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Gesellschaft

„Ich tanze nicht in den Ruhestand“

Mittwoch, 24. Januar 2018 | Text: Stefan Rahmann | Bild: Stefan Rahmann

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

1976 stirbt Mao Zedong. Jimmy Carter wird zum amerikanischen Präsidenten gewählt. Die GSG9 befreit die Geiseln in der „Landshut-Maschine“. Muhammad Ali wird nochmal Box-Weltmeister aller Klassen. Und Johann Schumandl eröffnet die Buchhandlung am Chlodwigplatz. In einigen Wochen schließt er dieses größte Kapitel seines Lebens ab. Nach 42 Jahren. Dann übernimmt die große Mayersche Buchhandlung den garnicht so kleinen Laden an der Ecke Ubierring/Chlodwigplatz.

Literarische Unterversorgung

1976 ist Johann Schumandl gerade mal 24 Jahre alt, hat eine Buchhändlerlehre in Heidenheim an der Brenz auf der Schwäbischen Alb und vier Jahre als angestellter Buchhändler in Brühl bei Köln und in der Bücherstube am Dom hinter sich. „Das war damals Kölns renommierteste Buchhandlung. Die war in dem Haus untergebracht, in dem heute am Neumarkt AppelrathCüpper Textilien verkaufen“, erinnert sich Schumandl, der vor 66 Jahren im damaligen Jugoslawien geboren wurde. Die Mutter gehörte dort zur deutschen Minderheit. 1955 kam er mit drei Jahren nach Heidenheim. Die Eröffnung des Buchladens am Chlodwigplatz war einer Mischung aus Mut zum Risiko und Kalkül geschuldet: „Ich hatte mit einer Kollegin aus der Bücherstube am Dom die Idee, ein eigenes Geschäft zu eröffnen. Ich wohnte in der Alteburger Straße und bin fast jeden Tag an dem leer stehenden Ladenlokal am Chlodwigplatz vorbeigelaufen. Und dann haben wir das gemacht. Ganz sicher mit viel jugendlichem Leichtsinn. Aber wir haben auch gesehen, dass es in der Südstadt damals keine nennenswerte belletristische Buchhandlung gab.“ Der heutige „Andere Buchladen“ verkaufte in den 70ern technische Literatur an die Studenten der Fachhochschule. Es gab also Bedarf. Die Südstadt war literarisch unterversorgt.

„In der Südstadt wird doch nur gesoffen“

Einer der ersten Kunden in der neuen Buchhandlung entpuppte sich nicht gerade als Mutmacher für Schumandl: „Sie sind aber mutig, hier Bücher verkaufen zu wollen. In der Südstadt wird doch nur gesoffen.“ In der Tat war das Veedel Mitte der 70er vergleichsweise übel beleumundet. „Das war ein Sanierungsgebiet. An der Alteburger Straße war gerade mal ein Haus neu gestrichen. Alles andere war tristes Grau. Man konnte noch viele Kriegsschäden sehen“, berichtet Schumandl aus den nicht ganz so guten alten Zeiten. Und dennoch: „Das war hier damals zwar ein soziales Notstandsgebiet. Aber das Lebensgefühl war ein ganz anderes.“ Das Veedel habe Charme gehabt, die Wohnungen seien erschwinglich gewesen. Es habe auch einen deutlich höheren Ausländeranteil gegeben. Vor allem am Ubierring hätten einige ältere Frauen in ihren Tante-Emma-Läden nicht zuletzt davon gelebt, den Studenten belegte Brote zu schmieren. „Das ist alles schon deutlich schicker geworden hier“, zieht Schumandl Bilanz über vier Jahrzehnte. Er ist vor der Horror-Miete einer Luxus-Sanierung seiner Wohnung an der Teutoburger Straße ins Pantaleonsviertel ausgewichen. Das Sozialgefüge in der Südstadt habe sich deutlich verändert. Schumandl geht oft im Rheinauhafen spazieren. Und guckt auf den Fluss. „Das weitet die Seele.“ Auf die Gebäude guckt er nicht. „Das alles finde ich weniger gelungen. Ich habe gedacht, da sollte ein neues Veedel entstehen. Aber das alles hat keine Seele. Und ist nur am Sonntag durch Spaziergänger belebt.“ Kurzer Blick in die Historie: „Teile des Rheinauhafens waren ja damals Zollhafen und durften nicht betreten werden.“

