Herstory und History: 50 Jahre Frauenbewegung
Dienstag, 14. September 2021 | Text: Elke Tonscheidt | Bild: Elke Tonscheidt / Frauen Media Turm FMT
Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten
Über allem, die Frage: Wie wollen wir leben? Eine Antwort: „Ich träume von einer Welt, in der Männer verstehen: Wenn ich einen Menschen aus meinem Loch raus pusten kann, kann ich auch eine Waschmaschine reparieren.“
Anzeige
Meine Südstadtpartner
BagatelleTamika Campbell, Comedian und in Brooklyn aufgewachsen, fand deutliche Worte – die alleinerziehende Mutter einer 12jährigen Tochter ist eine der Frauen, die am Wochenende im Rheinauhafen diskutierten: 50 Jahre Frauenbewegung – der FrauenMediaTurm hatte zu einem gleich zweitägigen Event eingeladen und ich war zu Gast.
Riesenprogramm
Eine Mischung aus Kongress und Unterhaltungs-Event. Drei Generationen debattieren über die großen Themen der Frauenbewegung: von Betroffenen wie der Afghanin Shikiba Babori und Aktivistinnen aus Frauen- oder Klimabewegung bis zu Wissenschaftlerinnen wie Prof. Jutta Allmendinger oder Ute Frevert und Autorinnen wie der Schriftstellerin Jenny Erpenbeck. Ein Riesenprogramm also und ein Mix aus politischen und wissenschaftlichen Debatten, generationenübergreifend: Pionierinnen der neuen Frauenbewegung diskutieren die Zukunft der Frauenarbeit, es geht um Themen wie Identitätspolitik und Feminismus oder um (Sexual)Gewalt & Männlichkeitswahn. Das Thema Prostitution wird genauso besprochen wie die Herausforderung Transsexualität & Identität.
Besonders gelungen finde ich den Programmpunkt, in dem Schauspieler*innen, u.a. Mechthild Großmann und Edgar Selge, Schlüsseltexte der neuen Frauenbewegung lesen. Erinnert wird so an, natürlich, Simone de Beauvoir, deren Essay „Das andere Geschlecht“ 1949 zum Leuchtturm der Frauenbewegung wurde; bis hin zu Susan Faludi, die 1991 in ihrem Essay „Backlash“ die Mechanismen analysierte, mit denen die Errungenschaften der Frauenbewegung bekämpft wurden.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf – eine Utopie?
Sehr lebhaft geht es zu im Panel „Wie wollen wir leben?“, das die Philosophieprofessorin Petra Gehring mit einer denkwürdigen Keynote eröffnet. So fragt sie herausfordernd, wohin die Reise denn gehe, wenn Feminismus ein Aufbruch sei. Und weiter: „Ist das, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, heute eine Utopie?“
Alice Schwarzer, Ikone der deutschen Frauenbewegung, moderiert das Panel selbst: „Wir wollen über unsere Träume reden, über unsere Zukunft.“ Wie diese aussehen, bringen die Frauen gut auf den Punkt. So träumt die Philosophin weiter von einem anderen Zusammenleben („Kollektiver!“) und bringt, sehr humorvoll, alte WG-Zeiten in Erinnerung („gemeinsam dement und humpelig werden und über junge Leute lästern“). Die in Ost-Berlin aufgewachsene Schriftstellerin Jenny Erpenbeck stellt „das Allheilmittel wirtschaftliches Wachstum“ in Frage und „hätte gern mal eine Welt, in der nicht alles von Werbung zugepflastert ist“.
