„Ich habe mir die Südstadt gesucht“
Donnerstag, 1. September 2022 | Text: Markus Küll | Bild: Markus Küll
Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten
Nach 35 Jahren als Pfarrer der Gemeinde an der Lutherkirche wird Hans Mörtter am Sonntag entpflichtet, und geht -zumindest formal- in den Ruhestand.
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SchokoladenmuseumWie bei Mörtter aber erwartbar, sind die nächsten Aktivitäten schon geplant. Für Meine Südstadt hat er sich in seiner hektischen letzten Woche Zeit genommen und mit uns drei Orte in der Südstadt besucht, die ihm wichtig sind.
Kirche, Vringstreff, Filos
Ich hatte Hans Mörtter eingeladen, mir drei Orte zu zeigen, die für die letzten 35 Jahre stehen. Wir beginnen unsere kleine Tour durch die Südstadt im Hof der Lutherkirche, dem Epi-Zentrum Mörtter’schen Wirkens.
Gehen wir zurück ins Jahr 1987, als Du Pfarrer der Lutherkirche wurdest. Warum bist Du eigentlich in die Südstadt gekommen?
„Weil es keine Alternative gab. Bonn, da komm ich her, war zu klein – und man geht nicht dahin zurück, wo man herkommt. Aufs Land wollte ich nicht. Ich brauche den Rhein, am liebsten nah, denn ich bin Rheinländer. Also blieb nur die Südstadt. Ich hab damals schon gesagt: Ich geh dahin, wo es für mein Leben passt. Und das ist die Südstadt. Deswegen bleibe ich auch hier.“
Wie war es 1987? Was hast Du hier gefunden, als Du zur Lutherkirche kamst?
„!987 war die Lutherkirche einfach wie eine Festung. Dicht, ein paar nette alte Leute waren da. Es gab nur ein paar jugendliche Konfirmanden, aber sonst keine Kinder. Da war mir klar, das muss ich blitzschnell ändern. Das geht nur mit den richtigen Leuten und wenn ich mir vor allem Bündnispartner hole. Ich habe dann geschaut, wen kann ich in den Kirchenvorstand und fürs Presbyterium holen. Wer von den jungen Leuten hat Lust, mitzumachen.
Ich habe ja die Kirche geöffnet, säkularisiert sozusagen. Ich habe eine andere, neue und modernere Sprache gewählt, um die Menschen zu erreichen. Ich wollte Improvisation und Begegnung – und vor allem Kunst. Nicht nur als Ausstellung sondern auch in die Gottesdienste rein. Wie wir das machen, da gibt es wenig Vergleichbares in Deutschland.“
Gab es auch den Kritikpunkt „Du bist zu weltlich, Du bist zu politisch“?
„Ja, klar. Von der Kirchenleitung gab es sogar für eine Zeit das Verbot, Vikare auszubilden. Das Argument war: „Bei Ihnen gibt’s ja keine richtigen Gottesdienste“. Klar, das stimmt: Klassische Gottesdienste mache ich schon lange nicht mehr. In meinen Gottesdiensten kann ich abenteuerlich ausprobieren, da gibt es große Spielräume und Freiheiten. Natürlich muss man immer wissen, was man tut. Man muss das gut begründen können – und es muss immer Qualität haben. Das ist ein ganz entscheidendes Charakteristikum. Was die Politik angeht: Für mich geht es um den „Swing“ zwischen Politik und Spiritualität, das ist für mich untrennbar. In allem, was ich tue habe ich politische Auswirkungen.“
Was ist für Dich „Qualität“, wenn es um den Gottesdienst geht?
„Qualität bedeutet für mich: Gutes Nachdenken. Was ist jetzt eigentlich dran. Eine Spiritualität, die nicht vom Blatt abgelesen ist, die gelebt wird, also Improvisation. Empathie, dass heißt eine Nähe zu denen, die da sind, Begegnungsfreude – und keine „Kreuzkunst“ an den Wänden, sondern heraufordernde Kunst wie zum Beispiel unser Altarbild.“
Wie erklärst Du jemandem „Deine Art, zu glauben“?
„Ich kann dazu viele Geschichten erzählen, biblische und auch andere, wirklich erklären kann ich es nicht. Ich habe wohl so einen Urvertrauens-Glaube. Ich glaube, dass Leben stärker ist als Zerstörung, dass es da eine andere Linie gibt, die uns alle miteinander verbindet: Christen, Muslime, Buddhisten und Nicht-Gläubige. Grundsätzlich bin ich jemand, der sich nicht fürchtet. Eigentlich vertraue ich immer darauf, dass es gut wird.“
Hat sich das in den letzten 35 Jahren verändert?
„Urvertrauen und Offenheit habe ich damals schon zu Anfang gehabt. So sind wir Menschen ja: Entweder wir lernen oder wir stagnieren. Stagnieren ist für mich ein Fremdwort. Ich habe immer mehr dazugelernt. Der Pfarrberuf ist ein toller und gleichzeitig unmenschlicher Beruf, denn Du bist immer zuständig. Auf der anderen Seite ist es auch ein ständiges Lernen.“
„Keiner hat uns geglaubt, dass das machbar ist“
Wir steigen aufs Rad und fahren zum Vringstreff, den Hans Mörtter 1995 mitbegründet hat.
