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Bildung & Erziehung Gesellschaft

„Irgendwie ganz okay“ – Einschulung, Grundschuljahre. Vater und Sohn versuchen sich zu erinnern.

Dienstag, 31. August 2010 | Text: Reinhard Lüke | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Erster Schultag? Irgendwo müssten doch noch ein paar Fotos liegen. Oder haben meine Frau und ich damals gar keine gemacht? Doch, bestimmt. Aber wo die jetzt sind…Da mein Gedächtnis mich in der Frage der Einschulung des Sohnes ziemlich im Stich lässt, wende ich mich Hilfe suchend an Junior selbst. Der wird das ja wohl noch auf der Festplatte haben. Soll schließlich nach landläufiger Überzeugung ein bedeutender Tag im Leben eines Kindes sein. „Sag mal, wie war das denn, damals vor vier Jahren? An deinem ersten Tag in der Zwirnerstraße?“ Kurzes Nachdenken, dann: „Ich glaube, ich hab´ da so `ne Tüte mit Süßigkeiten bekommen und mir der sind wir dann in die Klasse gegangen“. Spricht´s und wendet sich wieder seinem Nintendo zu. „Ja, und weiter? Was sonst noch?“ „Nix weiter. Sonst war nix.“ Wenig später fällt ihm dann doch noch ein, dass wir „nachher mit Oma auf irgend so `nem Turm waren“. Stimmt, die Oma war zur Feier des Tages eigens aus dem Belgischen Viertel angereist und hatte die Kleinfamilie am Nachmittag bei überaus bescheidenem Wetter auf den damals gerade eröffneten LVR-Turm begleitet. Und wahrscheinlich gab es anschließend daheim auch noch Kaffee und Kuchen. Was jedoch, wie der ganze Tag, bei Sohn, heute 9, keinen sonderlichen Eindruck hinterlassen zu haben scheint.

Vielleicht wäre das anders, wenn wir, wie manch andere Eltern, die Verwandtschaft aus dem gesamten Bundesgebiet ins Restaurant geladen hätten und das frischgebackene Schuldkind mit einem Berg repräsentativer Geschenke überhäuft worden wäre.

Aber was gibt´s an diesem Tag eigentlich zu feiern? Ich erinnere mich nur zu gut an den dummdreisten Spruch meiner Eltern, die mir, wann immer ich als Vorschulkind ihrer Meinung nach über die Stränge geschlagen hatte, erklärten: „Warte nur, bis du erst in die Schule kommst!“. Logisch, dass ich mich auf meine Einschulung nicht sonderlich gefreut habe. Natürlich haben wir dem eigenen Kind die Schule als „super“, „spannend“ oder sonst was schmackhaft gemacht. Aber vermutlich hat er auf Grund unserer bescheidenen schauspielerischen Begabung damals schon gemerkt, dass die Nummer kein Zuckerschlecken werden würde. Auch Fünfjährige sind ja nicht doof. Zumal er in Sachen Kindergarten bereits ähnliche Erfahrungen gemacht hatte.
 
Kurzum, Kinder nehmen den Tag der Einschulung vermutlich als weit weniger bedeutsam als ihre Erziehungsberechtigten wahr. Wie die Erwachsenen auch später dazu neigen, den Nachwuchs täglich mit der Frage „Wie war´s denn heute in der Schule?“ zu nerven und gar nicht glücklich sind, wenn die Kleinen maulfaul nur mit „normal“ antworten. (Die meisten Tage in einem Erwachsenen-Leben sind auch „normal“) Auch Grundschulkinder wissen früh, -Erlebnispädagogik hin oder her- dass Schule kein Abenteuerspielplatz, sondern eine Pflichtveranstaltung ist. Weshalb es auch keinen Sinn macht, sie jeden Nachmittag erwartungsvoll mit Fragen zu bombardieren, als kämen sie gerade aus dem Phantasialand zurück.

