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Auf ein Kölsch mit... Kultur

Kaffeepause mit Jürgen Becker

Dienstag, 8. Februar 2011 | Text: Antje Kosubek | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Nein, wir treffen uns nicht zur Frühstückspause beim WDR – sondern in einem Café in der Kölner Südstadt. Statt Kaffee gibt es Kamillentee, denn Jürgen Becker ist erkältet.

Heute würde er viele Kategorien eines bildungsfernen Schülers erfüllen: geboren und aufgewachsen in Zollstock und Widdersdorf, zweimal sitzengeblieben, vom Gymnasium geflogen, danach Realschule und Ausbildung. Auf dem zweiten Bildungsweg holte er Abi und Studium nach und ist heute als Sozialarbeiter „politisch-kulturell-produktiv“ unterwegs. Angeregt durch Hanns Dieter Hüsch schloss sich Jürgen Becker in den 80er Jahren dem Kölner Kabaretttrio „3 Gestirn Köln 1“ an. 1991 startete er sein Soloprogramm und begann mit Rüdiger Hoffmann („Es ist furchtbar, aber es geht“) dem Publikum die nordrhein-westfälische Heimat ein Stück näher zu bringen. Er gehört zu den Mitbegründern des „Kölner Spielezirkus“ und war von 1984 bis 1995 in der Rolle des „Irokesen-Heinz“ Sitzungspräsident in der „Stunksitzung“.
Als Kabarettist tourt er das ganze Jahr durch die Republik und hat fast jeden Abend einen Auftritt. Seine Programme „Da wissen Sie mehr als ich!“, „Ja, was glauben Sie denn?“ und „Der dritte Bildungsweg“ decken vieles ab, vom Mysterium des Rheinischen Kapitalismus bis hin zur Götterspeise in Meisner’s Porzellan. Seine Deutschlandwandkarte ist mit Stecknadeln von jedem Auftrittsort versetzt und wirkt mittlerweile wie ein Masernausbruch. Zudem moderiert er die „Mitternachtsspitzen“ aus dem Kölner Wartesaal. In der Südstadt trifft man ihn oft in der Caffebar: dort hecken Didi Jünemann und Jürgen Becker bei Müsli und Kaffee, drei Minuten „kabarettistischen Espresso“ für den WDR aus.

Dein Soloprogramm „Biotop für Bekloppte“ von 1991 hast Du gerade umgeschrieben für ein Bühnenstück, die Inszenierung ist sozusagen der Nachfolger der „Ziegenbartsitzung“. Wieso?
Zum einen sind die Mitglieder der Ziegenbartsitzung älter geworden, zehn Jahre sind eine lange Zeit. Zum andern gibt es ein Jugendkabarett in Köln noch nicht, und so sollte man das mal versuchen. Die Premiere im Freien Werkstatt Theater hat gezeigt: Es ist das richtige Ding zur richtigen Zeit.

Politische Satire wird offensichtlich immer mehr konsumiert, große Hallen werden durch Comedians gefüllt, die kaum älter als 30 sind. Man macht sich einen schönen Abend, möchte einfach nur unterhalten werden. Stört Dich das in Deiner Arbeit?
Das eine schließt das andere ja nicht aus. Unterhaltsam waren Karl Valentin oder Wolfgang Neuss auch. Die Leute gehen letztlich schon dahin, um sich einen netten Abend zu machen, eben um etwas Erbauliches zu erleben. Kabarett und Comedy haben mittlerweile sogar mehr Zuschauer als das Theater, weil es fast in jedem Viertel und auf jedem Dorf ohne großen Aufwand zu veranstalten ist. Ich finde das positiv. Gerade hatte ich einen Auftritt in der Gesamtschule Höhenhaus. Die Leute im Stadtteil wissen dann, die machen hier Kultur für uns und für unser Viertel, dort treffen wir unsere Nachbarn. Zudem gibt es noch einen positiven, finanziellen Nebeneffekt für Schule und Förderverein.

