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„Keine Stadt kann es sich leisten, die Bürger abzublocken“

Dienstag, 28. Juni 2011 | Text: Doro Hohengarten | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Schon mal vom „Leitbild Köln 2020“ gehört? Nein? Normal. Das längst währende Bürgerbeteiligungsverfahren in Köln führt ein Schattendasein – in den Medien ist es selten präsent, die Arbeit geschieht leise, im Hintergrund. Dabei geht es um die nahe Zukunft der Stadt: Wie soll Köln im Jahr 2020 aussehen? Zu Beginn des Leitbildprozesses 2002 arbeiteten noch 350 Kölnerinnen und Kölner am Leitbild und seiner Umsetzung – jetzt sind es vielleicht noch 70. Eine von ihnen ist Christine Rutenberg, die Sprecherin der Leitbildgruppe „Attraktive Stadtgestaltung“. Ich treffe sie in der Fonda am Ubierring.

Frau Rutenberg, was bedeutet es, ein „Leitbild“ für Köln zu entwickeln?
Christine Rutenberg: Es bedeutet sich zu überlegen: Wo soll die Stadt in einem bestimmten Zeitraum stehen und wie kann sie diese Ziele erreichen? Es bedeutet auch, dass sich die Stadtgesellschaft dazu verpflichtet, sich auf diese Ziele zu konzentrieren.

Wie sieht die Stadt nach diesem Leitbild im Jahr 2020 aus? Und was
haben Sie bislang schon erreichen können?

Zu unserer Leitbildgruppe „Attraktive Stadtgestaltung“ gehören die Themen Stadtgestaltung, Stadtplanung, Stadtenwicklung und Bürgerbeteiligung. Wenn es um bestimmte Prozesse geht, wie z.B. die Erarbeitung des Höhenkonzeptes, also wie hoch Gebäude in der Innenstadt gebaut werden dürfen, dann haben wir uns überlegt: Ist Bürgerbeteiligung da sinnvoll? Wir haben befunden: Ja und konnten sie dann auch erfolgreich einfordern.
Wir fordern zum Beispiel auch, dass es der Bevölkerungsstruktur und ihren Bedürfnissen gerechte Wohnungen gibt – „Wohnen in vielfältiger, sozialer und bezahlbarer Form“ heißt das in unserer „Leitbild“-Broschüre. Teilweise konnten wir in diesem Punkt schon Erfolge erzielen – zum Beispiel bei der Förderung von Mehrgenerationenprojekten im Wohnen. Außerdem treten wir dafür ein, dass es einen Ausgleich zwischen den Vierteln gibt, dass also die sozialen Ungleichgewichte zwischen den Vierteln in Köln vermindert werden.
Natürlich behandeln wir auch das Thema Plätze. Wir haben uns massiv dafür eingesetzt, dass in Köln eine Stadtraummanagerin eingesetzt wird, die ein Platzkonzept umsetzen soll. Die Stelle ist eingerichtet worden. Außerdem fordern wir, dass die Bürger bei der Gestaltung von Plätzen stärker einbezogen werden.

Besonderes Augenmerk hat die Leitbildgruppe in den letzten Jahren auf

das rechtsrheinische Köln gelegt und die Leitlinien „Rechtsrheinische Perspektiven“ erarbeitet. Wieso?
Die Probleme des Strukturwandels im Rechtsrheinischen müssen aufgefangen werden. Wir haben dort in den letzten dreißig Jahren rund 50.000 bis 60.000 Arbeitsplätze verloren – durch den Niedergang der Industrien wie KHD oder der Chemischen Fabrik in Kalk zum Beispiel. Die dort entstandenen riesigen Brachflächen müssen neu beplant, neu besiedelt werden, und wir fordern, dass das sozial verträglich angegangen wird. Wir möchten auch, dass das Zukunftsziel der Gleichwertigkeit der links- und rechtsrheinischen Stadtgebiete verwirklicht wird.

 

Welche Chancen haben die Leitbild-Vorschläge, tatsächlich umgesetzt zu werden?
Viele unserer Vorschläge und Konzepte müssen über den Rat verabschiedet werden, bevor die Verwaltung sie dann umsetzen kann. Aber es gibt auch andere Wege, zum Beispiel direkt mit der Verwaltung zu kommunizieren. So haben wir im Stadtentwicklungsamt unsere “Rechtsrheinischen Perspektiven” vorgestellt und konnten dort bislang unsere Ideen gut einbringen. Wir sind auch in der Lenkungsgruppe für den städtebaulichen Masterplan. Wir bringen Vorschläge ein,  überprüfen und kommentieren die Umsetzung der Maßnahmen.

Gibt es auch Widerstände seitens der Stadt?
Es fehlt eine Stelle, die unsere sechs Leitbildgruppen koordiniert und den Kontakt mit der Verwaltung herstellt. Eine Stelle, die Öffentlichkeitsarbeit betreibt. Das wäre die Aufgabe eines Leitbildbeauftragten, doch die dauerhafte Installation eines solchen ist immer wieder gescheitert. Das ist schade und von Nachteil für unseren Bürgerbeteiligungsprozess.

Selten äußert sich die Leitbildgruppe so deutlich, wie in dem offenen Brief, den sie kürzlich an den Oberbürgermeister und die Fraktionen gerichtet hat. Sie beziehen darin klar Stellung für einen Verbleib des Ingenieurwissenschaftlichen Zentrum der Fachhochschule in Deutz – und damit gegen den Umzug nach Bayenthal.
Normalerweise arbeiten wir eher an Leitlinien für die Stadtentwicklung, weniger an Einzelprojekten. Aber in unseren Entwicklungsleitlinien für das Rechtsrheinische war das ein wichtiges Thema – dass aus stadtstrukturpolitischen Gründen die FH in Deutz bleibt. Das sehen wir auch weiterhin so. Ein Wegzug des IWZ wäre für das Rechtsrheinische fatal.

Wenn Sie sich für mehr Bürgerbeteiligung stark machen – ist Köln da  auf dem richtigen Weg?
Wir haben in Köln viele so genannte „Top-Down“-Prozesse in der Bürgerbeteiligung: Es wird etwas von oben vorgegeben, an dem man sich unten beteiligen kann. Was uns noch fehlt, ist der Weg andersherum – eine verbindliche Möglichkeit oder Stelle für all die Initaitiven, die es in Köln gibt, ihre Vorschläge in die Verwaltung einzubringen. Dieser Weg ist nicht immer klar geregelt. Wenn sich also Bürger bei der Gestaltung der Brachen einbringen wollen, ist es sehr unklar, wie sie das genau tun können, wie also diese so genannten „Bottom-Up“-Prozesse laufen können.
Das Bewusstsein seitens der Stadt dafür entsteht aber langsam. Gezwungenermaßen. Denn wenn es keinen Konsens mit den Bürgern gibt, wenn Entscheidungen für Großbauprojekte ohne Beteiligung der Bürger getroffen werden sollen – wie im Fall Helios in Ehrenfeld – dann kann es zu Bauverzögerungen, zu großen Verlusten für die Beteiligten führen. Siehe auch der Baustopp bei Stuttgart 21. Keine Stadt kann es sich leisten, die Bürger abzublocken – gerade jetzt nicht. Im Moment ist das Bedürfnis der Menschen, mitzugestalten, enorm groß.

Sie sind jetzt 10 Jahre „Leitbildlerin“. Wann werden Sie dieses ehrenamtliche Engagement beenden?
2020, wenn der Leitbildprozess abgeschlossen ist. Dann gehe ich in Rente.

Text: Doro Hohengarten

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