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Gesellschaft

Kochen wie Gott in Damaskus

Montag, 6. Juni 2016 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: Tamara Soliz

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Wer Atallah zusieht, weiß sofort: Vollprofi. Pinkes T-Shirt, weiße Kochmütze und immer ein scharfes Messer in der Hand. Atallah hat in Syrien als Koch gearbeitet, bevor er nach Deutschland floh. Er kommt aus Daraa im Süden des Landes. Dort begann der Aufstand gegen das Assad-Regime, im Frühjahr 2011.

 

Jetzt lebt Atallah in Deutschland, genauso wie Aida und ihr Sohn Ahmad aus Damaskus. Und Ali aus Deir Atiyah, etwas nördlich von Damaskus. Zu viert kochen sie im Projekt „Refoodgees“ in Köln. Ich mache da seit ein paar Wochen mit, aber die Homebase des Ganzen ist am Chlodwigplatz, denn dort wohnen Christian Schmitt und seine Freundin Lena Breuer. 

 

Sie haben die „Refoodgees“ in der Südstadt ins Leben gerufen und orientieren sich am Verein „Über den Tellerrand kochen“. Die Idee ist einfach: Integration geht über den Gaumen. Die Flüchtlinge zeigen uns ihre Gerichte, bringen uns ihre Rezepte bei, wir kochen zusammen – und bringen das Essen unter die Leute. Zum Beispiel auf dem Veedelsfest.

 

 

Viermal A: Aida, Ahmad, Ali, Atallah

 

Lenas und Christians Bulli steht auf der Alteburger Straße, nicht weit vom Kreisel beim Ubierring. Der Bulli ist kein glänzender, silberner Food-Truck mit geschwungenem Heck, sondern ein gemütlicher alter Ferienbulli in dunkelgelb. Daneben ein Partyzelt. Das sind die „Refoodgees“.

 

Es ist 17 Uhr am Samstag, als meine Schicht beginnt. Die schlimmsten Regenschauer sind vorbei, die Straße füllt sich wieder. Unter dem Partyzelt arbeiten die „vier A’s“: Aida, Ahmad, Ali und Atallah – nur dass Atallah rasendes Zahnweh hat. Lena entscheidet, mit ihm in die Notaufnahme zu fahren. Für uns heißt das: Der Chefkoch fällt aus. Zumindest für ein paar Stunden – und einmal kräftig Bohren bei einer polnischen Zahnärztin in Köln-Kalk.

 

Macht aber nicht viel. Denn Aida ist ja auch da. Sie sagt wenig, lächelt oft, und wenn sie zwischendurch „Yalla“ ruft, weil eine Zutat fehlt, springen Männer im Quadrat. Ich bin nervös, als sie neben mir steht und beobachtet, wie ich meine ersten Versuche mache. Sie zeigt mit dem Zeigefinger nacheinander auf die Zutaten, die ich brauche – höflich, aber eindeutig. Am Ende lächelt sie. Ich atme auf.

 

Ohne Anleitung aufgeschmissen

 

Bei den „Refoodgees“ gibt es vier syrische Gerichte: Ful Ali, Ful Aida, Ful Ahmad und Falafel Atallah. Jedes Essen ist ein Baukasten. Ful Ali kommt heute im Veedel besonders gut an. Die Bastelanleitung hängt für Nicht-Profis und Nicht-Syrer drinnen am Tisch, Schritt für Schritt. Zum Glück, denn sonst wäre ich aufgeschmissen. 

 

 

Ful Ali geht so: In einen rechteckigen Palmholzteller kommen als Grundlage ein paar Esslöffel Paste aus gestampften braunen Bohnen mit Joghurt-Sesam-Soße. Darüber wird eine arabische Gewürzmischung gestreut (nicht sehr scharf). Dann in die Mitte ein Esslöffel gehackte Tomaten und in zwei von vier Ecken ein Löffel geschmorte Zwiebeln. In die anderen Ecken ein Löffel gehackte Petersilie. Zum Schluss etwas Olivenöl darüber – und zwei Paprikastreifen als Deko. Schmeckt klasse.

 

Ali macht derweil das Marketing – er sagt: „Das können wir in Syrien einfach gut.“ Er nimmt ein kleines Stück frittiertes Brot in die Hand und tunkt es in die Bohnen-Joghurt-Paste. Dann schaut er auf die Straße, sucht den Blickkontakt und fragt: „Wollen Sie probieren?“ Es funktioniert. Menschen bleiben stehen, runzeln die Stirn, greifen zu, kauen ein bisschen und nicken.

