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Südstadt

Köln – Kreta und zurück

Donnerstag, 12. Mai 2016 | Text: Nora Koldehoff | Bild: Tamara Soliz

Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten

Bimmelnd schwingt die altmodisch schlichte Ladentür auf, über der das Schild ‚Friseur‘ hängt.
„Haste gerade Zeit?“ – „Noch einer vor Dir. Halbe Stunde.“ – „Alles klar. Komm ich wieder.“
Termine nämlich macht Klaus Meyer nicht, das gehört zur Unabhängigkeit, die er sich hier geschaffen hat. „Früher, im Salon am Domhotel, stand immer der Chef hinter mir und hat auf die Uhr getippt, während ich noch zugange war“, erzählt er dann und lächelt. „Weil dann wieder der nächste Kunde parat stand. Das mochte ich nie“.

Seit dreißig Jahren schwingt Klaus Meyer seine Schere nun schon im kleinen Laden in der Darmstädter Straße. Auf Wortspiele mit dem Wort ‚Haar‘ verzichtet sein Salon. Im Schaufenster wirbt nur ein geschwungener roter Neonschriftzug: Sein Name ist  Marke geworden – man geht „zum Meyer“. Und der trägt bei der Arbeit meist ein schwarzes T-Shirt mit demselben Logo – auch in rot, auf Brusthöhe. Die Fensterauslage seines Ladens nutzt Klaus Meyer gerne zum Präsentieren von Fotos und persönlichen Statements – die in der Regel recht deutlich und politik-kritisch ausfallen. Einmal stand deshalb sogar der Staatsschutz auf der Matte und kassierte die von Meyer gefundene und einer Collage über den damaligen Bundeskanzler Kohl beigefügte Munition ein. „Naja, alte Geschichte“, sagt Meyer. „Das war damals auch in der Zeitung.“

Mit fünfzehn Jahren hat Klaus Meyer in der Neusser Straße seine Frisör-Ausbildung begonnen. Mehr als ein halbes Jahrhundert ist das her: Inzwischen ist er über siebzig. Was der Ausbildung folgte, war kein gradliniger Weg, aber einer, der in eine Richtung führte. Die Fotos an den Wänden seines Ladens und das Auftreten des Besitzers belegen das. Und die Geschichten, die Klaus Meyer aus dem vergangenen halben Jahrhundert und den drei Jahrzehnten in der Südstadt erzählen kann, würden ein ganzes Buch füllen.

Lange Jahre hatte er an der Rückseite des Domhotels in einem etablierten Friseursalon gearbeitet. „Das war die Haute Volée, die dorthin kam“, sagt er selbst: Industriebosse und Journalisten, Unternehmer und Schauspieler. Mit der Zeit erarbeitete er sich dort eine regelrechte Fangemeinde. Sein Chef schien das zu fördern, schickte ihn zum Friseurwettbewerb nach Brüssel, wo Meyer die Junioren-Meisterschaft gewann, und stellte ihm in Aussicht, den Laden irgendwann übernehmen zu können. Eines Tages zeigte sich allerdings, dass Klaus Meyer nicht der einzige war, dem er das versprochen hatte. „Ach, hat er Dir das auch gesagt?“ kommentierte ein Kollege, als er von der Zukunftsperspektive hörte: „Da wusste ich, dass es besser war, einen Plan B zu suchen.“ Einer seiner Kunden, Geschäftsführer eines zum Bayer-Konzern gehörenden Unternehmens, hatte Meyer schon vor einiger Zeit ans Herz gelegt, einen Salon in Bergisch Neukirchen zu übernehmen – weil sein Werk dort ein Projektmodell startete. In dem Leverkusener Ortsteil, in dem noch heute die ehemaligen Bayer-Villen stehen, war ein Friseursalon zu haben – mit Wohnung direkt darüber.

 

Eigentlich wollte Meyer nicht aus Köln weg. Nachdem sich aber die Perspektive in der Innenstadt zerschlagen hatte, galt es, eine neue auszuloten. Also erinnerte er sich an den Vorschlag und nahm gemeinsam mit seiner Frau das Angebot von Werksdirektor Becker an, für sein Startkapital zu bürgen. Zu dem bald gut gehenden Friseursalon im Nobelvorort ließen sich schon bald die wohlhabenden Herrschaften aus der gesamten Umgegend von ihren Chauffeuren fahren. Und Klaus Meyer war finanziell in der Lage, neben dem Beruf auch anderen Leidenschaften nachzugehen – etwa dem Fahren von Autorennen. Mehrere Autos besaß er damals auch selbst. Mit seinem Porsche tourte er über Europas Rennstrecken.

Trotzdem langte es dem immer schon unabhängigen Geist nach zehn Jahren in Bergisch Neukirchen. „Da waren aus den acht- und zehnjährigen Jungs der Bayer-Oberen junge Männer geworden, die irgendwann regelmäßig auch dann vor der Tür standen, wenn ich eigentlich Feierabend hatte“, erinnert er sich und verzieht kurz das Gesicht. „Und die dann ihren Haarschnitt regelrecht einforderten und schnöselig fragten: ‚Wissen Sie überhaupt, wer ich bin?‘. Da dachte ich so: Siehste, jetzt haste Dich abhängig gemacht.“ Das aber war nicht sein Leben. Klaus Meyer legte darum eines Abends Schere und Kamm ins Regal und fuhr mit einem Freund nach Kreta. Seine Frau ließ er in Leverkusen zurück: „Das war nicht fein von mir, darauf bin ich nicht stolz. Aber ich habe immerhin dafür gesorgt, dass sie einen eigenen Salon eröffnen konnte – ohne mich.“ Bis heute führt seine Frau ihm die Bücher: „Wir sind gut miteinander.“

