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Kultur

Helden im Dom

Samstag, 7. März 2015 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Endlich mal ein richtig gutes Jugendbuch, das in Köln spielt. „Flüchten und Fliegen“ heißt der Roman, den der Südstädter Christoph Schmitz geschrieben hat. Er erzählt die Geschichte von Anton, der nicht nur ziemlich gut klettern kann, sondern auch das Glück hat, im Jahr 2049 mit seinen Eltern im Südturm des Doms zu leben. Köln hat sich verändert, auf den Poller Wiesen ankern riesige Luftschiffe, und die Kathedrale ist längst keine Kirche mehr, sondern ein Museum.

Der Plot: Die Dombaugesellschaft liegt im Clinch mit der Stadt. Denn im Dom und dem Gelände drumherum haben die Handwerker sich eine kleine Mikrogesellschaft aufgebaut, sie sind Selbstversorger, mit eigenem Garten und eigenen Regeln. Und die Stadtverwaltung will die Gesellschaft weghaben aus dem Dom. Anton ist da mittendrin mit seiner Freundin Milena – und beide brauchen eine ziemlich gute Idee, damit die marode Kreuzblume auf dem Südturm nicht herunterstürzt. Die Zeit läuft gegen ihn.

Der Autor Christoph Schmitz ist ein zurückhaltender, warmherziger Mensch, der sich viele Gedanken über seine Stadt und ihre Zukunft macht. Hauptberuflich arbeitet er beim Deutschlandfunk in der Kulturredaktion und moderiert regelmäßig die Sendung „Kultur heute“. Im „Geschnitten Brot“ an der Alteburger Straße hat er uns erzählt, was die Initialzündung für seinen Roman war.

Christoph Schmitz: Das war eine Kindergeschichte. Ich habe meinen Kindern immer spontan erzählt, aus dem Stegreif. Je skurriler, desto besser fanden sie es. Einmal habe ich eine Geschichte erfunden, in der ein Junge aus der Schule abhaut, den Südturm des Doms hochklettert und dann von oben auf den Lehrer runterpinkelt. Das war die Keimzelle. Meine Kinder haben sich krankgelacht, und dann gärte die Geschichte wie ein Hefeteig. Aus dem Jungen wurde später Anton. Aber er pinkelt nicht mehr vom Turm.

Meine Südstadt: Wenn Abenteuer in der Kirche spielen, dann denkt man an den „Glöckner von Notre-Dame“ von Victor Hugo.
Ja, die Gotik, und das Mittelalter, das spielt auch bei mir eine Rolle. Das Verwinkelte, Schattige, Düstere. Der Glöckner klettert ja auch in seiner Kathedrale herum und kennt jeden Winkel. Bei mir kennen sich die Kinder im Dom bestens aus, klettern überall herum. Und diese ganze Bilderwelt des Doms, die engen Gassen drumherum, der Fluß, der sich durch diese Welt schlängelt, das  das hat was von einer gothic novel.

Ihr Buch spielt 2049. Ist das eine Dystopie, eine Handlung in einer schlechteren Zukunft? So wie „Die Tribute von Panem“, „Die Bestimmung“ und „Die Auserwählten – Im Labyrinth“?
Nein, es ist eher eine Utopie. Denn meine Dombaugesellschaft versucht ja, eine ideale Gesellschaft zu leben, geprägt von Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit, abseits von Kommerz und Hightech. Sie haben sich einen Paradiesgarten gebaut, sie versorgen sich autark und haben eine Gemeinschaftskasse. Es reicht für alle, aber keiner macht große Sprünge.

Also kommunistisch.
Ja, wenn Sie so wollen, eine  sozialistische Gemeinschaft, aber keine atheistische, denn es gibt einen spirituellen Unterton. Und es ist eine freie Gemeinschaft. Niemand muss sich ihr anschließen. Es gibt keinen Zwang, sondern Freiheit. Man könnte auch von einer christlichen Urgemeinde sprechen.

Hätte es in Ihrem Köln 2049 nicht mehrere solcher Keimzellen geben müssen? In anderen Museen, in Fabrikhallen?
In meiner ersten Textversion sieht Anton, dass auch andere Kirch- und Brückentürme beleuchtet sind. Dass es da noch andere von diesen Außenseitergemeinschaften geben muss, ein Netzwerk des Widerstands. Das wurde dann aber für den Drei-Tage-Rhythmus meines Buches zu viel. Aber: Obwohl es einen spektakulären Schluss gibt, ist die Handlung nicht zuende.

Wie haben Sie das Köln von 2049 verfremdet?
Köln hat sich sehr verändert. Auch das Umland. Das Bergische Land ist übersät mit Photovoltaik-Anlagen Windradwäldern. Blitzende Personenzüge schießen durch die Stadt. Die Kölner tragen Hightech-Kleidung, die sich nur die Reichen leisten können, eng anliegend, widerstandsfähig. Und es gibt dieses Transportsystem mit Cargoliftern, riesige Luftschiffe, die auf den Poller Wiesen ihre Basis haben.

