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Kultur

Hamsterrrad oder Entschleunigung – Wie wollen wir leben?

Dienstag, 25. September 2012 | Text: Antje Kosubek | Bild: Barbara Siewer

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Nach Feierabend noch schnell E-Mails checken? Schon wieder zu wenig Zeit für Freunde und Familie und den Geburtstag von Onkel Herbert vergessen? Wer kennt das nicht, wenn man sich trotz vorprogrammierter Waschmaschine, Smartphone und Gemüsetüte im Abo wieder durch den Tag gehetzt hat. Und immer bleibt der Beigeschmack zurück, trotzdem keine Zeit gespart zu haben. Ist das nun ein gesellschaftliches Phänomen oder mangelndes  Zeitmanagement des Einzelnen?

 

Der Grimme-Preisträger Florian Opitz hat sich auf die Suche gemacht. Sein Dokumentarfilm „Speed – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ ist ein kurzweiliger, bunter und vor allem politischer Film. Er trifft auf erfolgreiche Unternehmensberater und Akteure, die im internationalen Finanzmarkt aktiv sind und an der Zeitschraube drehen. Und er lernt Menschen kennen, die aus ihrem ganz persönlichen Hamsterrad ausgestiegen sind und solche, die nach gesellschaftlichen Alternativen suchen, wie den Zeitungsredakteur, der ein halbes Jahr auf Handy und Internet verzichtete.

 

Ich traf den Kölner Regisseur am Nachmittag vor der NRW-Premiere seines Films im Odeon Kino. Zu Beginn unseres Gesprächs kam ich allerdings leicht ins Schwitzen, denn für das Interview hatten wir nur 30 Minuten Zeit, und Florian Opitz kam zu spät.

Meine Südstadt: Gehört Warten nicht mehr zum Alltag in unserer Gesellschaft?
Florian Opitz: Ich glaube, früher waren Wartezeiten oder die Pausen, die man gemacht hat, ein natürlicher Bestandteil unseres Lebens. Heute ist unsere Gesellschaft darauf getrimmt, jede Minute effektiv auszunutzen. Jeder Moment, jede Minute muss mit Inhalt gefüllt werden, sei er auch noch so banal. Wenn man mit dem Zug reist, sieht man kaum noch Menschen, die ein Buch lesen. Die meisten tippen in ihr Smartphone, sehen einen Film auf ihrem Laptop oder arbeiten im Zug. Die Zugfahrten, die man früher dazu genutzt hatte, um eine Pause zu machen oder einfach nur aus dem Fenster zu schauen, gibt es nicht mehr, denn sie sind nicht produktiv.

Beeindruckt hatte mich im Film der Besuch bei Rudi Wötzel, einer ehemaligen „Heuschrecke“ der Bank Lehman Brothers, der heute in den Schweizer Bergen versucht, ein neues Leben zu finden.
Rudi ist angekommen in der Welt, die er sich gesucht hat. Geld und Karriere hatten ihn nicht mehr glücklich gemacht. Schön bei ihm war, dass er zu seinem vorherigen Leben genügend Abstand gewonnen hatte und darüber sprechen konnte. Im Film finden sich viele verschiedene Episoden, die von ganz unterschiedlichen Menschen geprägt werden.

Ihr Film hat einen absoluten Wiedererkennungswert. Wir sind alle Betroffene vom „Beschleunigungsprozess“ und wünschen uns nichts sehnlicher als „Entschleunigung“. Eigentlich sollten uns doch die modernen Techniken viel mehr Zeit geben, uns von vielen Dingen entlasten. Doch im Strudel von Effektivität und Produktivität wird alles Soziale und Humane immer nebensächlicher.
Mir ist wichtig, dass es kein Film über das Zeitproblem von Florian Opitz ist. ,Speed – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit‘ ist natürlich ein politischer Film, weil er ganz klar die Systemfrage stellt. Wir müssen etwas tun, um uns von dem Hamsterrad zu emanzipieren. Positive Gesellschaftsentwürfe formulieren und nicht nur Wettbewerb, Wachstum und Beschleunigung als Ziele unseres Lebens und unserer Gesellschaft zu definieren. Es ging mir auch um den Zusammenhang von Beschleunigung und Burnout. Langsamere Medien wie Dokumentarfilme können sich die Zeit lassen und diese Zusammenhänge aufdecken.

