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Politik Wahlen

„Ich bin auch heute noch Radikaldemokrat“

Sonntag, 15. September 2013 | Text: Aslı Güleryüz | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 9 Minuten

…kein Basisdemokrat, sagt Matthias W. Birkwald im Gespräch mit „Meine Südstadt“ in der Wagenhalle im Comedia Theater. Bereits im Alter von 12 Jahren begann er, sich für Politik zu interessieren. Seine Karriere verlief relativ geradlinig. Nach kurzen Mitgliedschaften in der FDP (1980 – 1982) und der DKP (1988 – 1990), ist er jetzt seit 20 Jahren bei DIE LINKE (bzw. PDS). Seit September 2009 ist er Mitglied des Deutschen Bundestags. Seit 27 Jahren lebt er in der gleichen Wohnung in der Vondelstraße und hat sein Konto bei der Genossenschaftsbank Kölner Bank.

Meine Südstadt: Gehen Sie noch einkaufen?
(Mit Nachdruck) Ja!

Wo und wie oft?
Einmal im Monat Großeinkauf und zweimal die Woche die frischen Sachen. Ich nenne jetzt nicht den Namen des Supermarkts, aber ich sage: ‘einmal hin, alles drin’.

Kaufen Sie Bio-Produkte?
Ja. Ich bin auch sehr bemüht darum, fair einzukaufen.

Was kosten ein Liter Milch, ein Paket Butter (250 g) und ein normales Brötchen?
Ein Liter Milch kostet 0,90 cent ungefähr. Es kommt drauf an. Die Spannbreite ist sehr groß. Meine kostet 0,90 cent. Bei Butter ist ebenfalls ein Intervall anzugeben: Die Billigmarken kosten 0,65 cent und die ganz teuren 1,30 Euro und meine kostet, glaube ich, 0,89 cent. Normale Brötchen kaufe ich selten. Da würde ich jetzt sagen, 0,20 cent.

Was kostet die Tube Zahnpasta?
2,79 Euro. Da gibt es auch Riesenunterschiede. Meine kostet 2,79 Euro.

Wann haben Sie mal frei?
Das ist eine gute Frage. Im Urlaub. Den lasse ich mir auch nicht nehmen. Ansonsten ist der Job schon je nach Phase ein 6-Tage-Job oder auch 7-Tage-Job. Ich bemühe mich, regelmäßig Sonntage frei zu kriegen, damit meine Freundin auch nochmal etwas von mir hat. Das gelingt aber nicht immer. Also, in der Regel habe ich frei sonntags und im Urlaub.

Was tun Sie dann?
Lesen. Zeitungen lesen. Aber im Urlaub dann auch Belletristik. Zeitschriften, auch Fachzeitschriften. Das ist dann halb Urlaub, halb Arbeit, aber das mache ich schon gerne. Ich gehe auch schon mal ganz gerne ins Kino, hier in der Südstadt, ins Odeon. In letzter Zeit aber nicht mehr, schon lange nicht. Das wird sich nach der Wahl hoffentlich ein kleines bisschen normalisieren. Und ich gehe für mein Leben gerne in die Sauna. Und ich will es mal so formulieren: Eines meiner Haupthobbies ist dieFörderung der Gastronomie.

Wo machen Sie Urlaub?
Ich reise ausgesprochen gerne nach Frankreich. Auch nach Spanien. Nach Italien. Und in die Eifel.

Wie sieht Ihr Urlaub dann aus? Zelt oder All-Inclusive?
Da ich 11 Jahre lang Pfadfinder war, ist mein Zeltbedarf für ein Leben gedeckt. Hotels mag ich nicht. Da gehe ich nur rein, wenn ich dienstlich unterwegs bin. Am liebsten habe ich eine Ferienwohnung oder ein Ferienhaus mit Selbstversorgung, weil ich ungern im Urlaub auch noch Sklave des Kalenders bin und dann auch noch zu einer bestimmten Zeit frühstücken muss oder dergleichen. Im Urlaub schlafe ich auch gerne mal so richtig aus. Von daher sind das Urlaube, die wirklich der Erholung dienen, also schlafen, Backgammon spielen, lieben, lesen, wandern, Sightseeing und ab und an mal auch schwimmen.

