehrgeiz. Damit hab ich die Kinder-Krimis auch angefangen. Ich habe mit Ulrich Noller, meinem damaligen Coautor, zusammen 200 Ratekrimis fürs Radio geschrieben. Mit den gleichen Figuren, aus denen dann später die Bücher um die Bolzplatzbande entstanden sind. Das wurde im Radio gesendet, und die Kinder konnten anrufen und auch etwas gewinnen. Da gab es schwerer und leichter zu lösende Rätsel.
Und manchmal kam zwar der Redakteur nicht auf die Lösung, die Kinder aber schon. Dann interessierte sich ein Verlag dafür, aber eben nicht als kurze Ratekrimis, sondern als Buchreihe, so fing das damals an. Diese Ratekrimis kann ich auswendig, und sie sind extra fürs Hören geschrieben. Sie passen also auch gut auf Lesungen. Und wenn ich merke, ich muss ein paar der Kinder erstmal kriegen, dann fange ich gern damit an. Und danach erzähle ich aus den Büchern und von den längeren Geschichten. Das irritiert die Kinder dann manchmal regelrecht, und in den Fragerunden hinterher fragen sie dann, ob och das eigentlich alles auswendig kann. Oder so nach zwei Stunden Diskussion dämmert es einigen, dass ich das Buch geschrieben habe. Einmal sollte ich ein Buch von den drei ??? signieren, das habe ich aber nicht gemacht.
Der im Titel genannte Bolle gehört nicht zur Bolzplatzbande selbst. Er ist ein Erwachsener, der den Kindern hilft und als Straßenkehrer arbeitet. Er steht aber gar nicht so sehr im Fokus, oder?
Bolles Wege kreuzen immer die der Kinder. In ‚Haialarm‘ ist ja Bolles Schicksal, aus der Wohnung geworfen zu werden, das er sich nicht gefallen lassen möchte und bei dem die Kinder überlegen, wie sie helfen können. Und Bolle findet eine alte Liebe wieder, und um eine alte Liebe geht es auch im neuen Fall, als ein Schmuckstück, ein Liebesgeschenk, bei einem Überfall gestohlen wird. Das ist dann so eine Parallelgeschichte.
Seine Funktion ist aber auch einfach die eines erwachsenen Bündnispartners für die Kinder abseits der Eltern. Er ist ansprechbar, lässt die Kinder ihre eigenen Entscheidungen treffen, unterstützt sie aber. Und er hat eine ganz bewegte Geschichte, war mal Philosoph, dann Boxer, jetzt arbeitet er als Straßenkehrer, ein alter Mann, der viel durchs Veedel zieht und weiß und da ist, sich den Kindern aber dabei nicht aufdrängt. Oder eine moralisierende oder erziehende Grundhaltung hat, wie Eltern das vielleicht haben. Sowohl Ulrich und ich waren als Kinder große Fans der drei ???, aber es hat uns beide gewundert, dass die drei immer mit dem Rolls Royce durch die Gegend fahren, aber niemals ein Erwachsener dabei ist. Das fanden wir beide einfach unrealistisch. Darum wollten wir gern einen Erwachsenen dabei haben.
Ich finde es eben auch gut, wenn Kinder wissen, es gibt mehr Möglichkeiten, als nur Eltern und Lehrer, von Erwachsenen Unterstützung zu bekommen. Und wenn Kinder wissen, dass sie auch mit älteren Leuten gemeinsame Sache machen können. Man sich gegenseitig hilft. In diesem Buch ist Bolle nicht so präsent, aber er ist eine Konstante und wichtig.
Liegt in jedem Buch der Fokus auf Wladi, einem der Jungen aus der Bolzplatzbande?
In jedem Buch liegt der Fokus bei einem anderen Mitglied. So hat man auch den Mädchen-Jungen-Schwerpunkt raus. Man erfährt immer über ein Mitglied etwas mehr, über die Gedanken und die Familien. Es gibt den Fall im Vordergrund und im Hintergrund etwas, das das jeweilige Kind beschäftigt, etwas Persönliches. Das kann ich nicht so gut beleuchten, wenn ich die Person immer nur von außen betrachte. Jetzt weiß man wieder, was bei Wladi so los ist. Da mag es jetzt Vorlieben geben, dass der eine die Wladi-Bücher besonders mag, der andere die Laura-Bücher. Aber für mich ist es eben auch spannend, dass ich mich immer wieder auf jemand anderen einlassen kann.
Wie entscheidet sich das, welches Kind die Innenansicht bekommt?
Das entscheide ich abhängig vom Hauptfall und wähle dann das Kind, das am ehesten dazu passt. Im Haialarm konnte die Hauptfigur nur Wladi sein.
Die Gruppe besteht auch aus Kindern mit ganz unterschiedlichen sozialen Hintergründen.
Ja, wie das so ist, wenn man sich in der Grundschule kennenlernt. Im ersten Band ging es um Fahrraddiebe, und die vier waren alle betroffen und wollte ihre Räder zurückhaben. Wladi wurde zwischendurch dann beschuldigt, auf einem der gestohlenen Räder gesehen worden zu sein. Seine späteren Bandenmitglieder glaubten ihm, und so schlossen die vier sich zusammen.
Inzwischen sind die Kinder auch auf unterschiedlichen Schulen.
Genau. ‚Haialarm‘ ist das erste Buch, in dem sie unterschiedliche weiterführende Schulen besuchen. Die Kinder gehen aus verschiedenen Gründen auf verschiedene Schulen, pflegen aber ihre Freundschaft und treffen sich, obwohl es mehr Aufwand bedeutet. Umso mehr braucht es einen Ort, an dem die Kinder sein und ihre Treffen abhalten können. Das Verbindende ist eben auch, dass sie eine gemeinsame Aufgabe haben, den jeweiligen Fall zu lösen.
