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Gesellschaft

Kleine Schwester, große Schwester: Marcia und der Karneval Köln-Rio

Freitag, 11. November 2011 | Text: Doro Hohengarten | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

11.11.. Das ist der Tag, an dem ich Marcia Ramalho treffe. Aus ihrer Wohnung am Sachsenring blicken wir auf das Quartier der Blauen Funken. „Perfekte Lage“, sagt Marcia: Den Karneval ist immer in Sicht. Marcia stammt aus Rio de Janeiro. Im Herzen der brasilianischen Metropole aufgewachsen, kam die Lufthansa-Flugbegleiterin 1987 nach Köln. Mit ihrem Mann Jan Krauthäuser hat sie 1994 den Humba Efau gegründet – einen Verein, der mit einer legendären Multikulti-Party den Karneval schöner macht. Im Juni hat Marcia den Köln-Rio Städtepartnerschaftsverein, kurz: Köln-Rio e.V., mitgegründet – denn neuerdings sind Köln und Rio Partnerstädte.

Was ist der Elfte im Elften für ein Tag für dich?
Ein ganz besonderer Tag. Ich bin inzwischen so eingekölscht, dass die Zahl Elf eine ganz besondere Bedeutung für mich hat. Sehe ich eine Uhr, auf der es 11 nach 11 ist, dann gehen die Gedanken los. Bilder entstehen. Gute Gefühle. Auf jeden Fall werde ich heute noch irgendwo feiern gehen…

Ist dieser Tag auch in Brasilien ein besonderer Tag?
Nein. In Brasilien ist das vielen Menschen total fremd. Wenn sie vom Elften im Elften hören, denken sie, in Deutschland fängt dann der Karneval an – der Straßenkarneval. Aber dieser Tag ist ein guter Anlass, um ins Gespräch zu kommen:  Dass es in Köln eine Session gibt, einen ganzen Zeitraum, der erst am Ende in den Straßenkarneval mündet. Erst in den letzten zehn Jahren sendet der Fernsehsender Globo auch Karnevalsbilder aus Düsseldorf und Köln – aber das ist ein ganz kleines Fenster von zwei Minuten.

Wie erklärst du den Kölner Karneval den Brasilianern?
Ich erkläre, dass das Lebensgefühl eines Jecken das gleiche ist wie das eines Brasilianers, der richtig gerne Karneval feiert. Das ganze Jahr über gibt es im Kopf einen Termin, der wichtig ist. Ein bezeichnender Moment war, als ich die Pudelbande aus Köln-Kalk kennengelernt habe – ein Kegelclub älterer Damen, die alte Kölsche Lieder zusammen sangen. Darüber gab es im WDR einen Film. Darin fährt Finchen, eine inzwischen verstorbene Dame, an Karneval in der Bahn verkleidet über die Deutzer Brücke. Sie sagt: „Das ist für mich die schönste Zeit im Jahr: Fastelovend“. Genau das ist Karneval.

 

Wie reagieren Brasilianer, wenn sie das erste Mal rheinischen Karneval erleben?
Ich hatte vor ein paar Jahren zufällig an Karneval Besuch von einem Musiker-Duo aus Rio. Wir hatten sie mit dem Auto in Bielefeld abgeholt und gerieten auf dem Heimweg auf den Heimersdorfer Veedelszug. Wir sahen nur den letzten Wagen – aber der haute die beiden schon um – dieses Geben, das Karneval bedeutet, diese Kamelle und Strüßjer. Der Kölner Karneval war gegen die Professionalität von Rio für sie eine Rückkehr zur Kindheit. Trotz Kälte wird hier gefeiert – und alle kostümieren sich. In Rio dagegen zieht man wegen der Hitze nur aus, was man kann. Jeder Brasilianer der hier ankommt ist verblüfft.

Inwiefern ist der Karneval in Rio kommerzialisierter als unserer?
Der brasilianische Karneval entstand sehr spät, etwa 1880, und wurde von der portugiesisichen Elite etabliert. Er ist dann von den ehemaligen Sklaven übernommen und weiterentwickelt. In den 80ern wurde dann mit dem Bau des „Sambadroms“ alles extrem kommerzialisiert – seitdem ist der Karneval in Ligen organisiert – erste, zweite, dritte Liga. Und jeder möchte aufsteigen. Es geht um Sambaschulen, um Ruhm und Geld – es ist eine riesige Konkurrenzveranstaltung, um das beste Kostüm, Rythmus, Perscussion, Tanzduo, Choreografie, Requisiten. Es werden Millionen investiert, und arme Leute arbeiten das ganze Jahr daran. Es gibt öffentliche Proben, bei der die aktuelle Sambamusik gelernt werden muss und alte Lieder gemeinsam gesungen werden. Die Musik ist ein sehr schneller Samba, der sehr schnell getanzt werden muss –  fast wie ein Sportereignis.
Alles muss auf den Bildschirm passen – gefeiert wird maßgeblich im Fernsehformat. Das war mir als Jugendliche nicht authentisch genug. Heute sehe ich das anders. Ich sehe die Menschen, wie sie im Karneval aufgehen und alles einbringen – das große Engagement ist beeindruckend.

Gibt es auch alternative Bewegungen?
Zur gleichen Zeit, zu der in Köln die Stunksitzung gegründet wurde, entstand dort z.B. „Suvaco do Cristo“, die „Achselhöhle Christi“, benannt nach dem Ort des Entstehens unweit der berühmten Christus-Statue. Die Bewegung sperrte zwei Verkehrsader ab und forderte die Autofahrer auf, mitzufeiern – eine Woche vor dem eigentlichen Karneval. Das hat sich inzwischen etabliert – und jetzt gibt es jedes Jahr einen alternativen Karneval, der sich lokal organisiert, back to the roots.

Der Köln-Rio e.V. – was ist für dich das Ziel dieses Vereins?
Köln in Rio berühmt machen. Weil Köln dort unbekannt ist! Obwohl Köln immer eine kleine Schwester von Rio sein wird, von den Einwohnern her wie von der Fläche: In Sachen Karneval kann Köln mithalten. Köln kann viel zeigen. Hier in Europa ist der Ursprung – und das ist vielen Brasilianern nicht bewusst. Noch nicht.

Text: Doro Hohengarten

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