Was bewegt Sie gerade? Wofür brennen Sie derzeit?
Ich brenne derzeit wirklich für den Bundestagswahlkampf. Und mein persönliches politisches Motiv ist im Artikel 1 des Grundgesetztes gut beschrieben: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Da steht zum Beispiel nicht drin, ‘die Würde des Beitragszahlers ist unantastbar’, da steht auch nicht drin ‘die Würde des Deutschen ist unantastbar’. Da steht drin: ‘Die Würde des Menschen ist unantastbar’. Dieses Verfassungsgebot – das Wichtigste, weil in Artikel 1 – ist in der Bundesrepublik nicht Realität. Und mein politisches Engagement soll einen Beitrag dazu leisten, dass das besser wird. Deswegen will ich Armut bekämpfen. Und das geht nur, wenn man auch Reichtum begrenzt. Die drei wichtigsten Punkte an der Stelle sind für mich: Die Einführung eines flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohns. Das ist jetzt zwar Thema meiner Partei, aber mit mir persönlich insofern verbunden, weil ich da schon 18 Jahre für kämpfe. Auch als in meiner Vor-vor-vorgänger-Partei, der PDS, noch viele gegen einen gesetzlichen Mindestlohn waren. Ich war also einer der Ersten, der das in der Politik mit angeschoben hat. Nicht alleine, aber einer der Ersten. Zweiter Punkt ist, ich will dieses furchtbare Hartz IV, dieses entwürdigende Armut per Gesetz Hartz IV, ersetzen durch ein sanktions- und repressionsfreies Gesetz, beides ist uns sehr wichtig, Mindestsicherung. Auch dieses Konzept habe ich in einer Arbeitsgruppe mit erarbeitet in NRW, mit mehreren Kölnern, vier an der Zahl. Und das ist dann bis zur Bundesebene im Kern gewandert und dann Position der Partei geworden. Hat also auch was mit mir persönlich zu tun. Und der dritte Punkt: Ich bin ja rentenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Die Linke. Mir geht es darum, dass niemand im Alter von weniger als 1050 Euro leben muss. Und das geht nur mit Reformen am Arbeitsmarkt, Reformen in der Rentenversicherung und durch die Einführung einer solidarischen Mindestrente.

Und privat? Das sind ja jetzt alles berufliche Themen. Was bewegt Sie privat?
Was mich privat bewegt, ist momentan eher traurig. Ich habe vom 26. Juni an bis heute acht Todesnachrichten erhalten. Eine schlimmer als die andere. Eine ehemalige Freundin. Ein guter Bekannter, mit dem ich 40 Jahre befreundet war. Und mein ehemaliger Chef Lothar Bisky, für den ich vier Jahre lang das Büro im Bundestag geleitet habe – um nur drei von den achten zu nenen. Und da bewegt mich privat schlicht Trauer im Moment. Deswegen bin ich im Übrigen auch froh, dass ich derzeit im Wahlkampf stecke, wo es von Termin zu Termin geht und ich arbeiten kann und viel arbeiten kann und darf, weil ich ansonsten, glaube ich, sehr schlecht drauf wäre.

Wie bewegen Sie sich körperlich? Treiben Sie Sport?
(Mit einem Seufzen) Ich hatte diese Frage befürchtet. Bis vor einiger Zeit bin ich gejoggt. Und zwar von der Vondelstraße bis zum Pilz am Rheinufer, auf der anderen Rheinseite und zurück. Dafür habe ich je nach Form zwischen 43 und 47 Minuten gebraucht. Seit einiger Zeit ist das eingeschlafen. Und ich muss es dringend wieder anfangen. Das ist die Absichtserklärung. Real bewege ich mich relativ viel mit dem Fahrrad, aber nicht mit einem eigenen, sondern mit den Call-a-Bike-Rädern der Deutschen Bahn. Und ich gehe so viel wie möglich zu Fuß, und nutze die Treppen statt der Aufzüge. Ich würde auch gerne in einem Fitnessstudio Mitglied. Durch das Leben in zwei Städten ist das aber schwierig. In Berlin finde ich dazu null Zeit. Mitglied im Fitnessstudio zu werden, wenn man aber nur zwanzig Wochen im Köln ist und den Rest in Berlin und im Urlaub, das lohnt sich nicht. Deswegen Fahrradfahren und zu Fuß gehen so viel wie möglich.