Hans Mörtter steht vor dem großen Kunstwerk an der Stirnwand des Vringstreff, das von Stollwerck-Patron Hans Imhoff in Auftrag gegeben wurde, als der heutige Vringstreff noch das Verwaltungsgebäude der Schokoladenfabrik war: „Da bin ich sehr glücklich, dass die Verbindung bleibt. Stollwerck hat große Bedeutung für die Stadt.“
Wie sieht Dein persönliches Fazit nach 27 Jahren Vringstreff aus?
„Ich bin glücklich, dass wir das hier geschafft haben. Das war eigentlich unmöglich. Keiner hat uns geglaubt, dass das machbar ist. Damals hat Arndt Schwendy (damaliger Leiter des Kölner Sozialamts. d.Red.), den ich nie vergessen werde, bei uns allen das Potential gesehen. Er hat gesehen, wir sind ein gutes Team, wir labern nicht nur, wir haben eine klare Idee und diese Idee ist supergut. Heute ist der Vringstreff ein bedeutsamer Lobbyort geworden. Wir haben „Housing First“ in die Stadt gebracht und sind darin auch führend. Wir setzen das praktisch um, während viele andere nur drüber reden.“
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Ralph Ley – Steuerberater„Ich kann mich gut rausnehmen. Das ist jetzt einfach dran.“
Wieder aufs Rad und quer über den belebten Chlodwigplatz, zum Filos. 1987, so erzählt Hans Mörtter, als keine*r in die Kirche kam, hatte er die Idee, in die Kneipen zu gehen und dort für die Kirche zu werben. „Ich habe im Filos angefangen – und bin dann auch nicht mehr weiter gekommen.“ Die Stehtische vorm Eingang des Filos, für die sich Hans Mörtter in einer seiner leidenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Kölner Ordnungsamt stark gemacht hatte, sind der richtige Ort, um unser Gespräch mit einem Ausblick zu beenden.
Siehst Du aktuell Veränderungen im Miteinander, die Dir Sorgen machen?
„Ja klar. Die Beliebigkeit ist gewachsen, vor allem, wenn es um Engagement geht, auf das man sich verlassen können muss. Wenn ich nach Unterstützung frage, höre ich oft „ich guck mal“. Dann weiß ich schon, den oder die kann ich nicht brauchen, denn wenn’s brennt, ist dieser Mensch nicht da. Die Verlässlichkeit, dieses „ein Wort gilt, wenn Du mich brauchst, bin ich da“, hat massiv abgenommen und gleichzeitig ist die Individualisierung viel stärker geworden. Wenn jede’r nur nach seinem individuellen Glück sucht und vergisst, dass es das immer nur mit anderen zusammen gibt, dann implodiert eine Gesellschaft.“
Was wird am nächsten Montag, der Tag nach Deiner Entpflichtung anders sein?
„Nichts! Bei einigen meiner Grundthemen bleibe ich dran: Flüchtlingsarbeit, Kinderarmut. Insbesondere beim Thema Kinderarmut steht uns ein schwieriger Herbst bevor, da werden wir sehr gebraucht. Und dann müssen wir natürlich die Veranstaltung „SOS-SaveOurSouls“ zur Klimakatastrophe am 30.09. in der Philharmonie voll bekommen – da läuft der Vorverkauf. Das wird noch mal viel Energie kosten, das auf die Beine zu stellen. Danach geht es darum, die Übergänge klar zu machen und Teams zusammen zu bringen, die auch die Gottesdienste in der Lutherkirche gestalten. Da suche ich auch Leute, die Lust haben mitzumachen. Die coache ich auch gerne, damit die auch schnell ihren Stil machen können.“
Für die Südstadt bedeutet das aber schon das Ende der „Ära des Hans Mörtter“?
„Ja, ich gebe ab. Und ich habe dann die Freiheit, zu entscheiden, mache ich hier etwas oder gebe ich das ab. Ich kann mich aber auch gut rausnehmen, das ist jetzt einfach dran. Ich muss die Energie ein bisschen umdrehen von dem „für alles zuständig sein“ zu „ich habe bestimmte Themen, die will ich voranbringen“
Machst Du Dir Sorgen um den Fortbestand der Rolle und Bedeutung, die die Lutherkirche für die Südstadt hat?
„Erstmal nicht. Die Lutherkirche ist gut aufgestellt, Da geht’s schon weiter, zum Beispiel mit „Südstadt-Leben e.V:“, das ja meine Frau aufgebaut hat. Wir haben einfach viele tolle Ehrenamtliche. Auch wenn die Pfarrstelle nicht nachbesetzt wird ist da mit der Kartäuserkirche eine gute Kontinuität gewährleistet. Wer in der Scheiße sitzt, kann auf jeden Fall anrufen. Das „Sich Kümmern“ geht auf jeden Fall weiter“
Hier der Link zur Benefiz-Veranstaltung am 30.09.:
https://www.koelner-philharmonie.de/de/programm/sos-saveoursouls/2724
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