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Gesellschaft Politik

Im Herz der Revolution: Davids Tunesien-Abenteuer

Donnerstag, 27. Januar 2011 | Text: Aslı Güleryüz | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

„Sie können am nächsten Samstag fliegen!“ Diesen Satz bekam David Boucherie in Tunis zu hören, als er seinen Urlaub in Tunesien aufgrund der Unruhen vorzeitig abbrechen wollte. David Boucherie steht täglich in seiner gemütlichen Épicerie Boucherie auf der Elsassstraße. Am 8. Januar flog er nach Tunesien, um dort Freunde zu besuchen. Politisch interessiert, wusste er um die aktuelle Situation in Tunesien. Doch keiner konnte ahnen, dass sie so eskalieren würde. David hat es miterlebt und erzählt mir, was für Ängste und Erlebnisse er hatte:

„Ursprünglich wollten wir ein paar ruhige Tage in der Wüste, in Tozeur, verbringen. Aber dann gab es plötzlich zwei Tote in der Nähe, und die Reise hätte quer durch das Land geführt. Das wäre zu gefährlich gewesen. Wir überlegten dann, lieber nach Djerba zu fahren. Aber es wurde immer unruhiger, wir haben gehört, dass Sträflinge aus Gefängnissen ausgebrochen sind. Da sind wir nicht gefahren. Am nächsten Tag wurde der Generalstreik ausgerufen.“

Was ist eigentlich los im Touristenparadies in Nordafrika? Westliche Touristen bekommen nicht viel von der politischen Situation in Tunesien und seinen Nachbarländern mit.

„Angefangen hat alles am 17. Dezember letzten Jahres, als die Polizei den Gemüsewagen des 26-jährigen Mohamed Bouazizi in der Provinz Sidi Bouzid beschlagnahmte. Er war arbeitsloser Akademiker und versuchte, durch den fliegenden Verkauf von Gemüse, seine Familie zu ernähren. Die Polizei weigerte sich, die Waren zurückzugeben,“ erzählt David. Der verzweifelte, junge Bouazizi überschüttete sich mit Benzin und zündete sich an. Bei seinem Protest schrie er: „Schluss mit der Armut! Schluss mit der Arbeitslosigkeit!“ Mohamed Bouazizi machte auf Probleme aufmerksam, unter denen die Bevölkerung des Landes schon jahrelang leidet. Die Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen liegt bei über 30 Prozent. Große Teile der Bevölkerung sind arm. Doch der seit 24 Jahren regierende Präsident Zine el-Abidine Ben Ali hatte sich durch Korruption und Vetternwirtschaft persönlich extrem bereichert. Am 4. Januar 2011 starb Mohamed Bouazizi an den Folgen seiner Brandwunden und wird seitdem als Held gefeiert. Am 14. Januar 2011 verließ der noch amtierende Präsident Ben Ali fluchtartig das Land und wird nun mit internationalem Haftbefehl von Interpol gesucht.

David, du bist nicht mit einem Pauschalangebot in eine Hotelanlage in Tunesien. Du hattest keinen Reiseveranstalter, der sich um dich bemüht hätte. Deine Freunde wohnen in einem Vorort der Hauptstadt Tunis und du hast die Krawalle direkt mitbekommen. Wie war das?
„Ich hatte Angst. Du hast das Gefühl, jetzt gibt es keine Rechte mehr. Direkt vor unserer Wohnsiedlung sah ich die Demonstranten, man hörte ständig Schüsse, Tränengas wurde eingesetzt. Hubschrauber kreisten über uns, ziemlich tief. Diese Revolution in Tunesien ist ehrenswert! Ich verstehe sie. Die Leute machen das super. Ich hätte nie geglaubt, dass es so stabil bleibt. Wir hatten Strom, Telefon, Internet, fließendes Wasser. Das hat funktioniert. Über Skype hatten wir Kontakt zu Freunden in Deutschland. Aber wir haben mitbekommen, dass die Nachbarn im Erdgeschoss von Regimegegnern in ihrer Wohnung überfallen worden sind. Das waren ein paar junge Mädchen, die eine der Reden Ben Alis gefeiert hatten. Ungefähr zwei Stunden lang hörten wir Geräusche aus der Wohnung. Da hatte ich natürlich Angst. Sind wir die nächsten, denkst du dann. Es gab auch einige jugendliche Plünderer aus den Armenvierteln, die das Chaos ausnutzten. Sie stürmten Wohnungen und nahmen sich, was sie konnten. Vielleicht kommen die auch zu uns? Das hat schon ein Unwohlsein und Unsicherheit ausgelöst. Aber das war eine Minderheit. Als das Militär kam, wurde es etwas ruhiger, aber ich war immer noch skeptisch. Die kamen mit Panzern und jeder Menge Waffen. Ich habe viele Festnahmen gesehen. Mit Handschellen und auf den Boden legen und alles.“