Welche Ehrenämter üben Sie aus?
Ja, dreizehn Jahre lang war ich Mitglied der Antragsberatungskommission meines Landesverbandes der Partei PDS und Die Linke. Dieses Ehrenamt habe ich jetzt aufgegeben, weil es auch zu bestimmten Zeiten sehr intensiv war nach langer Zeit. Ansonsten bin ich seit 2008 Bundesparteitagsdelegierter meines Kreisverbandes Köln. Das ist ein Ehrenamt inerhalb der Partei. Und für viel mehr Ehrenämter bleibt nicht Zeit. Ich bin auch Mitglied des Vereins “Kinder des Sisyfos”. Der Autor Dr. Erasmus Schöfer, aus der Kölner Südstadt, hat eine Roman-Tetralogie geschrieben. Also vier Romane, die aufeinander aufbauen über die Geschichte der westdeutschen Linken von 1968 bis 1990. Für dieses Werk und seine Verbreitung gibt es einen Verein. In dem Verein bin ich sehr gerne Mitglied. Einmal durfte ich für den Autor die Fahnen von Köln nach Berlin höchstpersönlich zum Verlag tragen.

Was für ein Auto fahren Sie?
Einen Peugeot. Ich fahre ein Espresso-Auto: klein, stark, schwarz, schnell und süß ist es auch noch. Ein 21 Jahre alter Peugeot 205 GTI.

Fahren Sie auch mal Taxi?
Ja, in der Regel aber Funkmietwagen Süd.

In welchen Situationen fahren Sie Taxi?
Für’s Taxi entscheide ich mich beispielsweise, wenn ich zum Flughafen muss. Das wäre mit einem Trolley und einer zweiten Tasche und bei 17 Kilometern ein bisschen weit mit dem Rad. Und für’s Fahrrad entscheide ich mich, wenn ich mit meinem Gepäck die entsprechende Strecke zeitlich und fitnessmäßig gut bewältigen kann und nicht zu viel zu transportieren habe.

Was für ein Handy haben Sie?
Ein IPhone 4.

Wie nutzen Sie die sozialen Medien?
Soziale Medien nutze ich insofern, als dass ich bei Facebook und bei Twitter bin. Ich bekenne aber, dass ich das eher als eine Pflichtveranstaltung wahrnehme, ohne die es nicht mehr geht. Weniger aus Lust.

Wie oft haben Sie persönlich mit Bürgern aus dem Wahlkreis Kontakt?
Immer wenn ich in Köln bin. Weil: Nachbarn sind auch Bürger aus meinem Wahlkreis und Familie und Freunde. Aber ich mache natürlich auch regelmäßige Bürgersprechstunden. Wobei, da ich der einzige Linke Abgeordnete aus Köln bin, ist das nicht nur der Wahlkreis im engeren Sinne, sondern schon ganz Köln.

Wer reagiert wie auf Anfragen aus Ihrem Wahlkreis?
Die landen, wenn sie in meinem Wahlkreisbüro landen, bei meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wenn es Fragen sind, die sie direkt beantworten können, machen sie das. Wenn es Nachfrage- und Recherchebedarf gibt, dann wird das gemacht ggf. in Berlin bei der Fraktion oder aber auch anderweitig. Und bisweilen wird extra drum gebeten, dass es ein Gespräch mit mir gibt. Sobald der Terminkalender es zulässt, machen wir das.

Schreiben Sie Ihre Reden selbst?
Für einen Großteil kriege ich einen Entwurf und dann setze ich mich dran. Die Reden sind in der Regel eine Mischung aus einem Entwurf einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters und von mir. Es gibt auch Reden, die ich komplett selber schreibe. Das sind aber die wenigsten. Es ist immer ganz gut, wenn man schon jemanden hat, der sich einen Aufbau ausgedacht hat. Früher habe ich Reden geschrieben, da war ich noch der Mitarbeiter. Ich war persönlicher Referent einer Ministerin, wissenschaftlicher Mitarbeiter einer Bundestagsabgeordneten und Büroleiter eines Bundestagsabgeordneten, da habe ich die Entwürfe zum Teil gemacht. Also ich kenne das Geschäft von beiden Seiten.

Sind Sie verheiratet? Haben Sie Kinder?
Ich lebe bewusst ohne Kinder, weil ich Kinder liebe. Ich bin auch begeisterter Onkel. Aber ich pendle jetzt seit 14 Jahren zwischen Köln und Berlin. Ich wollte kein Vater sein, der nicht gebührend viel Zeit für seine Kinder hat und sie seiner Partnerin überlässt. Meine Freundin ist Kindergärtnerin und hat täglich 80 Kinder.

Eine hypothetische Frage: Wenn Sie Kinder hätten, welche weiterführende Schule würden ihre Kinder besuchen?
Eine Gesamtschule mit Ganztagsangebot. Gemeinsames Lernen –  das sagen alle Studien, die Erfahrungen in Finnland, die Erfahrungen aus der DDR, alle Erfahrungen sagen, wenn Kinder und Jugendliche gemeinsam lernen, also, Lernstärkere und Lernschwächere und auch die Durchschnittlichen, dann ist der Lernerfolg im Durchschnitt für alle am Besten. Deswegen stehe ich auch hinter der politischen Forderung, die wir haben: Eine Schule für Alle.