Also sind Comedy und politisches Kabarett gleichberechtigt?
Wie Schokolade und Gemüse. Es sind geistige Nahrungsmittel mit unterschiedlichem Gehalt. Es gibt eben immer beides, und ich würde das auch nebeneinander stehen lassen. Früher habe ich Otto geguckt, die Texte konnte ich irgendwann sogar auswendig, später die drei Tornados, Hüsch und Rogler. Comedy ist die Einstiegsdroge und später kann man immer noch das Kabarett für sich entdecken. Es funktioniert nicht, wenn ein 20- oder 30-jähriger auf die Bühne kommt und bilaterale Verträge pointiert – das nimmt ihm keiner ab. Ich habe damals im Spielplatz mit „Biotop für Bekloppte“ auch klein angefangen und erstmal nur Köln und die Region thematisiert. Das fand ich mit Mitte 20 besser als mich gleich an der ganzen Weltpolitik zu überheben. Heute freue ich mich, wenn das Programm im FWT wieder von jungen Leuten gespielt wird.

Kann man denn eine klare Grenze ziehen zwischen Kabarett und Comedy?
Comedy ist lustig. Kabarettisten versuchen zusätzlich noch eine Haltung einzunehmen und sich vorher, ähnlich wie bei einem Kommentar, eine Meinung zu bilden.
 
War der Hauptberuf als Sozialarbeiter keine Perspektive für Dich?
Zum einen ist Kabarett ist ja auch eine Form von Sozialarbeit. Zum anderen arbeite ich gemeinsam mit Wilfried Schmickler und anderen an einer Ehrenfelder Hauptschule ehrenamtlich, und das macht mir auch  Spaß. Wir bauen dieses Jahr zum dritten Mal mit den Schülern einen großen Karnevalswagen für die Schull- und Veedelszöch. Karneval ist ein Mitmachfest, also eine Integrationsparty. An der Hauptschule Borsigstrasse liegt der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund bei 90%. Durch den Zug kommen viele zum ersten Mal in die Innenstadt und sind zum ersten Mal Teil des Karnevals. Sie genießen den Jubel der Menschen.  Karnevalisierung heißt immer Umkehrung: Der Narr wird König, der König wird erniedrigt. Jetzt sind die Bildungsverlierer mal König.

Was verbindet Dich mit der Südstadt?

Ich habe lange hier gewohnt, in der Kurfürstenstrasse und direkt am Chlodwigplatz über dem Merzenich. Von Anfang an war das das Zentrum. Meine Lehre habe ich zwar in Ehrenfeld gemacht, aber die Berufsschule war in der Südstadt. Dann kam die Studentenzeit mit der „Stunksitzung“, und der „Spielplatz“ war unsere Stammkneipe.
Jetzt wohne ich in der Nähe der Südstadt und kann Karneval aus der Kneipe nach Hause laufen. Dazu brauche ich vielleicht zwanzig Minuten, so lange mir keiner auf die Hand tritt.

So eine Tour ist ja auch anstrengend, und man ist viel weg. Bist Du gern viel unterwegs?
Sehr. Ich mag das Reisen und den Kontakt mit den Menschen, erfahre viel Neues. Manchmal fahre ich mit dem Zug, manchmal mit dem Auto und manchmal auch querfeldein mit dem Motorrad. Mittlerweile gibt es kaum eine Stadt, die ich nicht kenne.

Was gibt es Neues von Jürgen Becker?
Mit meinem Freund Martin Stankowski habe ich 2010 einen Abend im Museum Ludwig unter dem Bild von Max Ernst „Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind“ gestaltet. Das kam prima an, daraus werde ich nun ein abendfüllendes Programm über Kunst schreiben. Titel: „Der Künstler ist anwesend!“
 

Alle Infos u.a. zu Tourterminen und TV-Auftritten unter: www.juergen-becker-kabarettist.de

 

Text: Antje Kosubek

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