Irmgard Keun war Stammkundin

Angefangen hat Schumandl mit der rechten Häfte des heutigen Ladens. In der anderen Häfte ratterten in Hoffmanns Änderungsschneiderei die Nähmaschinen. Die zogen später in den Laden am Ubierring um, in dem heute Tante Skäte Skater ausstattet. Auch ein Beispiel für den Wandel im Veedel. „Der mit der Besetzung des Stollwercks anfing“, sagt Schumandl. In den 70er Jahren habe im Theater im Stollwerck sogar der große Jürgen Flimm inszeniert. Legendäre Partys habe man im Kachelsaal des Stollwercks gefeiert. Alles kurz danach abgerissen. Auch der Aufstieg von Bap etwas später habe das Lebensgefühl in der Südstadt mitgeprägt. Ebenso wie junge Studenten der Werkschule und Literaten. Junge Eltern hätten in seiner Buchhandlung Bücher gekauft. „Die sind jetzt Großeltern, und ihre Kinder und Enkel sind heute auch meine Kunden“, beschreibt der Händler sein generationenübergreifendes Projekt. Aber auch Irmgard Keun bis zu ihrem Tod, Dieter Wellershoff und Heinrich Breloer, um nur einige zu nennen, zählen zu seinen Kunden. Wellershoff hat häufig in der Buchhandlung am Chlodwigplatz gelesen. „Eine Buchhandlung kann nur Erfolg haben, wenn Sie in einen ständigen Austausch mit den Kunden treten. Die sogenannte ,gute Literatur‘ läuft immer. Aber wir haben auch viele Wellen erlebt. Zum Beispiel die ,neue Frauenliteratur‘. Die entstand in der Frauenbewegung. Da wurden auch viele vergessene Autorinnen wiederentdeckt. Wir hatten Regale nur mit Büchern für Frauen.“ Dem Eindruck, dass es niemals so viele Ratgeber auf dem Buchmarkt gegeben hat wie heute, widerspricht der Experte: „Früher hatten wir mehr handwerklich-praktische Ratgeber. Heute geht es mehr um Lebenshilfe.“ Gravierend verändert hat sich das Kochbuch-Segment. Die Zahl der Titel und die Vielfalt ist enorm gewachsen. „Früher reichte da auch schon mal der Dr. Oetker.“

Buchhandlung am Chlodwigplatz

Mitten im Veedel: Die Buchhandlung am Chlodwigplatz.

15.000 Titel immer vorrätig

Die rechte Häfte des heutigen Ladens hat Schumandl noch von dem berüchtigten Immobilien-Hai Günther Kaußen gekauft. „Dem gehörte hier damals das ganze Karrée.“ 1999/2000 kaufte er von einem anderen Eigentümer die linke Hälfte des Ladens und ließ sie unter der Planung seiner Schwester, die Architektin ist, umbauen. Mit der Zeit wuchs die Zahl der in der Buchhandlung verfügbaren Titel immer weiter. „Mittlerweile haben wir 15.000 Titel und 20.000 Bücher vor Ort zur Auswahl. Wir mussten in die Höhe gehen. Deshalb die Leitern“, erklärt der Buchhändler. Dem Internethandel begegnet er übrigens gelassen. „Hier bei uns werden Sie beraten. Der Laden ist für viele ein Stück Heimat. Und im Übrigen: Wenn Sie bei mir heute ein Buch bestellen, können Sie das morgen abholen. Das ist auf jeden Fall schneller als Amazon.“

Alle Mitarbeiter werden übernommen

Wenn es nach ihm geht, werden die Leitern auch noch stehen, wenn die Mayersche den Laden übernimmt. Das Wichtigste für Schumandl: „Meine drei Mitarbeiter werden übernommen. Das stand von Anfang an für beide Seiten fest.“ Für ihn geht es mit 66 Jahren aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr weiter. Ein Arbeitsleben mit Sechs-Tage-Wochen. Die Augen, die Bandscheiben. Operationen stehen an. „Ich habe schon länger einen Käufer gesucht. Vor allem wollte ich verhindern, dass hier noch ein Drogeriemarkt oder ein Handy-Shop einzieht.“ Der Abschied fällt ihm nach 42 Jahren schwer: „Ich tanze nicht in den Ruhestand. Es tut schon weh.“ Aber er hinterlässt, wie er sagt, ein „sehr gut aufgestelltes Haus“. Strategie der Mayerschen ist es momentan, kleine, inhabergeführte Buchhandlungen zu übernehmen. Beispiele sind die Buchhandlung Köhl in Rodenkirchen und Köln Buch in Deutz. Damit versucht die Mayersche, an der wachsenden Zahl von Kunden Geld zu verdienen, die beschlossen haben, Buchläden vor Ort zu unterstützen. Wie es mit der Mayerschen am Chlodwigplatz weiter geht, weiß der in Kürze ehemalige Eigentümer nicht im Detail. Vielleicht werde es kleine räumliche Veränderungen im Laden geben. „Aber im Großen und Ganzen wird alles bleiben, wie es ist.“

Text: Stefan Rahmann

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