Auch Inklusion?
Ja. Wobei ich weiß, dass das leichter gesagt als getan ist. Eine Lehrerin aus der Kölner Südstadt hat uns mal eine lange E-Mail dazu geschrieben. Wir haben uns mit ihren Argumenten sehr intensiv auseinander gesetzt. Inklusion, das geht nicht mal eben so auf Fingerschnippen. Da muss also als erstes Geld vorhanden sein, weil entsprechende bauliche Strukturen, Zeitstrukturen vorhanden sein müssen. Es muss auch Weiterbildung sowohl für die Lehrerinnen und Lehrer gewährleistet sein und es muss vor allen Dingen auch zusätzlich für die Schülerinnen und Schüler, die ohne Behinderung sind, so Infos geben, dass sie auch bereit sind, an der Inklusion mitzuwirken. Das ist nicht leicht. Aber vom Grundsatz her: Ja, auch wenn ich mir bewusst bin, dass es nur in kleinen Schritten geht.

Was ist Ihnen das Allerwichtigste im Berufsleben?
Siehe drei Punkte oben bei Frage “Was bewegt Sie? Wofür brennen Sie?”
Das steht auch auf meiner Webseite: Eine Gesellschaft, in der die Einen im Champagner baden und die Anderen ihr Essen aus den Mülltonnen holen müssen oder Flaschen sammeln müssen, das ist eine Gesellschaft, die ist zutiefst sozial ungerecht und die lehne ich einfach ab. Wobei ich nichts gegen Champagner habe, aber dann sollen den sich auch alle leisten können.

Und im persönlichen Bereich?
Ehrlichkeit, Offenheit, Toleranz und Verständnis, wenn ich mich mal ein paar Wochen nicht melde.

Wieso haben Sie am 27. Juni 2013 sich bei der Abstimmung um schärfere Regeln gegen Abgeordnetenbestechung enthalten?
Kann sein, dass es da Punkte drin gab, für die wir nicht waren und dann haben wir im Kern uns enthalten. Vom Grundsatz bin ich auf jeden Fall dafür. Das war dann nicht unser Antrag. Die Änderungsanträge der SPD und von Bündnis 90/DIE GRÜNEN zur gesetzlichen Regelung der Strafbarkeit der Bestechlickeit und Bestechung von Mitgliedern von Volksvertetern, Abgeordnetenbestechung, waren nicht ausreichend, um ihnen zuzustimmen.
Wir hatten einen eigenen der deutlich strenger war und drüber hinausging. Wenn unsere Fachleute sagen, das ist unser Antrag, wir gehen deutlich weiter als das, was jetzt vorliegt, dann enthält man sich, wenn man einen eigenen Antrag hat. Das ist auch üblich. Ich bin auf jeden Fall dafür, dass es deutlich strengere Regeln gibt, was Abgeordnetenbestechung angeht und ich bin auch jemand, der alle seine Einkommen und Spenden komplett transparent macht und auf seiner Internetseite veröffentlicht.

Bitte ergänzen Sie diesen letzten Satz in unserem Interview: Familienpolitik ist für mich …
….ein wichtiger Bereich für eine sozial gerechtere Gesellschaft und vor allen Dingen auch der Ausgangspunkt für Chancengleichheit in der Bildung.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Birkwald.

Matthias W. Birkwald kam 1961 in Münster/Westfalen auf die Welt und 1964 nach Köln.  Nach dem Abitur 1981 in Erfstadt-Lechenich, studierte er in Köln, Bonn und Bremen Politologie, Soziologie, Philosophie und politische Ökonomie. Seit September 2009 ist er Mitglied des Deutschen Bundestags, rentenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, ordentliches Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales, stellvertretendes Mitglied im Petitionsausschuss, stellvertretendes Mitglied in der Enquete-Kommission “Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft”. Seine politische Grundhaltung hat sich seit seinem 19. Lebensjahr nicht verändert, “aber die Instrumente, mit denen ich versuche, meine politische Überzeugung umzusetzen, die haben sich verändert” erklärt er den Wechsel der verschiedenen Parteien.

Mehr im Netz:
www.matthias-w-birkwald.de
Abgeordnetenwatch
facebook

 

 

Weitere Artikel aus der Serie „Bundestagswahl 2013“

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Text: Aslı Güleryüz

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