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Kultur

„Ich wollte keine Gedenktafel“

Dienstag, 21. Januar 2014 | Text: Reinhard Lüke | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Hanna, eine deutsche Studentin mit klarem Karriere-Plan für einen Job im gehobenen Management fliegt nach Israel und arbeitet für ein paar Wochen in Tel Aviv in einer Einrichtung für geistig Behinderte, um ihre Biographie um den Faktor „Soziales Engagement“ aufzupolieren. Irgendwas mit behinderten Juden machen, sagt sie sich, kommt für diesen Zweck bestimmt gut. Vor Ort gerät sie jedoch in weit mehr Komplikationen, als sie sich gedacht hat. Sir wird mit dem für sie eigentlich längst abgehakten Holocaust konfrontiert, muss ihr seit Jahren gestörtes Verhältnis zu ihrer Mutter neu überdenken und verliebt sich in ihren Gruppenleiter Itaj, der ihr ebenso charmant wie zynisch gegenübertritt. Das klingt nach einem typisch deutschen Betroffenheits-Drama um eine junge Ignorantin, die in Israel geläutert und zu einem besseren Menschen wird. Doch genau das ist „Hannas Reise“ von Julia von Heinz (Buch und Regie) nicht. Vielmehr ist der Film mit Karoline Schuch in der Rolle der Hanna eine gleichermaßen klug gebaute wie unterhaltsame (Beziehungs-)Komödie, die bei aller Leichtigkeit dennoch keinen der inhärenten Konflikte an vordergründige Komik verrät. Unbedingt sehenswert.

 

Meine Südstadt: Mutig.
Julia von Heinz: Was?

Ihr Film.
Danke, aber wieso?

Eine (Beziehungs-)Komödie um eine junge Deutsche, die mit dem Holocaust nichts am Hut hat, für ein paar Wochen Tel Aviv Sozialdienst schiebt, nur um für ihre Management-Karriere ihren Lebenslauf aufzupolieren und sich dann in einen Israeli verliebt – da stehen doch massenhaft Fettnäpfchen herum. Haben die Produzenten und andere Geldgeber nicht erstmal die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, als Sie mit dem Exposé für diesen Film ankamen?
Nein. Eigentlich bin ich da kaum auf Bedenken gestoßen. Weder bei Produzenten, noch bei Förderanstalten und Fernsehredakteuren. Im Gegenteil. Während der ganzen Zeit vom Drehbuch bis zur Fertigstellung des Films gab es nie die Frage, ob das nicht vielleicht vom Tonfall her doch eher zu salopp sein könnte.

Selbst bei Hannas Satz: „Juden gehen immer gut, behinderte Juden noch besser“ hat bei den öffentlich-rechtlichen Sendern niemand gezuckt?
Überhaupt nicht. Mit Birgit Metz (BR), Thomas Sessner (BR) und Andrea Hanke (WDR) hatte ich Redakteure, die in ihren Sendern einen tollen Job machen und das Kino lieben. Wir waren uns von Beginn an einig, dass wir keine weitere filmische Gedenktafel aufstellen, sondern einen Film machen wollten, der auch unterhaltsam sein sollte.

   
Dennoch geht es darin ja um eine Vielzahl von Problemen. Neben dem komplizierten deutsch-jüdischen/israelischen Verhältnis arbeitet sich Hanna an ihrer gestörten Mutter-Beziehung ab und steht emotional zwischen ihrem Freund in Deutschland und ihrer Verliebtheit in ihren israelischen Kollegen Itaj. Dann geht es um den Umgang mit Behinderten, den israelisch-palästinensichen Konflikt und schließlich auch noch um das triste Dasein von deutschen Nachwuchs-Karrieristen, die emsig  dem Burnout mit 30 entgegenschuften. Da hätte vielen Autoren und Regisseuren doch jedes Thema allein für einen Film gereicht…
Mag sein. Aber all diese Probleme stellen sich Hanna nun mal während ihres Aufenthaltes. Ihr Leben ist fraglos kompliziert, aber die Konflikte sind –hoffe ich- so realitätsnah wie unterhaltsam inszeniert, dass sie eine glaubwürdige, lebensnahe Figur bleibt, und der Film nichts von einer lähmenden Betroffenheits-Schau mit Problemstau hat.

Hat er nicht.
Danke. In dem Zusammenhang war mir auch wichtig, dass Hanna während ihres Israel-Aufenthaltes nicht komplett umgedreht wird. Bei ihrer Rückkehr nach Deutschland hat sie zwar vielfache Irritationen erlebt, ist aber kein gänzlich anderer Mensch geworden. Durchaus vorstellbar, dass sie ihre Management-Karriere trotz ihrer Erlebnisse weiter verfolgt.

 
Hatten Sie vor dem Projekt überhaupt irgendwelche persönlichen Beziehungen zu Israel oder dem Judentum?
Da es in meiner Familie jüdische Wurzeln gibt, war ich als Jugendliche und auch später häufig in Israel. Ich kannte mich also in dem Land und vor allem in Tel Aviv vor Drehbeginn einigermaßen aus. Sonst hätte ich mich an die Geschichte und den Film auch kaum herangewagt.