Was bleibt nach vier Jahren Grundschule? Die Feststellung, dass unsere damalige Entscheidung, die –im Wortsinn- nahe liegende Schule zu nehmen, die richtige war. Das Erstaunen über die Hysterie vieler Eltern, die da meinen mit der Wahl der ersten Schule bereits über den Lebensweg ihres Nachwuchses zu entscheiden. (Trauen die sich selbst in puncto Erziehung denn gar nichts zu?) Nicht minder rätselhaft, wie viele Eltern, von denen ich weiß, dass sie mit Religion eigentlich nichts am Hut haben und eine Kirche wegen der Heimeligkeit allenfalls zu Weihnachten aufsuchen, ihre Kinder trotzdem über ein Taufbecken gehalten haben. Der eigene Sohn fand es super, von uns direkt nach dem Abstillen zum Agnostiker gedrillt worden zu sein. Musste er nicht an der konfessionellen Unterweisung teilnehmen und konnte vier Jahre montags eine Stunde länger pennen.

Ansonsten fand er –wie wir- manche Lehrerinnen (Lehrer sind an Grundschulen nun mal eine marginale Randgruppe.) nett, andere blöd. Ging uns genauso. Auch wenn wir unsere Sym- und Antipathien manchmal etwas anders verteilt haben. Eigentlich bleiben diese Grundschuljahre als überwiegend stressfrei in Erinnerung. Der Sohn ist eigentlich immer so durchgelaufen. Die Hausaufgaben, die er in der Ümi erledigt hat, hat man sich abends angesehen und vor Klassenarbeiten sichergestellt, dass er ein funktionstüchtiges Schreibgerät in seinem Mäppchen hatte. Mehr aber auch nicht. Wir haben offenbar Schwein gehabt. Schließlich hat er auch weder Physio-, noch Logo- noch sonst eine Therapie genossen, sondern als normal renitentes Kind vier wunderbare Jahre (Er würde es weniger emphatisch „War ganz okay“ nennen) in seinem innerstädtischen Dorf rund um die Eiche verlebt. Ja, es gibt auch für Grundschüler ein Leben jenseits der Schule.

Gar nichts Nerviges? Doch. Der Grill-Overkill! Da auch Pädagoginnen heutzutage offenbar mehrheitlich der Mär von der Schule als Erlebnispark anhängen, stehen da ständig Feierlichkeiten an. Ein Abschiedsfest nach Ende eines jeden Schuljahres für jede Klasse und kurz danach (oder davor) eine „Sommerfest“ genannte, im Prinzip identische Veranstaltung für die ganze Schule. Hinzu kommen St Martins-, Weihnachts-, Karnevals- und sonstige Feiern zu gänzlich nichtigen Anlässen. Manche Eltern, die Kinder auf verschiedenen Schulen und womöglich noch eines im Kindergarten hatten, mussten da in den einschlägigen Wochen regelmäßig ein Kräfte zehrendes Grillhopping veranstalten. Und wenn man sich einmal entschieden hat, als Eltern aktiv an schulischen Belangen teilzunehmen, kommen da im Laufe der Jahre einige Stunden zusammen, die man mit dem Rein und Raustragen von Tischen, Bierbänken und Getränken aller Art verbracht hat. Klar, dass man dabei jene Eltern innig lieben lernt, die zu jeder dieser Veranstaltungen erscheinen, nie einen Stuhl oder sonst was in die Hand nehmen, aber sich in einer Erwartungshaltung auf den bereitgestellten Sitzgelegenheiten breit machen, als hätten sie die Tickets zu einer VIP-Party teuer bezahlt oder in der Lotterie bei kik gewonnen. Auf der anderen Seite waren die Helfer-Partys nach der Party eigentlich immer heiter und nicht selten lang. Dabei hat man viele sympathische Zeitgenossen kennen gelernt, die man ohne Kinder (und Schule) vermutlich nie getroffen hätte.
Wie waren also die Grundschuljahre mit Junior? Manchmal nervig, meistens entspannt und eigentlich selten ein Grund zur Aufregung. Oder wie Oskar sagen würde: „Irgendwie ganz okay.“ Und ich nehme mir fest vor, ihn heute Nachmittag nicht (übermäßig) mit Fragen zu löchern, wie denn sein erster Tag im Gymnasium war. 
 

Text: Reinhard Lüke

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