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Kultur

Kabbelei und Liebe

Dienstag, 14. Februar 2017 | Text: Gastbeitrag | Bild: ©Meyer Originals

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Glück und Elend der Mutter-Tochter-Beziehung beginnen bereits im Mutterleib. Dieser Gedanke drängt sich geradezu auf, wenn man zwei Frauen in Embryohaltung und eng beieinander mittig auf der kargen Bühne des Orangerie-Theaters liegen sieht. Ein dumpf dröhnender Herzschlag ertönt dazu aus dem Off. Über den beiden ragt eine zum Hochsitz – oder ist es ein Podest? – umfunktionierte Leiter auf, von der vier Bänder in die Ecken des Raumes ausgehen. Stroboskop-Lichtblitze bereiten der friedlichen Szene ein jähes Ende: Die Frauen robben in ihren eng anliegenden, fleischfarbenen Kleidern auf dem nackten Boden in unterschiedliche Richtungen, nur um dann gleich wieder zueinander zu finden.

Zwei, die sich in den Haaren liegen

Ging es im ersten Teil der Produktion „Mein eigen Fleisch und Blut“ um Väter und Söhne, widmet sich Andrea Bleikamp in  Teil 2 nun der Mutter-Tochter-Beziehung, oder besser: dem krampfhaftem Wunsch, den anderen nach den eigenen Vorstellungen zurechtzumodeln; dem Ringen nach Anerkennung. Das ist ganz wörtlich zu nehmen. Denn obwohl immer wieder erzählte Anekdoten und Erinnerungsfetzen eingeflochten werden, setzt man weniger auf das gesprochene Wort, als vielmehr auf Körperlichkeit, handfeste Liebesbezeugungen und Gewaltausbrüche. Und auf die Suggestivkraft von Details wie zerschnittenen Kleidern oder den Haaren der Tochter, mit denen sich Mutti schmückt wie mit fremden Federn.

„Meine Tochter liebt Glitzer“ oder „Meine Mutter hat die längsten Beine“ – die Phrasen vom Tonband wirken abgedroschen. Das gilt umso mehr angesichts der komplizierten Beziehungsdynamik, die der Zuschauer in Bleikamps atmosphärisch dichter Szenencollage gezeigt bekommt. Diese wirft nämlich Schlaglichter auf eine Beziehung, in der ein entspannter Umgang kaum möglich zu sein scheint. Das Bändergewirr auf der Bühne ist das Symbol schlechthin für die fragile, oft verworrene Mutter-Tochter-Beziehung.

 

Vielleicht ist an der ganzen Misere, die sich in schier unauflösbaren Gefühlsknäueln und Verbandelungen äußert, ganz einfach auch die fehlende Abgrenzung schuld. Schließlich werden Mutter und Tochter nicht nur von den beiden Darstellerinnen abwechselnd verkörpert; beide tragen auch stets das Gleiche. Indes könnten die zwei Akteurinnen optisch kaum unterschiedlicher sein. Die aus Litauen stammende Asta Nechajute und die Kolumbianerin Bibiana Jiménez sind altersmäßig allerdings nicht weit auseinander, was die Darstellung des Generationenkonflikts umso reizvoller macht.

Satirische Intermezzi und die Klaviatur der Gefühle

Ein Seitenhieb gegen die Wahrer von Geschlechterstereotypen darf in einem Stück mit feministischen Untertönen nicht fehlen. In werbespotartigen Einlagen werden die Klischees der glücklichen Hausfrau und Mutter vergnüglich demontiert. Fröhlich zu kitschigen Songs aus den 70ern und 90ern tanzend, verrichten die Frauen nebenher Akkordarbeit, panschen einen Linseneintopf zusammen, hängen Wäsche auf. Hier sind Mutter und Tochter künstlich grinsende, grotesk überzeichnete Figuren. Es überrascht kaum, dass diese satirischen Intermezzi jeweils in stutenbissigen Handgreiflichkeiten und in einer Kakophonie enden.