Und fest in chinesischer Hand sind.
Ja, die Chinesen sind gut im Geschäft. Und es gibt auch noch eine bizarre Eventkultur mit U-Boot-Parties im Rhein.

Und der Oberbürgermeister heißt „Stadtpräsident“.
Es sind eben andere politische Strukturen, aber das deute ich nur an. Die Geschichte spielt 35 Jahre in der Zukunft, ich habe unsere heutige Technik einfach weitergedacht. „Flüchten und Fliegen“ ist kein kein Science-Fiction-Roman. Ich wollte auch nicht auf der Fantasywelle reiten. Bei mir braucht keiner magische Kräfte oder einen Zauberstab, um spektakuläre Sachen zu erleben.

Wie passt diese Gesellschaft, die da bei Ihnen im Dom lebt, in die Stadt hinein?
Sie machen den Zeitgeist nicht mit. Die Dombaugesellschaft hat kein WLAN. Das Domareal ist eine online-freie Ruhezone, und die Gongschläge markieren die Ruheminuten für die Bewohner. Es ist ein Ort ohne Hektik, ein geistiger Ort. Das ist der Unterschied zur Stadtgemeinschaft.

Wer hat Ihnen den Dom gezeigt?
Eigentlich war es ganz am Anfang eine CD-ROM. Mit ihr konnte ich den Dom interaktiv anklicken und virtuelle Rundgänge machen. Dann habe ich Bücher und Bildbände gelesen und öffentliche Führungen mitgemacht, zum Beispiel über die Dächer. Am Ende hat mich der Pressesprecher der Dombauverwaltung noch einmal zu den Handlungsorten geführt, Matthias Deml. Da hatte ich das Buch schon geschrieben, und danach musste ich hier und da etwas nacharbeiten (er lacht).

Also stimmt architektonisch alles.
Es hat keiner von der Dombauverwaltung gegengelesen. Ich bin gespannt, ob sich ein Leser meldet und sagt: Herr Schmitz, das und das ist falsch.

Wie gefällt Ihnen das Köln des Jahres 2015?
Der Rhein hat ein ungeheures Potenzial. Das wird mit den Rheintreppen in Deutz etwas mehr genutzt. Ich finde Ruhezonen in der Stadt sehr wichtig. Grüne, freie, offene Bereiche. Der Ebertplatz und viele andere Plätze müßten dringend umgestaltet werden. Albert Speers Masterplan enthält viele gute Ideen.  Aber der öffentliche Raum in Köln ist immer noch oft verschandelt und sehr schlecht gepflegt.In meinem Buch verändere ich Köln ein wenig. Die Domplatte ist weg, man geht nicht mehr über das Dach  einer Tiefgarage. Der Mensch braucht Erdkontakt: Dort, wo heute das Römisch-Germanische Museum steht, habe ich eine Art  Paradiesgarten gepflanzt. Blumen, Rebstöcke, Obststräucher und –bäume, Erdbeerfelder und Gemüsefelder wachsen hier, die Dombauer halten Hühner, Gänse, Schweine, Ziegen und eine Milchkuh. In einem großen Brunnen schwimmt ein ganzer Forellenschwarm.

Antons Eltern rauchen permanent so ein „grünes Gras“. Warum sagen Sie nicht Marihuana?
Letztlich zeigt das die Distanz zwischen Eltern und Sohn. Sie sind egozentrisch, sie kiffen, sie wollen Spaß haben und in Ruhe gelassen werden, und um Anton kümmert sich die Großmutter. Heute reden wir ja viel von Helikoptereltern und Überbehütung, aber Unterbehütung ist genauso real.

Wann und wo schreiben Sie?
Um acht Uhr geht’s mit dem Schreiben los, eineinhalb Stunden lang, manchmal weniger, bis der Redaktionsalltag im Deutschlandfunk losgeht.

Nur eineinhalb Stunden?
Da muss man gut vorbereitet sein. Ich plane die einzelnen Schritte sehr genau und kann sie dann in kleinen Portionen abarbeiten.

Macht das Freude???

Trotz aller Mühe und Beamtendisziplin ist das eine großartige Freiheit. Ich komponiere eine Welt, ich baue, entwickle, fantasiere. Das ist ein großes Glück.

Was würden Sie machen, wenn Sie eine Nacht im Dom verbringen dürften?
Ich würde mit einer Isomatte rauf auf den Südturm gehen und in den Sternenhimmel schauen, im Cockpit dieses Raumschiffs liegen und ins Universum schauen.

Dankeschön.

Christoph Schmitz: Flüchten und Fliegen.

Boje Verlag. 222 Seiten. 12,99 Euro.

Die Buchhandlung am Chlodwigplatz hat das Buch vorrätig, es gibt auch handsignierte Exemplare.
 

Text: Jörg-Christian Schillmöller

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