 

Jorin, der Wetterfrosch

 

Die meisten gehen danach drei Meter weiter zum Bulli. Drinnen sitzen Christian, Jorin oder Alex und verkaufen durch ein langes, schmales Fenster die Bons für das Essen – am Sonntag helfen auch noch Julia und Kerstin mit. Läuft alles über Tablet-Computer: einmal auf das Bildchen mit dem Gericht tippen, dann „Kasse“ tippen – und aus dem kleinen Drucker kommt der Bon. Und wir nebenan im Partyzelt können loslegen. 

 

Jorin und Alex sind ein Paar und ebenfalls Teil der „Refoodgees“. Jorin ist aber heute aus einem anderen Grund Gold wert: Er ist der Wetterfrosch. Er hat irgendeine App auf dem Smartphone, die hervorragend arbeitet. „Gibt gleich kurz was“, sagt er ab und zu. Und drei Minuten später fängt es an zu regnen. Seine Vorhersagen stimmen immer. Damit können wir arbeiten.

 

Die „Refoodgees“ sind in den vergangenen Monaten expandiert: Das syrische Essen kommt so gut an, dass inzwischen Firmen die Gruppe für ihr Catering buchen. Die Termine werden mehr, mal ein „Tag der Offenen Tür“, mal ein Streetfood-Fest. Aida macht für solche Anlässe auch Baklava – das süße Nachtischgebäck mit Nussfüllung.

 

„Krack, krack, krack“, macht das Messer

 

Es dämmert in der Südstadt. Auf der Bühne neben uns spielt jetzt eine Abba-Cover-Band, ich erahne beim Bierholen eine weißblonde Perücke. Das muss Agneta sein. Noch ein A. Dann ist Atallah wieder da, er lächelt, er hat kein Zahnweh mehr. Und legt sofort los. Es ist ein Unterschied, wenn man einen Profi dabeihat. Einen echten Koch eben. „Krack, krack, krack“, macht das Messer. Und die Petersilie ist kurz und klein. Will ich auch mal so können.

 

 

Atallah hat heute zwei Gründe, sich zu freuen. Sein Zahnweh ist weg. Und er hat einen Mietvertrag bekommen. Das heißt für ihn: Er muss bald nicht mehr in einer Halle mit 200 Menschen leben, sondern zieht in eine Wohnung in Niederdollendorf bei Bonn. Ist nicht gerade Südstadt-Mitte, aber Wohnung ist Wohnung. Und er hat lange gesucht – und erfahren, was deutsche Vermieter so über Flüchtlinge denken.

 

Huch, ein Flüchtling

 

Auch das ist eine dieser Geschichten, die wir uns an diesem Abend erzählen: Wie schwierig es sein kann, unterzukommen, obwohl der Aufenthaltsstatus geregelt ist (drei Jahre, anerkannter Flüchtling). Obwohl die Finanzen stimmen (die Ämter zahlen gut 400 Euro im Monat für die Miete). Es gibt bei vielen immer noch die Mauer im Kopf: Huch, ein Flüchtling, nee, lieber nicht.

 

Aber jetzt hat Atallah etwas. Und wir feiern um elf Uhr abends mit einem winzigen symbolischen Feuerchen den Mietvertrag (es ist eigentlich nur ein brennender Streifen Pappe, aber Symbol ist Symbol). Danach packen wir das Essen in den Bulli und teilen uns den Abwasch auf. Ich bin fix und alle, als ich nach Hause komme. Ich weiß nicht, ob Gastro für mich ein Lebenstraum wäre. Aber kochen bei den „Refoodgees“? Gerne wieder. Mein arabisches Lieblingswort ist natürlich lecker, spricht sich ungefähr „lasis“ aus, mit warmem s. Ahmad hat auch ein neues deutsches Lieblingswort: Es heißt „naschen“.

 

 

Mehr im Netz

Ihr findet die reFOODgees (denn so schreiben sie sich eigentlich) auf Facebook, wenn ihr hier klickt. Und den Verein „Über den Tellerrand kochen“ findet ihr hier.

Text: Jörg-Christian Schillmöller

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