 

Die Musik, für die Julia Klomfass verantwortlich zeichnet, kommt aber auch in den ruhigen, nachdenklichen Momenten der Inszenierung als wichtiger Träger von Emotionen zum Einsatz. So singt Bibiana Jiménez in einer anrührenden Szene das Lied der Jungfrau von Candelaria über eine Frau, die in einem kolumbianischen Dorf ein vaterloses Kind zur Welt bringen muss. Jiménez, deren gesamte Choreographie so kraftvoll wie anmutig ist, wächst hier über sich hinaus: Selten werden Qual und Glückseligkeit der Schwangerschaft in den szenischen Künsten so nüchtern und zugleich so eindrucksvoll auf den Punkt gebracht.

Nicht minder bezwingend ist Asta Nechajutes Bühnenpräsenz. Spielend leicht gelingt ihr der Wechsel zwischen stoischer Beziehungsanalytikerin und manischem Gefühlsmensch. Genial ist sie in der Rolle einer Klavierschülerin, die von verinnerlichter Kritik förmlich in einen Rausch masochistischer Selbstzerfleischung getrieben wird. Wenn Nechajute wild auf die Tasten ihres Keyboard-Teppichs eindrischt und ruft „Ich sehe aus wie eine Missgeburt!“, erinnert das in seiner Vehemenz und Absurdität an das fulminante Ende von Ionescos „Die Unterrichtsstunde“.

Die Übermutter kippt vom Sockel

Gegen Ende der einstündigen Inszenierung werden leisere Töne angeschlagen. Die idealisierte und teilweise auch verhasste Übermutter macht einem realistischeren, aber auch gnädigeren Mutterbild Platz. Der Sockel muss zwangsläufig kippen. Ließ der fließende Stoff der Bänder zu Beginn noch an Nabelschnüre – aber auch an Strangulierinstrumente – denken, wird er in aufgespannter Form zum Leichentuch. Mit dem drohenden Verlust der Mutter hören auch die Kabbeleien auf. Einträchtig tragen die Figuren die eigenen hohen Erwartungen in Gestalt des „Podests“ zu Grabe, begleitet von de Beauvoirs eindringlichen Worten aus ihrem Buch „Ein sanfter Tod“, in dem die französische Philosophin und Schriftstellerin den Abschied von ihrer Mutter rekapituliert: „Einen natürlichen Tod gibt es nicht. Nichts, was einem Menschen je widerfahren kann, ist natürlich, weil seine Gegenwart die Welt in Frage stellt.“  

Bleikamp und ihr Ensemble kreieren beklemmend lebensnahe, aber auch leicht surreale Szenen und erzählen mit unmissverständlicher, aber zugleich innovativer Körper- und Bildsprache von familiärem Krieg, Waffenstillstand und zaghaften Versöhnungsgesten. Humor und Ernst sind in der poetischen, hochkonzentrierten Performance  fein austariert. Wie ließe sich auch anders von einer Beziehung erzählen, die konstruktives und zerstörerisches Potenzial hat wie kaum eine andere? Am Schluss gibt es verdienten, langen Applaus für eine Inszenierung, die unter die Haut geht.

 

 

Die Autorin: Jaleh Ojan war ein waschechtes Südstadtkind, bis sie dem Stadtteil in den späten 80ern dann wieder untreu wurde. Heute zieht es sie immer wieder in das alte Heimatveedel – vor allem auch wegen der großartigen Theater. Seit 2002 schreibt sie als freie Kritikerin/Journalistin für diverse Medien.

 

 

„Mein eigen Fleisch und Blut“
Regie: Andrea Bleikamp

?Choreografie: Bibiana Jimenez?

Darsteller: Bibiana Jimenez, Asta Nechajute + Statisterie ?
 

Orangerie – Theater im Volksgarten, Volksgartenstraße 25, 50677 Köln
Weitere Vorstellungen: 15. / 16. / 17. und 18.02.2017 jeweils um 20.00 Uhr

Text: Gastbeitrag

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