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Kultur Politik

„Ich gebe nicht einen Schnipsel auf!“

Sonntag, 4. März 2012 | Text: Judith Levold | Bild: Tamara Soliz

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

sagt Bettina Schmidt-Czaia voller Emphase, und das Beschwörende und Entschlossene in der Stimme der Archiv-Chefin ist heute genauso da wie im März 2009. Damals nämlich, kurz nach dem Einsturz „ihres“ Archivs, einem der bedeutendsten Kommunalarchive in Europa, hatte sie bald nach dem ersten Schock versucht, wieder nach vorne zu blicken und alle Kraft in die Rettung der Archivalien zu setzen. „Ich würde nie behaupten, dass schon alles gerettet sei,“ sagt sie, „95% unseres Bestandes sind geborgen, also alles Bergbare. Aber das heißt nicht, dass die Stücke schon gerettet sind. Doch ich bin fest davon überzeugt, dass wir wirklich alles, jedes Stück wieder hin kriegen. Das dauert nur!“

 

Immerhin sind aber schon wieder Originale nutzbar im analogen Lesesaal hier in Porz-Lind, wo das Archiv in mehreren Möbelhaushallen sein Restaurierungs- und Digitalisierungscenter eingerichtet hat. Zum Tag der offenen Tür hatten Bettina Schmidt-Czaia und ihre Mitarbeiter, zahlreiche Archivare und RestauratorInnen, geladen, und schon am Vormittag folgen viele Besucher dieser Einladung. Umsehen sollen sich die Leute, ein Gefühl für die Ausmaße dieses Großschadensereignisses und seiner Aufarbeitung bekommen. Freundlich und verständlich erklären Restauratoren ihre Aufgaben und Gerätschaften, zeigen, wie viel Geduld, Sorgfalt und Know-How es für die Wiederherstellung der teils schwer beschädigten Archivgüter braucht.

 

Zum x-ten Mal und immer wieder engagiert und ausführlich zeigt Katharina Weiler, eine Papierrestauratorin, Neugierigen die Gefriertrocknungsmaschine: wie Fleischpakete in der Kühltruhe daheim, sind dort nass geborgene Akten, Bücher und andere  Dokumente, vom gröbsten Schmutz befreit, in Folie verpackt bei minus 26 Grad eingefroren. In gefrorenem Zustand kommen sie in eine Art gläsernen Kasten, in dem Unterdruck herrscht – dieser sorgt dafür, dass das Wasser im papiernen Material vom Eiszustand sofort in einen Gaszustand gerät, also verdampft und dabei den dritten möglichen Zustand von Wasser, den flüssigen nämlich, überspringt – gefriertrocken halt.

 

„Ich saß in der FH und arbeitete an meiner Diplomarbeit, da klingelt das Telefon und dann dreht sich der Werkstattleiter zu mir um und sagt: das Archiv ist zusammengestürzt!“ erzählt Katharina Weiler, die seit 2011 mit 12 weiteren Fachkräften hier in Köln für das Archiv arbeitet. Von der Hochschule in der Südstadt direkt weg engagiert: „Ja, so bitter es klingt: Als Papierrestaurator braucht man sich zur Zeit keine Sorgen um einen Job zu machen.“ Sagt die junge Frau und wendet sich dem nächsten Besucher zu.

 

Auch Janine Fassbender ist Absolventin des Restauratorenstudiums an der FH am Ubierring: in ihrer Werkbank mit gläserner Front füllt sie zu jedem beschädigten Archivgut einen Dokumentationsbogen aus: Was ist kaputt, wie sieht der Schaden aus, ist die Archivalie nur verschmutzt, stammt ihre Beschädigung von ganz früher, also von vor dem Einsturz? Und vor allem: was muss an Maßnahmen ergriffen werden und in welcher Reihenfolge, um sie wieder herzustellen? – all´ das muss dokumentiert werden, schon wegen der möglichen Regressansprüche. „Das hält auf“, meint die Jungrestauratorin und erläutert einem interessierten Herrn, dass sie keine Staubmaske trage, weil sie durch die Glaswand von ihrer Werkbank geschützt sei sowie durch die durchgängig Stäube absorbierende Absauganlage. „Außerdem verwenden wir fast nur natürliche Materialien, zum Beispiel Weizenstärkekleister. Was wir hier nutzen, ist fast alles essbar.“

 

Ein paar Meter weiter liegt auf einem großen, hell beleuchteten Arbeitstisch ein hunderte Jahre altes Pergament – die Mitarbeiterin Anna Wypych erklärt einer Gruppe Besuchern, dass das Pergament extrem empfindlich und schwierig zu glätten sei. Kaum habe man es befeuchtet, um es zu beschweren und glatt zu ziehen, da welle es sich wieder innerhalb von Minuten, bloß weil die Lampe vom Fotografen etwa die Temperatur um zwei Grad erhöht habe.

 

Jede Menge Schäden können die Besucher hier anschauen, wie beispielsweise an  einer Sterbeurkunde aus dem Jahr 1870. 35% der geborgenen Archivalien gelten als schwerst beschädigt, nur 15% sind lediglich mit Verschmutzung davon gekommen, alles andere ist mittelschwer betroffen. „Archivgüter sind Kulturgut und nach dem Landesarchivgesetz NRW gesetzlich geschützt.“ Betont Frau Schmidt-Czaia, die Archiv-Leiterin, „wir müssen daher alles, wirklich alles wieder herstellen, da dürfen wir keine Unterschiede machen. Und ich lasse nichts zwischen mich und meine Archivalien kommen. Wenn man da einmal anfängt, einzelne Teile aufzugeben, wo soll das denn hinführen? Wer entscheidet denn dann?“

 

Das heißt demnach eine noch jahrzehntelange Puzzlearbeit, die viel Geld kostet. Und um dem Fachkräftemangel zu begegnen, sollte Köln am besten zum Zentrum für Papierrestaurierung, die Werkstatt der FH möglichst für das Doppelte an Studenten ausgebaut werden, meint Frau Schmidt-Czaia mit Nachdruck.

 

Ihre Mitarbeiterin, Restauratorin Rebecca Thalmann, ist optimistisch: „Ganz viele Menschen helfen. Nicht nur die Archivare und Restauratoren aus den Asylarchiven sowie die vielen Hilfskräfte, sondern auch viele Bürger, etwa über Spenden.“ erzählt sie. „Zum Beispiel dieser Holzdeckelband, eine Handschrift des Kölner Kartäusers Heinrich von Dissen – der ist sehr stark beschädigt worden, seine Restaurierung wird aufwändig und kostet etwa 5000,- Euro. Deshalb haben wir hier eine Sammelpatenschaft angelegt, da ist jede noch so kleine Summe willkommen! Uns fehlen nur noch gut 1.000,- Euro, dann geht es los mit der Aufarbeitung dieses Archivstücks.“

 

Wer dazu beitragen will, dieses wertvolle Autograph aus der Südstadt zu reparieren -es stammt aus dem Jahre 1475 aus der Bibliothek der Kartause in der Kartäusergasse – der kann sich beteiligen mit einer Spende an: Freunde des Historischen Archivs e.V., Kto. 1900458959, bei der Sparkasse KölnBonn, BLZ 370 501 98, Stichwort Patenschaft 7010(W)234, bei Angabe seiner Adresse bekommt man für Spenden ab 50,-Euro eine Quittung zugesandt.

 

www.freunde-des-historischen-archivs.de, www.stadt-koeln.de/historisches-archiv/ , www.stiftung-stadtgedaechtnis.de

Text: Judith Levold

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