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Kultur

Hauptsache laut

Donnerstag, 14. Juli 2011 | Text: Nora Koldehoff | Bild: Uwe Müller

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Manchmal hört man sie schon, bevor man sie sieht. Gern beginnt das „Kunstorchester Kwaggawerk“ mit dem Spielen nämlich schon lange, bevor es die Bühne auch nur erreicht hat. Falls es überhaupt eine gibt. Denn um seine Vorstellung von Musik einem Publikum nahe zu bringen, reicht gern auch eine Wiese oder ein Platz oder eine Straße. Dort hört man die Bläser und die Trommler und die Percussion dann erst aus einiger Entfernung, spürt akustisch, dass da irgendetwas näher kommt – und sieht als erstes meistens einen Mann, der exaltiert die Rumbarasseln schwingt. Wolfgang Zurborn ist zwar nicht der Frontmann des „Kwaggawerks“, aber inzwischen schon so etwas wie ein lebendes Markenzeichen. „Kwaggawerk macht einfach Spaߓ beschreibt der hauptberufliche Fotograf seinen vollen Körpereinsatz. „Das reißt mit, und irgendwann sieht man niemanden mehr, der noch ruhig auf der Stelle steht.“

Wer das Kunstorchester Kwagawerk live erleben will, hat dazu dieses Wochenende in der Südstadt auf dem Edelweißpiratenfestial die Gelegenheit.

Gegründet hat das Orchester vor fast sechs Jahren der Schweizer Komponist Reto Stadelmann. Ihren ersten Auftritt absolvierte die Combo dann schon einige Monate später – beim Geisterzug im Karneval. Wer „Kwaggawerk“ hört und sich ein wenig in der Musikgeschichte auskennt, wird außerdem schnell eine Nähe zur so genannten „Guggenmusik“  bemerken, mit der in der Schweiz und in Süddeutschland am Winterende die Geister vertrieben werden: Knapp neben der Melodie gespielte Blechblasmusik wird dabei mit viel Kawumms rhythmisch begleitet.

Trotzdem versteht sich die Gruppe keinesfalls als Bestandteil der Karnevalsmusik.
„Kwaggawerk“ nennt sich selbst „Kunstorchester“, und die Kunst dabei ist zum einen die Absicht, die eigenen Auftritten immer wieder als Aktionen zu gestalten oder anderer Künstler bei deren Performance zu begleiten. Solche Auftritte können völlig unterschiedlich ablaufen: „Kwaggawerk“ spielen auf Festivals, bei Kunstevents, bei der Eröffnung einer avantgardistischen Galerieoder einem Museum, einem Kindergartensommerfest, beim Karneval oder einfach als Zäsur im ganz normalen Straßenalltag, als eine Art Happening. Dann reißt die Musikertruppe ihre Zuhörer durch den eigenen Enthusiasmus für eine Weile mit – und aus dem Alltag der Einkaufsmeile heraus.

Fragen wirft dabei immer wieder die Namensgebung auf. Das Kwagga, oder eigentlich Quagga, ist eine inzwischen ausgestorbene Unterart des Steppenzebras, halb Zebra, halb Pferd – als nicht so ganz das eine und nicht so ganz das andere. „Entlebuch und ein halbes Zebra“ hieß folgerichtig im August 2008 auch eine von Stadelmann organisierte Veranstaltung, bei der er die Blasmusiker der Schweizer Region Entlebuch mit seiner Kölner Truppe für ein an unterschiedlichsten Orten in ganz Köln stattfindendes Konzert zusammen brachte. Das Zebrapferd ist trotzdem nicht das Wahrzeichen des Orchesters, sondern eher ein loses Symbol, das freie Assoziationen zulässt, dadaistisch anmutet und bei jedem Auftritt mit neuer Bedeutung gefüllt werden kann.

