„Im Grunde sind das hier alles Brandstifter“
Mittwoch, 13. Juni 2018 | Text: Alida Pisu | Bild: Plakat: Katzelmacher - JETZT!
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Südstädter Sascha Schiffbauer, Schauspieler, Moderator und bekannt als Macher der „Großen Show des kleinen Unglücks“, hat zusammen mit Schauspielkollege und Regisseur Klaus Prangenberg (u.a. COMEDIA Theater) dreierlei gewagt: Eine eigene Schauspiel-Inszenierung als Produzent, finanziert weitgehend über ein Crowdfunding, und: Raus aus der Südstadt, nach Nippes. Meinesüdstadt.de war bei den Proben.
„Was macht denn das Rädchen da?“
Regisseur Klaus Prangenberg wartet die Antwort auf seine Frage gar nicht erst ab, hechtet die Treppenstufen hoch und trägt das Kinderfahrrad von der „Bühne“. Die in diesem Fall der öffentliche Raum ist, nämlich das „Taj Mahal“ (überdachte Treppenanlage, Anm. der Red.) auf dem Wilhelmplatz in Nippes. Hier wird bei drückender Hitze geprobt, das Stück Katzelmacher“ von Rainer Werner Fassbinder, vor fünfzig Jahren uraufgeführt. Zu einer Zeit also, als die ersten Gastarbeiter in der Bundesrepublik ankamen und auf zahllose Ressentiments stießen. Ein halbes Jahrhundert später hat das Thema Fremdenfeindlichkeit aus „Katzelmacher“ nichts von seiner Aktualität eingebüßt.
Hierarchie mitten aufm Multikulti-Platz
Von Fremdenfeindlichkeit ist auf dem Wilhelmplatz aber nicht viel zu spüren, im Gegenteil: Während sich die Schauspieler auf Position begeben, schlendern Passanten vorbei, einträchtig sitzen Frauen mit und ohne Kopftuch nebeneinander, unterhalten sich angeregt. Mütter mit Kinderwagen bleiben stehen, warten darauf, dass etwas passiert. Und es passiert auch etwas. Schon die Ankunft des sogleich als „Itakers“ beschimpften Gastarbeiters in der bayrischen Provinz macht klar: Hier warten keine Freunde auf ihn, hier muss er sich warm anziehen, denn hier steht er buchstäblich auf der untersten Stufe. Die Dörfler stehen weit über ihm auf den Treppenstufen des „Taj Mahal“. Simpel und effektiv lassen sich so Hierarchien darstellen.
Regisseur Prangenberg unterbricht, fordert mehr Tempo: „Keine Schlaftablette, sondern offener Schlagabtausch, zack, zack, zack.“ Noch mal von vorne also. Mit den gehässigen Bemerkungen, Vermutungen darüber, wo er besser gebaut sein könnte und der Frage, was er denn überhaupt hier wolle. Ein Passant bleibt vor der Bühne stehen, hört aufmerksam zu. Er ist älter, könnte Italiener oder Spanier sein. Kramt er gerade in seinen Erinnerungen, hat er das, was sich auf der Bühne abspielt, selbst erlebt, so wie Millionen anderer Gastarbeiter auch?
Hat der Gastarbeiter nun eine Frau vergewaltigt oder nicht. Für die Dörfler ist klar: „Jetzt geht es los mit den fremden Sitten!“ „Wo, wo, wo wart Ihr Silvester?“ skandiert das Ensemble im Chor, in Anspielung an die Ereignisse am Kölner Hauptbahnhof Silvester 2015.
Probenpause. Der Regisseur hat Zeit für ein Gespräch über diese Katzelmacher-Inszenierung.
Warum ausgerechnet „Katzelmacher?“
Das Stück wurde 1968 uraufgeführt. Auf unseren Plakaten steht „50 Jahre Fremdenfeindlichkeit“, was eigentlich ein Euphemismus ist, denn das gibt es ja schon viel länger. 50 Jahre deshalb, weil damit die literarische Verarbeitung anfängt und wir es jetzt wieder aufgreifen. Es ist ein Stück, das ganz extrem auf den Punkt ist. Für mich ist das Stück Zerrspiegel der Gesellschaft. Die Leute kriegen ganz klassisch den Spiegel vorgehalten. Denken, tun und machen mit Fremdarbeitern. Aber nicht nur mit Fremdarbeitern, natürlich geht´s auch um das Verhalten untereinander. Wie Menschen miteinander umgehen. Straßentheater bedarf einer viel härteren und klareren Auseinandersetzung. Dafür ist das Stück super, weil es total dicht geschrieben ist.
Bei Fassbinder sind die Dörfler Jugendliche, bei Ihnen sind es Ältere. Warum?
Das hat zwei Gründe. Fassbinder hätte es selbst gerne mit Älteren gespielt, aber er hatte weder das Geld noch die Schauspieler. Deshalb waren es bei ihm Jugendliche. Jetzt setzen wir seinen Wunsch um. Und: Bei Jugendlichen hat man ja auch oft die Tendenz, von Jugendsünden zu sprechen und zu denken „Die kommen schon noch in die Gänge“. Aber so, wie er es geschrieben hat, ist es eher für gestandene Menschen gedacht. Dadurch wird es auch schärfer und brutaler, als wenn junge Menschen es machen. Es geht um Bürger wie bei „Biedermann und die Brandstifter“ und im Grunde sind es hier alles Brandstifter.
Wie kamen Sie darauf, das Stück im öffentlichen Raum, mitten im Leben, aufzuführen?
Ich liebe Theater, aber das Problem am Theater ist, dass nur die Leute ins Theater gehen, die sowieso schon ins Theater gehen. Hier kommen wir an ganz andere Leute ran. Besonders auch, weil wir ohne Eintritt spielen. Jeder kann kommen und ich verspreche mir davon, dass auch die kommen, die sonst sagen: „Das ist nichts für mich.“ Gerade fragte eine alte Dame nach einem Flyer, die kam zufällig vorbei und will wiederkommen. Ich denke, dass auch viele Leute aus dem Veedel kommen werden.
Sie nehmen keinen Eintritt, wie finanzieren Sie die Inszenierung?
Wir haben etwas Geld von der Stadt als Projektförderung bekommen. Und wir haben eine Crowdfunding-Seite gemacht und es tatsächlich auch durchgekriegt.
Dann kann es ja losgehen, ich drücke die Daumen!
„Katzelmacher“ von Rainer Werner Fassbinder
Taj Mahal, Wilhelmplatz in Nippes, Open-Air
Premiere: 15. Juni, weitere Termine: 16., 22., 30 Juni um 20.00 Uhr, kostenlos.
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