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Kultur

(K)Ein Platz für Träumer

Dienstag, 24. November 2015 | Text: Alida Pisu | Bild: ©TAS / Francesca Magistro

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Eine grasgrüne, schmale Mauer. Und mit der Mauer allein, die die Bühne beherrscht, ist schon viel gesagt. Schmal ist der Grat, auf dem wir wandeln. Ein falscher Schritt, und der Sturz ins Bodenlose ist die Folge. Mauern trennen, stehen als Hindernisse im Weg, steinerne Mauern erweisen sich oftmals gar als unüberwindbar. In Stein gemeißelt und unabänderlich scheint auch das Gesetz, gegen das Prinz Friedrich von Homburg in Kleists gleichnamigem Klassiker verstoßen hat. Aber gemach, das Gras wäre nicht grün, gäbe es keine Hoffnung für ihn. Im „Theater am Sachsenring“ feierte das Stück unter der Regie von Joe Knipp seine Premiere.

Manchmal ist weniger mehr. Mit zwei Schauspielern ein Stück zu bestreiten, in dem es von unterschiedlichsten Charakteren nur so wimmelt: Kann das gut gehen? Ja, das kann es, und es hat sogar einen ganz besonderen Reiz. Weil es Fragen aufwirft, die das Stück eigentlich so nicht stellt. Kleists Drama dreht sich um Recht und Gesetz, um Befehl und Gehorsam, um die Unterordnung des Einzelnen, damit die Ordnung der Gesellschaft erhalten bleibt. Allesamt Themen, die heutzutage nicht unbedingt als aktuell zu bezeichnen sind. Was nun den Reiz der Knippschen Inszenierung ausmacht, ist das Spiel mit den Rollen. Mit den Geschlechter-Rollen, mit den Identitäten, wobei jeder Rollenwechsel auch eine andere Sicht der Dinge impliziert. Und das ist so aktuell wie nur irgendetwas. Nur ein Gedanke daran, was sich derzeit an den Grenzen Europas abspielt, und schon wird klar: Es ist ein gewaltiger Unterschied, und es sind zwei völlig verschiedene Sichtweisen, ob ich vor einer Mauer stehe oder dahinter.

Prinz Friedrich von Homburg (Julian Baboi), dieser geistesabwesende Träumer, der auf einen Handschuh seiner Angebeteten, Prinzessin Natalie (Anna Möbus), so fixiert ist, dass er die Anordnung des Kurfürsten, erst auf seinen Befehl hin in der bevorstehenden Schlacht anzugreifen, nicht aufnimmt. Wie ein Fremdkörper wirkt er, der Welt fremd, aber auch sich selbst fremd. Wie gefangen in einem Raum, der jenseits von Realität liegt und angefüllt ist mit Schwärmerei und Blindheit. Gegenüber der unvermeidlichen Wirklichkeit.  Brutal auf den Boden derselben gestellt und aus allen Träumen herausgerissen, wird er durch das Todesurteil, das der Kurfürst über ihn verhängt. Lässt der Prinz doch wider den Befehl des Kurfürsten verfrüht angreifen, erringt dadurch auch den Sieg. Hat dennoch gegen Recht verstoßen und den Plan des Kurfürsten, einen endgültigen Sieg zu erringen, zunichte gemacht.

 

©TAS / Foto: Francesca Magistro

Als der Prinz, der vergebens auf die Gnade seines Herrn hoffte, durch Natalies Mund vom Todesurteil erfährt, scheint er aus einem Traum zu erwachen und den Kokon, in dem er geträumt hatte, abzulegen. Und er beginnt, um sein Leben zu kämpfen. Mit allen Mitteln. Mit Flehen, mit Hoffen auf Gnade. Mit Natalie als seiner Fürsprecherin. Und sie hat Erfolg: Sollte der Prinz sein Urteil als ungerecht zurückweisen, würde er begnadigt werden. Doch dazu kommt es nicht. Friedrich steht zu seiner Schuld und nimmt das Urteil an. Kein Platz also für Träumer auf dieser Welt?

Doch! Denn, wie gesagt, der Rollen- bzw. der Perspektivwechsel, der in der Inszenierung angelegt ist, ließe sich vielleicht so formulieren: „Ich könnte auch du sein.“ Beide Schauspieler agieren, ganz in weiß, in identischen Kostümen und es genügt der flotte Wechsel eines Jöppchens, das Anlegen einer Schärpe, das Überstülpen einer Perücke, um Natalie in die Haut Friedrichs schlüpfen oder Friedrich zum Kurfürsten werden zu lassen. Es birgt schon eine gewisse Ironie, um Friedrich in der Rolle des Kurfürsten sein eigenes Todesurteil sprechen zu lassen. Aber es ist auch konsequent: aus der Haut, in der ich stecke, komme ich nicht heraus. So wie der eine gegen das Recht verstößt, so muss der andere es verteidigen. Doch da, wo die Grenzen zwischen Ich und Du verschwimmen, wo Gewissheiten nur eine Frage des Blickwinkels sind, da ist alles möglich. Auch unerwartete und unverdiente Gnade.

Das Anfangsbild, in dem Friedrich auf der Mauer liegt, wird im Schlussbild wieder aufgegriffen. Der Prinz, sich bewegend wie ein Somnambuler, wird von Natalie „geweckt“, die ihn mit dem Lorbeerkranz des Siegers krönt. Friedrichs Frage: „Ist es ein Traum?“, bleibt unbeantwortet. Oder vielleicht doch nicht? Das Gras ist so grün, wie die Hoffnung so grün. Und die Träumer, die Weltfremden, wenn wir sie nicht hätten, wer sollte das Gras denn dann erblühen und ergrünen lassen…

Ein zeitloser Klassiker in einer modernen Interpretation mit zwei Schauspielern, die durch ihre Wandlungsfähigkeit überzeugen und bestechen. Das Publikum dankte es ihnen mit herzlichem Applaus.

 

„Prinz Friedrich von Homburg“ von Heinrich von Kleist
Mit: Julian Baboi, Anna Möbus, Inszenierung: Joe Knipp; Dramaturgie: Dr. Sabine Dissel; Bühne und Kostüme: Hannelore Honnen
Theater am Sachsenring, Sachsenring 3, 50677 Köln
Die nächsten Termine: 26., 27., 28. November, 03., 04., 05. Dezember 2015

 
 

Text: Alida Pisu

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