 

Kunstorchester Kwaggawerk / Foto: Linn Seeger

 

So wie Reto Stadelmann auch die Guggenmusik mit neuem Inhalt füllt, Lieder auswählt, sie auf sein Orchester bezogen um arrangiert und auf diese Weise eine völlig neue musikalische Ausdrucksform. Da folgt auf „Super Trooper“ der   „Griechische Wein“, und nach „Like a Prayer“ wird „Poison“ gespielt. Abba, Udo Jürgens, Madonna, Alice Cooper – alles erkennbar und doch ganz anders. Das Orchester spielt aber auch eigene Kompositionen und setzt sie theatralisch in Szene.
Und wenn von der Gruppe nun jemand nicht ganz so perfekt Noten lesen kann, findet Stadelmann auch hierfür eine Lösung und lässt notfalls nach Gehör spielen..
Denn anders als in anderen Orchestern, in denen ein möglichst perfekter Klang im Vordergrund und die Individualität der einzelnen Mitglieder dagegen zurücksteht, wird bei „Kwaggawerk“ gerade sie gelebt und teilweise sogar gar zelebriert: Individualität muss nicht dissonant klingen.

Kwaggawerk besteht aus inzwischen 50 Mitgliedern, darunter einigen Musikern, die meisten aber sind Laien. An Stelle von Berufsmusikern spielen in diesem Orchester viele Künstler aus anderen Disziplinen mit: Fotografen, Bildhauer, Grafiker, aber auch Nichtkünstler mit Freude an der Musik bringen ihre Individualität und den Enthusiasmus fürs gemeinsamen Spielen ein. Eine große Akzeptanz und der Respekt vor den Eigenheiten des Anderen macht die besondere Atmosphäre des Orchesters aus.  
Dass alle fünfzig Mitglieder neben ihrer Arbeit und dem Alltagsleben so regelmäßig wie es eben geht, an Proben und Auftritten teilnehmen, funktioniert nur über die gemeinsame Euphorie.

Das ein oder andere Ensemblemitglied hat sein erstes Instrument einfach bei ebay bestellt. Ihr Bestes geben sie alle – und das kommt nicht von allein. Regelmäßig und anspruchsvoll wird im Kellerraum einer Kirche geprobt. Das oft leicht schräg klingende Gesamtergebnis aber ist kein bewusst eingeübtes Resultat dieser Proben. Es ergibt sich einfach durch die heterogene Mischung der Gruppe. Schmerzhaft ist das für den Profimusiker Reto Stadelmann nicht. Auch für ihn stehen Aspekte wie die  Geselligkeit, die Lust an der ursprünglichen ungezähmten Kraft der Musik – und sicher auch der Gegensatz zu jener eher akademischen avantgardistischen Klassik im Mittelpunkt, die den anderen großen Teil seiner Arbeit ausmacht. Dabei liegen ihm nicht nur das Projekt Kunstorchester, sondern auch dessen Musiker am Herzen. Deshalb spielt der Schweizer auch weiterhin mit, wann immer es geht. Die musikalische Leitung aber hat er Anfang dieses Jahres an das jüngste Ensemblemitglied, Roman Aragorn Söntgerath, abgegeben.

 

 

 

Kunstorchester Kwaggawerk spielt im Rahmenprogramm des Edelweißpiratenfestival.
Fr. 15.07., 19:00 Uhr Baui im Friedenspark, Köln
Film + Diskussion + Musik
»Nachforschungen über die Edelweißpiraten«, Dokumentarfilm von Dietrich Schubert. Im Anschluss Diskussion mit dem Filmemacher und dem Schriftsteller und Zeitzeugen Peter Finkelgrün über den schwierigen Kampf um die Annerkennung der Edelweißpiraten. Den musikalischen Rahmen bildet das Kunstorchester Kwaggawerk – Eintritt: Spende

Kunstorcherter Kwaggawerk spielen auch am Sonntag um 15 und 18 Uhr auf dem Edelweißpiratenfestival.
Edelweißpiratenfestival
Sonntag, 17. Juli 2011 ab 14.30 – im Kölner Friedenspark

Mehr Infos und etwaige Änderungen erfahrt Ihr im Internet-Seiten: www.edelweisspiratenfestival.de oder www.facebook.com/Edelweisspiratenfestival

Text: Nora Koldehoff

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