In einer Bucht bei Paleochora eröffneten die beiden Freunde das bis heute legendäre ‚Rock’n’Roll-Café‘: „Da kamen die Seeleute direkt von ihren Booten hin und setzten ihr Geld in Alkohol um. Woher sie es hatten, wollten wir gar nicht wissen.“ Nach einem Jahr allerdings war Schluss, denn die beiden Jung-Gastronomen konnten  keinen längerfristigen Vertrag abschließen. Kreta gehörte noch nicht zur damaligen EWG, der heutigen EU, und der in Athen lebende Café-Besitzer schloss immer nur per Handschlag Verträge ab. So blieb es bei dem Intermezzo von nicht ganz einem Jahr – „mit abschließendem Leersaufen der Bestände“, lacht Klaus Meyer.

Zurück in Köln überlegte Meyer: Was im sonnigen Süden klappt, könnte doch auch gut hier funktionieren. Also eröffnete er in der Darmstädter Straße, in den Räumen des heutigen „Kartöffelche“ gegenüber dem drei Jahre zuvor eröffneten ‚Backes‘, sein ‚Café Mistral‘: „Das lief mal so, mal so. Aber ab und zu hab ich meine Musikerfreunde eingeladen, die haben gespielt, da war die Bude voll“, erzählt Klaus Meyer. Und weil Musik eine weitere – inzwischen vielleicht seine älteste – Leidenschaft ist, gab es davon reichlich. Unzählige Fotos in seinem Salon, viele mit Widmungen, künden davon bis heute. Meyer selbst hatte in verschiedenen Bands Schlagzeug gespielt: in Norddeutschland war er mit den ‚Conways‘ als Vorband des großen Spencer Davis aufgetreten, in Köln mit ‚Ingo & the Gang‘ unterwegs. Freunde schenkten ihm irgendwann eine Goldene Schallplatte, die nun über dem großen Spiegel hängt. „Kaum jemand weiß ja, dass die Dinger über Jahre hinweg für alle großen Plattenfirmen hier gegenüber gemacht wurden – bei Axel in der Südstadt-Werkstatt.“

 

Der kleine Laden indes, der am anderen Ende der Straße lag, war Klaus Meyer in dieser Zeit schon ins Auge gefallen. Und dass er genau richtig sein könnte, um nochmal mit einem Friseursalon zu starten, hatte er ebenfalls gedacht. Dem Besitzer des Hauses, einem Kölner Notar, gefiel die Idee – und Meyer bekam die Räume und gewann einen neuen Freund: „Beim großen Hochwasser 1993 saßen wir hier zusammen am Heiligabend auf der Kellertreppe, tranken Sekt und guckten zu, wie das Wasser stieg. Bis kurz vor den Transformator. Seitdem waren wir per Du“.
 
Bevor es aber richtig losgehen konnte, musste das Geschäft erst einmal hergerichtet werden. „Ich habe das mit Freunden zusammen alles selbst gemacht“, sagt Klaus Meyer. „Die Fliesen gelegt, die Becken versenkt, die Spiegel selbst geschnitten. Und die Ablagen, die haben wir aus einer Küchenplatte gemacht, die wir längs halbiert haben.“ Nur die Elektroanlagen mussten von einem Fachmann installiert werden. In dieser Zeit der Vorbereitung verdiente sich Meyer etwas dazu, indem er mit dem ‚Hot-Potatoe‘-Wagen eines Bekannten heiße Kartoffeln verkaufte – mit einer Sondergenehmigung auf dem Wallrafplatz, die ihm den Neustart finanzierte: „Die wurden uns aus den Händen gerissen“, lächelt er.

Dieser Neustart im kleinen Salon vor nun dreißig Jahren verlief zwar nicht völlig reibungslos, aber schnell kamen die alten Kunden wieder und neue hinzu – und gerade weil der Laden so wunderbar altmodisch und einfach und ohne jedes ‚Chichi‘ daher kommt, lieben ihn seine Kunden als Teil der alten Südstadt. „Weil ich ja keine Termine mache, kenne ich gar nicht alle Namen und weiß auch gar nicht immer, wenn da nun wer Berühmtes hereinschneit. Ich glaube, das gefällt den Kunden aber gerade“, sagt Klaus Meyer. Und liegt damit sicher richtig. Joachim Król lächelt von den Wänden, Jürgen Becker und Wilfried Schmickler, Denis Scheck und viele Größen des Jazz und Blues. Ihre Musik läuft eigentlich ständig – auch wenn Klaus Meyer selbst nicht an seinem Platz – links am vorderen Spiegel, auf der Ablage eine Flasche ‚Pitralon‘ – steht, sondern seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Haare schneiden. Für Kinder gibt es beim Bezahlen manchmal eine Hand voll Erdnüsse, und für jeden, der einfach nur mal den Kopf durch die Glasfenstertür steckt, um kurz Hallo zu sagen, ein Lächeln und ein freundliches Wort. Und wenn dann vor der Tür der braune Holzrolladen heruntergegangen ist, sieht man Klaus Meyer bei schönem Wetter oft noch ein paar Meter weiter die Straße hinauf vor dem ‚Backes‘ sitzen und ein Kölsch trinken. Dort wird am Samstag auch das 30-jährige Südstadt-Jubiläum groß gefeiert – mit offenem Haus. Und wer will und wer kann, der soll auch: Vorbeikommen, feiern, Musik machen.

Text: Nora Koldehoff

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