Und die Journalistin Hannah Lühmann sieht in der coronabedingten Aufwertung des Privaten zumindest „ein gewisses Potential“. Hatte sie doch kürzlich in einem Artikel über eine neue Organisationsform des Alltags in der EMMA geschrieben: „ … ich habe das Gefühl, dass es gerade die Männer sind, die doch jetzt verstehen könnten. Und dass es in ihrem Interesse ist, dafür zu kämpfen, dass sich die Dinge einmal – endlich – ändern.“
Fridays for Future mischt auf
Gut gefallen hat mir die Idee, mit Leonie Bremer eine der Sprecherinnen von Fridays for Future einzuladen. Denn die Kölner Klimaaktivistin spitzt die Frage, wie wir leben wollen, extrem zu. Ihr sei gesagt worden, sie könne in ihrem Leben alles machen, erklärt Bremer. Doch die Realität sehe komplett anders aus. „Ich bin gezwungen diesen Aktivismus zu machen, weil unsere vorherige Generation und die Verantwortlichen jetzt gerade immer noch nichts dafür tun, dass meine Zukunft nicht richtig bitter wird.“ Sie könne sich vieles vorstellen, was sie lieber täte, als sich immer wieder mit der Krise zu konfrontieren. Doch ruhig an ihrem Schreibtisch für die Uni zu lernen, sei ihr unmöglich, wenn anderen Aktivsten im internationalen Netzwerk wieder ein Sturm drohe oder eine Region geflutet sei.
Großen Applaus gibt es, als sich Tamika Campbell bedankte. Sowohl bei der Fridays for Future Bewegung als auch bei allen Frauen im Publikum, denn: „Ich darf als schwarze Frau hier in Deutschland sitzen, weil Ihr für unsere Rechte auf die Straße gegangen seid.“ Und sie erinnerte daran, wieviel Zeit allein diese Bewegung gebraucht habe. Campbells Appell: Jeder Generationskampf sei genauso wichtig wie der darauffolgende.
Anzeige
Meine Südstadtpartner
Hotel am Chlodwigplatz – Raum für´s VeedelSteilvorlage für die Philosophin
Eine Steilvorlage für die Philosophin, die ergänzt: „Es geht nicht immer nur voran. Es kann eigenartigerweise gefühlt vorangehen und trotzdem unheimlich zurückgehen. Gleichzeitig.“ So irre das sei. „Man muss alt werden, um zu dieser schockierenden Einsicht zu kommen.“ Und so ruft Gehring alte politische Bewegungen in Erinnerung, die teilweise sogar „deutlich brutaler, krasser und alltagswirksamer“ ökologische Fragen formuliert hätten. Danach könne das aber wieder aus dem öffentlichen Bewusstsein, der politischen Agenda und den Produktlinien von Unternehmen verschwinden. Leider, möchte ich hinzufügen.
Und so kann auch Leonie Bremer diese Perspektiven zwar nachvollziehen, jedoch nicht akzeptieren. Im Gespräch mit meinesuedstadt sagt die 24jährige Fridays for Future-Aktivistin: „Wir leben weiter in einem rassistischen, diskriminierenden System. Es ist ein Mythos, dass alle Menschen die gleichen Chancen haben, wenn sie sich genug anstrengen. Das ist ein toxischer Gedanke, der alle gesellschaftlichen Barrieren, die der Feminismus eigentlich durchbrechen will, ignoriert. Ich wünsche mir sehr, dass alle solidarisch für einen echten Systemwechsel kämpfen. Besonders mit denen, die am stärksten von geschlechtsspezifischer Gewalt und Ungleichheit betroffen sind, also marginalisierten gesellschaftliche Gruppen: Frauen of Colour, indigene Frauen, Frauen in ländlichen Gebieten, junge Frauen, Mädchen mit Behinderungen, gender-nonkonforme und transgender Jugendliche.“
Schaut Euch die Website des FrauenMediaTurm an. Dort findet Ihr zahlreiche Dokumente zum Aufbruch der Frauenbewegung, wie z.B. das aktuelle Herstory-Projekt des FMT: „13 Pionierinnen der Frauenbewegung“, in dem sie sich leidenschaftlich an die Radikalität und den Übermut des Aufbruchs erinnern.
Dir gefällt unsere Arbeit?
meinesuedstadt.de finanziert sich durch Partnerprofile und Werbung. Beide Einnahmequellen sind in den letzten Monaten stark zurückgegangen.
Solltest Du unsere unabhängige Berichterstattung schätzen, kannst Du uns mit einer kleinen Spende unterstützen.
Paypal - danke@meinesuedstadt.de
Artikel kommentieren