Köln hören, riechen, tasten
Montag, 17. Oktober 2011 | Text: Benedikt Schleder | Bild: Tamara Soliz
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Sightseeing steht für die Besichtigung kultureller Zeugnisse, überwiegend mit Auge und Ohr. In diesen Tagen geht Deutschlands erster Blindwalk in Köln an den Start. Unter einer lichtdichten Augenbinde werden maximal sechs Teilnehmer von einem sehenden Guide zu klassischen, aber auch weniger bekannten Sehenswürdigkeiten rund um den Dom geführt.
Vor dem eigentlichen Startschuss am 21. Oktober 2011 hatten Journalisten die Möglichkeit, den Blindwalk zu testen. Mit kleinen, unsicheren Schritten setzte sich das sechsköpfige Gespann unter Führung des Initiators Dr. Axel Rudolph am Museum Ludwig Richtung Domplatte in Bewegung. Via Mikrofon und kleinen Kopfhörern kommuniziert der Tourguide mit den Teilnehmern und gewöhnt diese an das Gehen im Dunkeln mit kleinen Hinweisen zur Wegstrecke.
Einen ersten Stopp legt Axel Rudolph auf der Ostseite des Doms ein und weist die Gruppe auf verschiedene Impressionen und Eindrücke hin: Hier, auf Höhe des Hauptbahnhofs, erzeugen die ein- und ausfahrenden Züge, die Lautsprecheransagen, die Weite des Bahnhofvorplatzes und der beständige Wind eine besondere Klangkulisse. Mit dem Loslassen des Vordermanns zum Verweilen verfliegt an dieser Stelle auch der letzte Funke Anspannung und Unsicherheit bei den Teilnehmern. Weiter geht es zum Roncalliplatz, dem Museum für Angewandte Kunst und letztendlich in die Hohe Straße. Die neugierigen Blicke der Passanten kann der Blindwalker dort nur erahnen, vielmehr schnappt er aber die eine oder andere Bemerkung auf, die interessierte oder erstaunte Fußgänger von sich geben. Auch Gerüche aus Parfümerien, Cafés oder der Duft von frischem Brot aus Bäckereien erreichen die Nasen der TeilnehmerInnen des Blindwalks, ihnen immer Voran der Tourguide, der über Funk die Umwelt und Umgebung beschreibt und regelmäßige Hinweise auf verschiedene Sinnesreize gibt. Als Erholung verspürt man die sich verlaufenden Menschenmassen beim Verlassen der Hohe Straße in Richtung Heinzelmännchenbrunnen entlang des Römisch-Germanischen Museums zum Heinrich-Böll-Platz.
Tastend, riechend, und fühlend orientiert man sich beim Blindwalk
Vor dem Antritt der Stadtführung erhalten die Teilnehmer Rucksäcke, bepackt mit Regenponcho, Brillenetui, Sitzkissen, Picknickdose und einem Trinkbecher. Ein ausgiebiges Kramen und Suchen im Inneren des Rucksacks startet dann, wenn sich die Blindwalker zum gemeinsamen Picknick auf einer Sitzbank in Museumsnähe niederlassen. Auf diese Wahrnehmungsübung des Tastsinns folgt ein kleiner Snack, der natürlich auch für gustatorische Überraschungen bei den Blindwalkern sorgt. Hier gehört ein gutes Stück Mut dazu, Ungesehenes zu verzehren. Man stellt fest, dass der Geschmack und Geruch von Lebensmitteln ohne die Unterstützung unseres visuellen Sinns größere Aufmerksamkeit und Intensität erfährt.
Immer noch im Dunkeln tappend geht es anschließend weiter Richtung Hohenzllernbrücke, die mit ihren Eisenfachwerkbögen zum Stadtbild Kölns zählt. Die Geräuschkulisse ist bis dahin gespickt mit vorbeirauschenden Zügen im Minutentakt, Rikschaklingeln, dutzenden Landessprachen zahlreicher Touristen, Straßenmusik und allerlei Tönen und Klängen, die sich im Tohuwabohu des Geschehens nicht eindeutig zuordnen lassen oder sich in diesem verlieren. Der Wechsel des Bodenbelags, vor allem aber das Wackeln und Vibrieren unter den Füßen lässt darauf schließen, dass man die Brücke betreten hat.
Nach zweieinhalb Stunden endet der Blindwalk am Rheinufer mit dem gemeinsamen Abnehmen der Augenbinden. Nachdem sich die Augen an die Helligkeit gewöhnt haben, erhalten die Teilnehmer einen Stadtplan, auf dem die Tour eingezeichnet ist. Die Notwendigkeit dessen zeigt das Statement der Blindwalktesterin Asli Güleryüz: Ich kenne die Gegend und habe während des Blindwalks versucht zu identifizieren, wo wir uns gerade befinden. Nach kurzer Zeit habe ich jedoch bereits die Orientierung verloren. Wie sich jedoch zeigte, birgt diese andere Stadtführung auch ohne vollkommende Orientierung vielerlei Eindrücke und eine Menge Spaß wie Dr. Axel Rudolph zu erzählen weiß: Viele Passanten machen lustige Kommentare, die sich wirklich zu hören lohnen. Als Gründer der unsicht-Bar, dem ersten Restaurant in kompletter Finsternis in Deutschland, und Initiator des Dialog im Dunkeln erreichte Rudolph bereits in den vergangenen Jahrzehnten viele Sympathisanten und Interessierte mit oder ohne Sehbeeinträchtigung. Man macht etwas Gewöhnliches unter völlig ungewöhnlichen Rahmenbedingungen. Das ist der Reiz und das Besondere dieser Stadtführung erzählt Axel Rudolph nach dem Testblindwalk.
Bild oben: Axel Rudolph, Initiator des Blindwalk in Deutschland
Der Blindwalk wird in englischer und deutscher Sprache angeboten und findet immer freitags um 15:00 Uhr und sonntags um 11:00 Uhr statt. Einen interessanten Kurzfilm zum Thema, weitere Informationen, Termine und die Möglichkeit zur Anmeldung gibt es unter www.blindwalk.de.
Benedikt Schleder
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