Immer schön geschmeidig: Wertvolle historische Urkunden gerettet
Donnerstag, 9. Mai 2013 | Text: Christoph Hardt | Bild: Christoph Hardt
Geschätzte Lesezeit: 2 Minuten
Wie eine Auster liegt der kleine, harte Brocken aus gefaltetem Pergament im Dampf. Seit über 60 Jahren hält er sein Geheimnis fest umschlossen: Handschriften aus dem 15. Jahrhundert, Besitzregelungen der Nürnberger Patrizierfamilie Tucher eine Perle für jeden Historiker. Und wie bei einer lebendigen Muschel, die man dazu bringen will, sich von selbst zu öffnen, benetzt Christin Rosse das Dokument geduldig mit Feuchtigkeit. Peu à peu, flüstert die Master-Studentin der FH Köln unter der Plastikplane hervor, damit alles schön biegsam und geschmeidig ist.
Millimeterarbeit für Papierrestauratorin Christin Rosse
Schon seit den Morgenstunden hat die angehende Buch- und Papierrestauratorin mit einem Ultraschallverdampfer eine Feuchtekammer vorbereitet. Fast 100 Prozent Luftfeuchtigkeit herrschen hier. Schweißarbeit im Nassraum. Während der feine Nebel langsam in die Pergament-Ritzen kriecht, werden die harten Kanten allmählich wieder biegsam. Jede ruckartige Bewegung jedoch könnte das Dokument zerstören. Behutsam wollen die verhornten Schichten deshalb mit einem Skalpell gelöst werden. Und tatsächlich: Zum ersten Mal seit dem zweiten Weltkrieg geben sie den Blick auf elegant geschwungene Handschriften aus Eisengallustinte frei.
Die Urkunde gehört zu einem Satz von etwa 200 wertvollen Dokumenten, die lange Zeit als nicht mehr zu retten galten. Denn in der fatalen Nürnberger Bombennacht vom 2. Januar 1945, erlitt auch das Tucherpalais am Egidienberg, wo die Manuskripte seit Jahrhunderten lagerten, schwere Schäden. Ihre vermeintliche Sicherheit im Inneren eines Tresors erwies sich dabei als Falle: Helfer versuchten, den glühenden Behälter mit Löschwasser zu kühlen. Hitze und Dampfentwicklung ließen die Urkunden erst auf ein Drittel ihrer ursprünglichen Größe zusammenschrumpfen und dann verhärten. Die Fachwelt war ratlos: Zu starr, zu brüchig schienen die verbackenen Pergamentschichten.
Das schwer beschädigte Dokument aus dem 15. Jahrhundert
Wasser und Pergamentschnipsel ergeben Leim, so Professor Robert Fuchs, weltweit renommierter Experte für Papierrestaurierung. Daher diese gelatinöse Erscheinungsform, die dann später steinhart wird. Während zerlaufene Wachssiegel oder Verquellungen am Dokument eine eigene Vorgehensweise erforderten, sei die größte Herausforderung gewesen, die Urkunden überhaupt wieder aufzuklappen und so lesbar zu machen.
Der Trick ist, das Pergament mit Feuchtigkeit wieder in den Zustand zu bringen, als es gelöscht wurde ihm gleichsam sein Gedächtnis zu nehmen, erklärt Fuchs. Wenn man also die Umgebungsbedingungen der Bombennacht nachstelle, könne man das Pergament wieder entfalten und dann in geradem Zustand härten lassen. Nicht zum ersten Mal werden am Institut der Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft (CICS) unter Professor Fuchs wertvolle Dokumente der Tucher-Familie gerettet: Bereits 2011 gelang es, zwölf verschmorte historische Pergamente in Pionierarbeit wieder lesbar zu machen. Darunter auch eine Familienchronik mit einzigartigen Illuminationen aus dem Umfeld von Albrecht Dürer.
…Vielleicht machen wir das jetzt alle zwei Jahre.
In Arbeiten des damaligen Bachelorsemesters hatte der Fachmann für Chemie, Ägyptologie und Restaurierungswissenschaften mit Studierenden Methoden zur Öffnung und Restaurierung der nahezu zerstörten Urkunden entwickelt. Darunter Ansätze wie Durchlicht- und Bandpassfilter-Reflektographie, um die Schrift besser sichtbar zu machen. Später wurden die geretteten Dokumente im Beisein von Nachfahren der Familie Tucher an das Stadtarchiv in Nürnberg zurückgegeben. Und in dieser Geschichte könnte das letzte Kapitel noch nicht geschrieben sein: Wer weiß, meint Professor Fuchs geheimnisvoll, vielleicht machen wir das jetzt alle zwei Jahre.
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