Joschka Fischer vom „Stamm der Kraft und Herrlichkeit“ – Eine Filmkritik.
Montag, 30. Mai 2011 | Text: Roger Lenhard | Bild: X-Verleih / Nadja Klier
Geschätzte Lesezeit: 2 Minuten
Joschka Fischer, der am 12. April in der katholischen-dörflichen Enklave Gerabrunn geboren wurde, ist nur ein gutes Jahr älter als die Bundesrepublik Deutschland. Der Regisseur Pepe Danquart lotet den historischen Zeitraum von damals bis heute durch eine exemplarische Verknüpfung mit dem Lebenslauf Joschka Fischers aus.
Ausgangspunkt und wiederkehrender Bezug ist ein braun verklinkerter, gewölbeartiger Raum mit modernistischen Glasbildschirmen, in denen sich Bilder und Filme aus der Bundesrepublik Deutschland und dem Leben Fischers widerspiegeln. Es geht dabei um Vertreibung, Wiederaufbau, und Studentenunruhen. Zu sehen sind der bewaffnete Kampf der RAF mit der Ermordung Martin Schleyers und der bleierne Herbst, Anti-Atomkraftbewegung, Wiedervereinigung und schließlich der Jugoslawienkrieg.
Das ist jedoch nicht nur eine Dokumentation über das republikanische Geschehen aus der biographischen Perspektive Joschka Fischers, sondern auch ein Film mit ihm, genauer mit Herrn Fischer, dem Außenminister a.D. Dieser wieder gut beleibte Herr Fischer schiebt sich zeitlupenhaft durch die gallerieartige Halle der Videoinstallationen, bleibt stehen und kommentiert. Manchmal witzig („meine Mutter hat mich nie gewählt“), manchmal selbstironisch („im Taxi bin ich zum Realo geworden“) – Joschka als Ministrant in der katholischen Heimatstadt, Joschka als Straßenkämpfer in Frankfurt, Joschka als Minister in Hessen und so weiter und so fort.
Die anschaulichen Ausschnitte sind gut gewählt, so dass der Zuschauer nicht nur Einblick, sondern auch einen breiten durchaus repräsentativen geschichtlichen Überblick bekommt. Und hier beginnt das Problem des Films. Niemals wird inne gehalten, nachgefragt oder die Dinge von unterschiedlichen Seiten betrachtet. Zweifel, gar Kritik an der Sichtweise des Herrn Fischer kommt zu keinem Zeitpunkt auf. Ein zaghaftes Anklopfen an die verriegelt und verrammelte Tür der Selbstgewissheit ist nicht zu vernehmen. Vom französischen Aufklärer und Namensgeber der linken Musikkneipe „Club Voltaire“, die Joschka regelmäßig in Frankfurt aufsuchte, stammt das Zitat: „Du bist anderer Meinung als ich, doch ich werde dein Recht dazu bis in den Tod verteidigen“. In diese Verlegenheit bringt der Film Fischer nicht, da eine andere Meinung nicht vorkommt. In den Exkursionen kommen auch zwei alte Weggefährten aus revolutionären Frankfurter Zeiten zu Wort: Daniel Cohn-Bendit und Johnny Klinke, beide vom „Stamm der Kraft und Herrlichkeit“, deren Bewusstsein allerdings ebenso wenig von irgendeiner Art Zweifel angekränkelt ist, wie bei ihrem Kumpel. Dass von beiden der Lack ihres Mitstreiters einen Kratzer bekommt, war nicht zu erwarten, aber selbst ein winziges Verrücken der Perspektive oder auch nur das Hinzufügen einer unbekannten Nuance war vergebenes Hoffen.
Ich fand Joschka immer Klasse, doch diese oberflächliche Einseitigkeit verhindert, dass der Mensch Fischer mir am Ende des Films bekannter vorkommt als am Anfang. Im Gegenteil. Eine der schillernsten und politisch begabtesten Talente der jüngeren Vergangenheit wirkt blass, eindimensional und langweilig. Es ist gut, diese Dokumentation gesehen zu haben, die Kombination Bundesrepublik, Joschka Fischer ist schlicht kaum zu toppen, und der Regisseur versteht sein Handwerk. Ein gelungener Film ist es für mich aber nicht. Überzeugt Euch selbst oder seid anderer Ansicht.
Ein Interview mit dem Regisseur Pepe Danquart hat Reinhard Lüke geführt.
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