Wie sind Sie denn an die israelischen Schauspieler gekommen? Bei den geistig Behinderten lässt sich ja kaum ausmachen, ob da Profis Menschen mit Handicap verkörpern oder Betroffene quasi sich selbst spielen.
Ich habe da natürlich mit einer israelischen Casting-Agentin zusammengearbeitet. Die Gruppe der Behinderten im Film besteht ungefähr zur Hälfte aus professionellen Darstellern, während die anderen wirklich gehandicapt sind, aber aus Theatergruppen durchaus Erfahrung mit der Schauspielerei haben.

Und wie lief das beim Dreh?
Absolut unproblematisch. Die Behinderten waren zum Teil disziplinierter bei der Arbeit als ihre Profi-Kollegen.

Aber die WGs, in denen die deutschen Sozialdienstleister in Tel Aviv wohnen, sind aber in Wirklichkeit nicht so messiemäßig zugemüllt wie im Film…
Doch, absolut. Das hat vor allem damit zu tun, dass jeder nur für ein paar Wochen oder Monate da ist, im Laufe der Zeit allerlei Krempel anschleppt und bei der Abreise einfach alles da lässt. Ich hatte mit meinem israelischen Ausstatter eine entsprechende Location besprochen, aber der hat uns dann zunächst eine Wohnung eingerichtet, die viel zu ordentlich war. So musste er dann noch nacharbeiten, bis sie einigermaßen authentisch aussah.

Aber dass die WGler bei ihren regelmäßigen Treffen mit Holocaust-Überlebenden Toaster und andere Haushaltsgeräte schnorren, ist doch wohl ein Witz, den Sie nur für den guten Running-Gag mit der defekten Waschmaschine brauchten…
Kein Witz! Das läuft wirklich so.
 

„Ich wollte den Film unbedingt machen“, sagt Karoline Schuch.

 

Wie lange haben Sie gebraucht, um sich nach der Lektüre des Drehbuchs für die Rolle der Hanna zu entscheiden?
Karoline Schuch: Keine Sekunde! Ich wollte den Film unbedingt machen. Aber ich wurde ja erstmal gefragt, ob ich zum Casting kommen möchte und als das dann geklappt hat, war ich überglücklich. Dass Julia (von Heinz) mich schon beim Schreiben für die Rolle im Auge hatte, hat sie mir erst nachher erzählt. Aber bei Besetzungen reden ja immer viele Menschen mit.

Hatten Sie vor Drehbeginn irgendein persönliches Verhältnis zu Israel?
Das komplizierte Verhältnis, das man als Deutsche dazu nun mal hat. Persönliche Erfahrungen mit dem Land oder Israelis hatte ich bis dahin überhaupt nicht.

Haben Sie sich auf die Arbeit anders vorbereitet, als wenn der Film in Italien oder in den USA gespielt hätte? 
Durchaus. Anfangs habe ich sehr viel über das Land und seine Geschichte gelesen und mir dicke Bücher über Jerusalem besorgt. Aber irgendwann hatte ich den Eindruck, dass mich das für die Rolle nicht weiterbringt. So habe ich beschlossen, genau wie Hanna ohne großes Vorwissen und einigermaßen unvorbelastet eineinhalb Wochen vor Drehbeginn nach Israel zu fliegen.

Wie waren ihre ersten Eindrücke?
Schrecklich. Tel Aviv war laut, hektisch und heiß und meine erste Wohnung war nur furchtbar. Es hat eine Zeit gedauert, bis ich mich an die Verhältnisse gewöhnt hatte.

Wie viel Karoline Schuch steckt denn in Hanna?
An ihre spröde, oft sehr distanzierte Art musste ich mich erst herantasten, da mir das persönlich fremd und sogar ein bisschen unsympathisch war. Andererseits gibt es ja diese relativ jungen Menschen, die bereit sind, für Karriere und hohes Einkommen so ziemlich alles zu tun. Und dafür braucht es vermutlich so ein Naturell. Für mich hat solch eine Lebenseinstellung allerdings schon etwas Tragisches.

Julia von Heinz (geb. 1976) wurde bereits für ihren ersten Langfilm („Was am Ende zählt“, 2007) mehrfach ausgezeichnet. Seitdem hat sie mehre Dokumentar- und Spielfilme gedreht. Zudem gehörte sie über Jahre an der Filmhochschule Babelsberg zum engeren Kreis um Rosa von Praunheim.
Karoline Schuch (geb. 1981) begann ihre Filmkarriere 2000 bei der ARD-Soap „Verbotene Liebe“, war aber schon kurz darauf im „Tatort“ und anderen TV-Filmen zu sehen. In den letzten Zehn Jahren hat sie in rund 50 Filmen mitgespielt. Darunter Til Schweigers „Zweiohrküken“ und „Schutzengel“.
Reinhard Lüke sprach mit Julia von Heinz und Karoline Schuch (die erst später dazu kam) am vergangenen Dienstag im Odeon.
 

Der Film „Hannas Reise“ ist ab 23.01.2014 im Oden Kino zu sehen.
 

Text: Reinhard Lüke

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