Wie kam es zu der Idee?
Man wird älter, bekommt Kinder, die eigenen Eltern werden älter und man stellt sich Fragen, warum sein Leben so lebt. Das geht vielen Leuten so. Bei mir war es natürlich das Erlebnis der Geburt meines ersten Kindes, der Tod meines Vaters, aber auch die existentielle Erfahrung der Gefangenschaft in Nigeria. Wir wurden dort vom Geheimdienst verhaftet und waren zwei Monate im absoluten Ungewissen, ob wir verurteilt werden und in welchem Ausmaß. In dieser Zeit hatte das Buch vom Soziologen Prof. Hartmut Rosa über die ,Beschleunigung und die Veränderungen der Zeitstrukturen‘ gelesen. Das war die Geburtsstunde des Films.

Florian Opitz im Gespräch mit Redakteurin Antje Kosubek.

 

Was können wir anders machen? Außer Nachdenken über uns und die Gesellschaft?
Also, für mich ist es schon sehr viel, wenn ich mit meinem Film einen Anstoß geben kann, über das eigene und gesellschaftliche Hamsterrad nachzudenken. Das Motto: „Immer besser, immer schneller, immer höher“ geht ja auch darum, andere aus dem Weg zu räumen. Das sehen wir an den boomenden Castingshows. Hier wird der neoliberale Wettbewerbsgeist und das Denken in ständiger Konkurrenz bereits Kindern vorgelebt.

Das bedingungslose Grundeinkommen, bei dem jeder Bürger unabhängig von seiner wirtschaftlichen Lage vom Staat eine gesetzlich festgelegte und für jeden gleiche finanzielle Zuwendung erhält, für die keine Gegenleistung erbracht werden muss, ist in Deutschland umstritten. Sie thematisieren es im Film.
Es gibt viele verschiedene Varianten des Grundeinkommens. Ich finde daran gut, dass es an ein paar elementaren Punkten ansetzt, die für mich das Problem der Gesellschaft sind. Allein deswegen könnte man es einfach mal ausprobieren. Genauso wie Elemente des ,Bruttonationalglücks‘ in Buthan, die durchaus einmal von uns analysiert werden können. Doch soweit kommen wir ja nicht in unserer Alltagspolitik der Sachzwänge und Alternativlosigkeit. Und gleichzeitig sehen wir, dass es die Schere zwischen Arm und Reich immer größer werden und die Umweltschäden durch den Wachstumswahn kontinuierlich  zunehmen. Wenn es dann, durch meinen scheinbar harmlos daherkommenden Film gelingt, Menschen zum Nachdenken anzuregen, ist das gut. Egal, ob man dann am Wochenende das Handy ausschaltet und lieber mit den Kindern spielt oder an einer
Demonstration oder Petition teilnimmt.

Auf dem Weg zur Arbeit stellen Sie fest, dass Sie Ihr Handy zu Hause vergessen haben. Löst das bei Florian Opitz noch einen Schweißausbruch aus?
Fast! Es ist für mich eine recht typische Situation, die mir bestimmt einmal pro Woche passiert. In den seltensten Fällen bleibe ich cool und gelassen, meistens fahre ich wieder nach Hause und hole das Handy. Meine Frau sagt dann immer, wie kann das sein?! Du machst einen Film über „Entschleunigung“ und hast dich kaum verändert. Aus meiner Sicht hat sich aber schon etwas verändert, nur eben nicht alles.

Florian Opitz ist ein deutscher Dokumentarfilmregisseur, Autor und Journalist. Sein  Kinodebüt „Der große Ausverkauf“ wurde 2009 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Der bundesweite Kinostart von „Speed – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ ist am 27. September. Das gleichnamige Buch erschien im Herbst 2011.
 

Text: Antje Kosubek

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