Keine leichte Kost: lit.kid.Cologne politisch!
Freitag, 9. März 2018 | Text: Tim Hildebrandt | Bild: Oliver Köhler
Geschätzte Lesezeit: 2 Minuten
„An dieser Geschichte, sagte Rania, nachdem sie die Erzählung auf ihre atemlos lauschenden Zuhörerinnen minutenlang hatte wirken lassen, seht ihr also, welche Macht der Islam den Frauen gibt. Ohne uns sind die Männer nichts. Nicht umsonst hat unser Prophet, Allahs Wohlgefallen in ihm, uns das Paradies zu unseren Füßen versprochen. Wo auf der Welt gibt es sonst so viel Anerkennung für die Frau, sagt mir, wo?!“ (aus: Das Mädchen und er Gotteskrieger, von Güner Yasemin Balci).
Aufmerksame Zuhörer
Als Güner Balci mit dem letzten Satz schließt, hört man verächtliches Schnauben, ein paar leise Auflacher im Publikum. Die Berliner Autorin sitzt auf der Bühne des Comedia-Theaters in der Vondelstraße und kramt gleich zum Auftakt der lit.kid.COLOGNE 2018 einen dicken und thematisch schwer zu verdauenden Brocken hervor.
Zum ersten Mal besuche ich eine Veranstaltung der lit.kid.COLOGNE und bin beeindruckt: Konzentriert hängen die mehr als zweihundert SchülerInnen an Güner Yasemin Balcis Lippen. Einige von ihnen, die SchülerInnen einer 10. Klasse der Gesamtschule Rodenkirchen, haben sich in einem Projektkurs schon seit Monaten intensiv mit dem Buch beschäftigt und auch diese Veranstaltung hier geplant.
Fehlende Identität, Manipulation und Islamismus.
Mit ‚Das Mädchen und der Gotteskrieger‘ stellt die Schriftstellerin die Geschichte einer fiktiven jungen Türkin dar, die der Anwerbung des IS erliegt und sich infolge dessen in Lebensgefahr begibt. Der Jugendroman möchte Probleme an-, und vielleicht auch Warnungen aussprechen. „An vielen Orten, die sich stark auf ihre muslimische Religion berufen, findet eine schleichende Politisierung statt“, erzählt uns die Journalistin, die aus Berlin-Neukölln stammt, einem so genannten Problembezirk. „Das ist nicht gut. Dem müssen wir entgegensteuern.“
Neben ihr auf der Bühne sitzen Jule Moll und Jannik Weiß. Die beiden Schüler der Gesamtschule Rodenkirchen moderieren die Veranstaltung heute, die auf der litCOLOGNE unter der Rubrik ‚Schüler für Schüler‘ Premiere feiert. „Wie geht Ihre Familie mit der religiösen Thematik um?“, fragt Jule die Autorin, die eine klare Antwort auf diese Nachfrage hat.
Religion ist privat
Das Publikum hört weiter wie gebannt zu, Smartphones bleiben in der Tasche, gelegentliche Aussetzer diesbezüglich bestrafen die begleitenden LehrerInnen mit strengen Blicken. „Für uns war Religion immer nur eine Privatsache“, sagt Güner. „Warum muss man seine Religion immer wie eine Marke vor sich hertragen? Das ist doch ein komplett falscher Umgang mit einer solch sensiblen Thematik. Ich bin Christ, du bist Moslem, der da ist Jude. Es grenzt aus, Differenzierungen verwischen sich mit den strikten Kategorisierungen und all das führt allmählich zu einer sich voneinander entfernenden Gesellschaft.“
Worin das Problem liege, fragen die SchülerInnen. Warum klammern sich so viele Personen an Verhaltensregeln, die von religiösen, nennen wir sie Instanzen, vorgegeben werden und denen auch viele junge Menschen folgen, obwohl sie ihren eigenen Verstand nutzen können?
Religion: Politisches Instrument gegen Selbstdenken?
„Viele junge Menschen suchen nach ihrer Identität. Das patriarchalische System nimmt vielen Personen das Denken ab, gibt ihnen eine, wenn auch illusorische Heimat, schenkt ihnen Anerkennung.“ Dass dem nicht nur Männer erliegen, ist nicht erst seit den weltweiten Rekrutierungsversuchen des Islamischen Staates bekannt. Fehlende Integrationsmöglichkeiten, problemleugnende Politik und eine „falsche Berichterstattung“, trügen zu dieser Entwicklung bei, so Güner Balci. „Früher haben wir auf dem Schulhof mit allen gemeinsam gespielt, wir haben uns einfach alle als Berliner gefühlt“, sagt Güner, dabei schwingt ein wenig Wehmut in ihrer Stimme mit. „Dieses Verhältnis schwindet.“, fügt sie hinzu. Ich frage mich: Ich bin Türke, du bist Kurde, guck dir mal den Deutschen da drüben an – Ganz ehrlich, was soll der Scheiß??
Problembewusstsein
„Uns war die Problematik im Buch schon bewusst, bevor wir uns in das Projekt schmissen.“, sagt Jannik, einer der beiden Moderatoren. Gerade mal 15 Jahre ist er, macht aber einen älter wirkenden und weitsichtigen Eindruck, wenn er über unbewusste Beeinflussung spricht und darauf hinweisen möchte, dass diese Gefahr tatsächlich real ist.
Wenn Kinder, Jugendliche diese Gefahr konkret einschätzen können, wieso wird sie von der Politik ignoriert, oft gar verschwiegen? „Die große Mehrheit der Muslime steht dem aber entgegen“, bemerkt Güner. Schade, dass diese Mehrheit auch eine „schweigende“ sei, wie sie findet.
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