In ‚Haialarm‘ bekommen die Kinder in einer Szene auch Unterstützung von Ralle, der obdachlos ist. Du selbst bist auch Chefredakteurin des Straßenmagazins ‚Draußenseiter‘.
Ja, das ist in diesem Buch ein kleiner Seitenstrang. Ich bin bei ‚Draußenseiter‘ seit inzwischen neun Jahren Chefredakteurin. Das Heft kommt monatlich raus und ich arbeite mit ehrenamtlichen Mitarbeitern, Journalisten und Autoren und natürlich mit Wohnungslosen, die auch für das Heft schreiben, oder die Themen liefern und es dann auch auf der Straße verkaufen. Diesmal ging es um das Thema Wohnen, denn es war auch eine Konferenz geplant zum Thema Immobilienhaie. Das überschnitt sich gerade zufällig thematisch etwas. Im nächsten Heft, das Anfang September erscheint, wird es dann um das Thema Sport gehen. Zudem betreue ich noch eine Dialysezeitung für Kinder, ‚Niri News‘. Ich bin dann einmal im Monat in der Kinderdialyse in der Uniklinik. Die Zeitung erscheint zweimal im Jahr, und es gibt einen Verein für chronisch nierenkranke Kinder, der die Zeitung trägt. Sie besteht aus etwa 12 Seiten mit Artikeln von Ärzten, von Eltern, von Kindern. Über alles mögliche geht es da, Krabbelgruppen, eine rollende Bibliothek, Informatives. Und soll Mut machen. Das sind oft sehr bewegende Geschichten.
Bist Du viel unterwegs?
Weil ich selbst auch zwei Kinder habe, die inzwischen beide auf der weiterführenden Schule sind, muss ich natürlich auch immer zusehen, dass ich die Lese-Reisen organisiert bekomme. Der rote Faden ist das Schreiben. Ich bereite Themen auf, die mich selbst interessieren. Ich möchte Köln kennenlernen, da ich hier nicht geboren bin, ich komme aus Kaiserlautern. Aus den journalistischen Themen kann ich Ideen für die Kinderbücher ziehen. Und im Krimigenre kann ich manchen Themen ein wenig die Schwere nehmen und sie trotzdem aufgreifen, aber eingebettet in eine Geschichte, die eben vor allem spannend sein soll.
Wie ist das Feedback von den Kindern? Gibt es Themen, die die Kinder über die Geschichte hinaus weiterbeschäftigen?
Ja, auf jeden Fall. Die Kinder geben ein sehr lebendiges Feedback. Bei diesem Buch ist es so, dass sich anschließend oft ein Gespräch über Armut entwickelt. In einem anderen Buch, der ‚Castingfalle‘ wird Dialyse bei Kindern thematisiert. Wenn man so etwas anreißt, kommt sehr viel Interesse bei den Kindern, und man kann mit ihnen stundenlang diskutieren. Dann erzählen sie selbst von ihren Erfahrungen oder ihrem Umfeld. Die Lesungen kommen gut an und sie sind auch wichtig.
Wo liest Du?
Oft in der vierten Klasse einer Grundschule, oder auch in der fünften, sechsten Klasse der weiterführenden Schulen. Manchmal komme ich auch mehrere Tage hintereinander und mache dann noch einen Schreibworkshop. Das ist toll, weil es noch intensiver ist. Idealerweise so mit 10 bis 15 Kindern. Ich habe auch einen anderen Blick auf die Kinder. Die Lehrer sind manchmal erstaunt, wenn ich aus den Texten die Kinder auswähle, mit denen ich gern weiterarbeiten würde. Sicher fällt mir auch auf, wenn sie sich nicht so glatt ausdrücken oder die Rechtschreibung hakt. Aber ich bin eben auch keine Deutschlehrerin. Mein Fokus liegt auf den Ideen, die in den Texten liegen.
Haben die Kinder die Bücher schon gelesen, wenn Du in die Schulen kommst?
Eigentlich nicht. Aber auch das funktioniert. Neulich ist mir das passiert, in Porz. Die Klasse hatte die Bücher gerade frisch gelesen und kannte sie besser als ich. Die haben mit mir nochmal ganz anders inhaltlich diskutiert. Das war sehr interessant. Und eine Klasse einer Schweizer Schule hat den ersten Band der Reihe selbst als Theaterstück umgeschrieben und anschließend aufgeführt. Nachdem ich vor einer Weile in der Grundschule gelesen habe, in der auch meine Kinder gewesen sind, bei mir um die Ecke, da kam es anschließend vor, dass morgens, wenn ich noch im Schlafanzug war, Kinder klingelten und fragten, ob ich noch ein Buch hätte. Die kamen offenbar nicht auf die Idee, dass es die vielleicht im Buchladen geben könnte.
Was gibst Du Kindern mit, die selbst Interesse am Schreiben zeigen?
Vor allem, dranzubleiben. Das Schreiben ist ein Handwerk, es braucht Übung. Weitermachen und die Sachen anderen zu lesen geben, dann entwickelt es sich. Natürlich gibt es besondere Talente, aber das Meiste ist Handwerk, und das kann man lernen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Christina Bacher liest aus ihrem aktuellen Buch ‚Haialarm‘ am Samstag, den 5. September 2015 um 15.30 Uhr in der Maternusbuchhandlung in der Severinstr. 76.
Der Eintritt kostet für Kinder 3,- und für Erwachsene 5,- .
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