Am 12. Januar wurde auch eine Ausgangssperre  in Tunis verhängt. Wie ging es Euch damit?
„Ich wollte nur noch weg! Ich habe die französische Botschaft angerufen. Doch die konnten mich überhaupt nicht beruhigen, die waren nicht sehr hilfreich. „Bleiben Sie einfach zu Hause“, sagten die. Zwischen circa 17:00 und 07:00 Uhr mussten wir uns drinnen aufhalten. Unsere Lebensmittel wurden knapper. Für Brot mussten wir fast 100 Meter anstehen. Meine Freundin hier aus Köln rief mich an und sagte, alle Flüge wären abgesagt und der Flughafen sei gesperrt worden. Da rief ich sofort bei Air Berlin an. Die hatten überhaupt keine Ahnung. Es gab keine gute Betreuung ihrerseits. Ich wollte also ungefähr eine Woche früher zurück nach Köln reisen. Mein Flug war gebucht für Samstag, den 22. Januar. Doch im Call-Center sagten sie nur: „Sie können am nächsten Samstag fliegen“. Fast täglich rief ich die französische Botschaft an. Die teilten mir dann mit, es solle ein Boot von Tunis nach Marseille geben. Wir hatten aber kein Auto, um zum Hafen zu kommen. Wir wussten nicht, was uns auf der Strecke zum Hafen erwarten würde. Und letztendlich wusste ich nicht, ob ich einen Platz auf diesem Boot kriegen würde. Ein Freund hatte Beziehungen zu Air France. Nur durch ihn bekam ich ein neues Flugticket nach Paris. Am Sonntag, den 16. Januar sollte ich um 19:00 Uhr fliegen. Doch dann hieß es, auch dieser Flug sei gecancelled! Und plötzlich rief mich der Freund mit den Kontakten an und sagte, dass ich sofort zum Flughafen solle! Die Maschine würde schon um 15 Uhr starten. Wegen der Ausgangssperre sei der Flug vorverlegt worden! Ein Nachbar war so nett, mich mit seinem Auto zum Flughafen zu fahren.“

Wie hast du dich im Flugzeug gefühlt?
„Ich war sehr erleichtert, dass die Unsicherheit nun ein Ende hatte. Als wir einkaufen waren mit meinen Freunden, habe ich Lebensmittel auf Reserve gekauft! Du hast plötzlich Bagdad und den Libanon im Kopf. Ich habe an das Schlimmste gedacht. Doch am Flughafen, als ich mich irgendwie durch die Menschenmenge kämpfte und im Flugzeug saß, war ich sehr dankbar. Ich habe gebetet. Ich habe mich innerlich bedankt. Das ist nicht selbstverständlich. Ich versuche, das Gute aus dieser Erfahrung mitzunehmen. Ich habe Geschichte miterlebt! Noch nie in meinem Leben hatte ich so große Angst. Und dann ändert sich deine Einstellung. Im alltäglichen Leben klagt man immer mal wieder. Aber eigentlich geht es uns gut. Wir haben Frieden, täglich Sicherheit. Tunesien ist ein Land im Aufbruch! Das ist sehr gut, und ich werde bestimmt wieder hinreisen.“

 

Text: Aslı Güleryüz

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