Hygienehaken für Anwohner
Montag, 8. Juni 2020 | Text: Reinhard Lüke
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Musste am Wochenende mal raus aus der Südstadt. War in New York. Bin durch die Straßen gelaufen, habe Schwätzchen mit Anwohnern gehalten und Orte entdeckt, die ich in dieser Stadt nie vermutet hätte. Okay, ich war nur im Odeon und habe mir „New York – Die Welt vor deinen Füßen“ angesehen.
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BagatelleDie Dokumentation folgt dem grundsympathischen Amerikaner Matt Green, der seinen Bürojob als Bauingenieur hingeschmissen und seine Wohnung gekündigt hat, nun bei Menschen übernachtetet, für die er Haus und Katzen sittet und seit Jahren durch New York: Geht. Jeden Tag, bei Wind und Wetter. Sein Vorhaben: Systematisch jeden öffentlich begehbaren Kilometer der Stadt erwandern. Das sind schlappe 13 000. Das klingt öde, wird aber nicht zuletzt durch die vielen New Yorker, denen er dabei begegnet, zu einem überaus faszinierenden Marathon. Am Mittwoch um 20 Uhr 15 kann man noch mal mitlaufen. Im Sitzen. Im Odeon.
Ist ja überhaupt toll, dass auch unsere Lichtspielhäuser wieder in Betrieb sind. Womit sich der groteske Hype um die Autokinos erledigt haben dürfte. Da fährt man einmal hin, findet es irgendwie kurios und das war´s dann aber auch. Wobei ich mich frage, ob man dort freie Platzwahl hat oder ob es da wie im Kindertheater nach dem Prinzip Die-Kleinen-Nach-Vorn geht. Wenn ich im Twingo hinter einen fetten SUV zu stehen komme, dürfte sich das Kinoerlebnis in sehr engen Grenzen halten.
Hefe geht
Dass wir uns vor ein paar Wochen noch um Toilettenpapier und Pasta geprügelt haben, mutet rückblickend geradezu absurd an. Aber offenbar gibt’s noch immer Engpässe. Zumindest wurde einer älteren Dame, die an der Supermarktkasse vor mit stand und vier Päckchen Hefe aufs Band legte, bedeutet, dass sie nur zwei davon erwerben dürfe. Vorschrift. Wegen Corona. Habe leider nicht schnell genug geschaltet, um die beiden anderen zu kaufen und sie der Frau zu geben. Ich wüsste jetzt auch gar nicht, wozu man auf einen Schlag vier Päckchen Frischhefe braucht. Die Lagerfähigkeit ist ja begrenzt und die Dame machte nicht den Eindruck, als kaufe sie für die Pizzeria ihres Sohnes ein. Scheint jedenfalls so, dass der neue deutsche Drang zum Backen nach wie vor ungebrochen ist. Die nackte Angst vorm Hungertod kommt dabei als Motiv kaum in Frage. Schließlich hatten Bäckereien selbst während des Shutdowns nie geschlossen.
Arme Apotheker
Erstaunlich finde ich, dass ein Hersteller von Toilettenpapier über massive Umsatzrückgänge klagt. Schon klar, die hysterischen Hamster haben sich vermutlich mit Vorräten eingedeckt, die selbst bei chronischem Durchfall bis Weihnachten reichen. Da tut Nachkauf noch lange nicht not. Doch der klagende Produzent beliefert vorwiegend Gastrobetriebe und Hotels. Und auf deren Toiletten war bis vor kurzem eher wenig los. Auch die Apotheker sind seltsamerweise unglücklich. Zwar geben sie zu, mit Masken und Desinfektionsmitteln gut verdient zu haben, dafür laufen aber die klassischen Schnupfen- und Grippemittel extrem schlecht, weil es wegen des Abstandsgebotes kaum noch zu Infektionen kommt. Und inzwischen mühen sich ja auch unsere Discounter mächtig um die Volksgesundheit im Zeitalter des Virus´. Aldi bewirbt in seinen aktuellen, gedruckten Verbraucherinformationen auf zwei Seiten allerlei Krempel von Masken in diversen Farben und Formen über Schutzbrillen bis zu Sprays und Lotionen zu Desinfektion. Mein persönliches Hightlight: Der „Hygienehaken“ für 99 Cent. Ein Werkstück, das aussieht, als sei es dem Zinken handamputierter (Film-)Piraten nachempfunden und das riskiofreie Öffnen von Türen das Bedienen von Lichtschaltern ermöglichen soll. Muss ich endlich nicht mehr im Dunklen sitzen. So wie das Teil aussieht, könnte man es womöglich aber auch als Schlagring benutzen.
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Kartäuserkirche – Evangelische Gemeinde KölnEs quietscht bei Aldi
Auch bei Aldi in dieser Woche: „Quietsche-Käse“. Angeblich „nach Original zypriotischem Rezept“. Früher hieß das mal Grill-Käse. Ich habe sowas noch nie gegessen, da ich grundsätzlich kein großer Freund steinzeitlicher Essenszubereitung bin. Kann mich nur erinnern, dass der Sohn in jungen Jahren mal von einem Kindergeburtstag zurück kam und berichtete, es habe Quietsche-Käse gegeben. Auf die Frage, was das denn sei, erklärte er, die erwärmte Masse mache beim Draufbeißen ein quietschendes Geräusch. Was ich mir nicht besonders Appetit anregend vorstelle. Und jetzt wurde die unangenehme Begleiterscheinung zum offiziellen Markennamen erhoben. Ich warte auf den ersten Brauseabfüller, der sein Getränk als Rülpsstoff auf den Markt bringt.
Anliegen ist ein weites Feld
Corona bringt ja nicht nur Nachteile mit sich. Vorm Schokomuseum bekommen wir jetzt ein Riesenrad und die Severinstraße nähert sich langsam dem Modell Fußgängerzone. Für Autos ist sie neuerdings nur noch für Anlieger befahrbar und das mit maximal 10 Stundenkilometern. Was im Prinzip auch für Radfahrer gilt, die sich aber kaum daran halten werden. Könnte man ja gleich zu Fuß gehen. Zudem ist das mit dem Anliegen ein weites Feld. Von dem ganz schlichten Anliegen „Ich will da durch!“ mal abgesehen, lässt das Gesetz bei Zuwiderhandlungen so ziemlich jede halbwegs intelligente Ausrede gelten. Geschäfts- und Privatbesuche per Auto sind jedenfalls kein Problem und wer einfach so durchfährt, kann immer noch erklären, er habe leider keinen Parkplatz gefunden. Für uns Fußgänger bringt das Ganze also herzlich wenig. Ob man nun von einem SUV (wie bisher) mit Tempo 20 oder nun 10 touchiert wird, macht nicht viel Unterschied. Da hätte man die Meile doch pfiffiger zur Spielstraße erklären können, wo Fußgänger grundsätzlich Vorrang haben. Sogar vor Radfahrern.
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