Kraftvolle Kunst aus Syrien
Sonntag, 9. März 2014 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: Tamara Soliz
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Kinan Azmeh hat ein Häuschen mitten in Damaskus. Direkt hinter der prachtvollen Ummayaden-Moschee, im Herzen der historischen Altstadt. 30 Quadratmeter auf zwei Etagen. Klein, aber sein. Das letzte Mal war er vor fast zwei Jahren dort – da herrschte in Syrien schon Bürgerkrieg.
Kinan Azmeh ist Komponist und ein sehr bekannter Klarinettist. Er lebt heute in New York und hat an den großen Häusern der Welt gespielt (zum Beispiel an der Opéra Bastille in Paris). Jetzt gerade ist er für ein Benefiz-Projekt auf Deutschland-Tour, und zwar für die Jasmin-Hilfe: Die Organisation leistet humanitäre Hilfe für syrische Kinder und bekommt die Einnahmen der vier Konzerte. Die Kölner Station der Tournee findet statt in der Lutherkirche. Und die ist voll an diesem Abend.
Nach einem Kurzfilm und zwei Tänzen ist die Performance von Kinan Azmeh ganz klar der Höhepunkt. Die Performance heißt „Home within“, also etwa: innere Heimat. Gemeinsam mit dem syrisch-armenischen Maler Kevork Mourad bringt Kinan Azmeh Eindrücke über sein Heimatland auf die Bühne, sehr subjektiv und nicht überfrachtet: Kinan spielt Musik, Kevork zeichnet dazu.
Und das ist sehr beeindruckend. Kinans Klarinettentöne klingen mal langsam, mal schnell, mal traurig, mal zornig, mal energisch durch die Kirche, und Kevorks Stift huscht dazu über das Papier. Über dem Zeichentisch hat er eine Kamera angebracht, die das Bild auf die Leinwand neben Kinan überträgt.
So entstehen ineinander verwobene Kunstwerke aus Musik und Bild. Kevork Mourads Technik ist spannend anzusehen: Er zeichnet einen Strich, verwischt ihn mit dem kleinen Finger, und plötzlich steht da ein Mensch auf dem Papier. Noch ein Strich, noch ein Wischen, und es tauchen Gebäude auf. Moscheen, Reiter, Pferde, es bleibt viel Platz zum Assoziieren. Sind das da vorn Soldaten? Sind das islamistische Kämpfer? Sind das Gewehr-Kugeln, die durch die Luft fliegen?
Immer wieder hält Kevork kurz inne und hört Kinan zu. Dann zeichnet er weiter, und im Laufe der Performance mischt er auch bereits fertige Bilder und Animationen in seine Zeichnungen, die sich dann auf der Leinwand überlagern, bewegen und vertiefen. Die Menschen verfolgen gebannt das Geschehen vor ihnen: Momente der Intensität. Der Krieg in Syrien ist jetzt emotional nah, er wird vielleicht nicht begreifbar, aber etwas greifbarer: Leid, Tod, Flucht, Trennung, aber auch Hoffnung in Klang und Bild: Ganz am Ende ein schöner Moment: Kinan hält die Klarinette vor die Leinwand, und Kevorks Animationen scheinen aus dem Instrument emporzusteigen: Häuser, Türme, Straßen, eine neue Stadt entsteht.
Kevork Mourad hält kurz inne und zeichnet ununterbrochen weiter.
Am Nachmittag treffen wir Kinan Azmeh zum Interview. Da hat er gerade den Soundcheck hinter sich. Schwarzes Haar, kurzer Bart, Jeans, Pulli und Turnschuh. Er erzählt von zuhause, von Damaskus. „Ich wollte immer ein Häuschen in der Altstadt“, sagt er. Seine Eltern wohnen im Viertel Mezze, dort sind sie auch jetzt, gerade geht es ihnen gut, die Lage ist (zur Zeit) ruhig. Nur Kinans kleines Haus hinter der Moschee ist schon zweimal geplündert worden. Wann er zurückkehren wird, weiß er nicht.
Wie blickt er aus der Ferne auf drei Jahre Krieg? „Meinen Sie mich als Menschen oder als Musiker?“, fragt er. Wir wollen beides wissen. „Ich bin ein optimistischer Mensch, und diesen Zug von mir am Leben zu halten, das war nicht leicht in den letzten drei Jahren. Ich bin überzeugt davon, dass Geschichte ganz allgemein immer voranschreitet, und zwar zum Besseren. Diesen Optimismus möchte ich mir bewahren. Aber wie hoch ist der Preis: 130.000 Tote bis jetzt. Und trotzdem fühle ich, dass wir eines Tages einen demokratischen und säkularen Staat haben werden.“
Und was sagt der Musiker Kinan Azmeh? „In unserem Projekt dokumentieren wir unsere Gefühle über das, was passiert.“ Der Grundstein für diesen Abend, sagt er, das ist mein Stück „Sad Morning, Every Morning“: „Das habe ich im März 2012 geschrieben, es ist ein kleines Stück, vielleicht eine Art Gebet für mich.“ Kunst, findet Kinan, hat mit Dringlichkeit zu tun. Mit der Dringlichkeit, sich auszudrücken.
Das ist den beiden Syrern mit ihrer Musik-Malerei-Performance gelungen. Die Menschen in der Kirche springen am Ende auf, rufen und klatschen stehend. Ein Erfolg. Und hoher Besuch war auch da: Michael Worbs, der Ständige Vertreter Deutschlands bei der Weltkulturorganisation UNESCO in Paris. Er hat zu Beginn darauf hingewiesen, dass in Syrien auch ein Kulturerbe auf dem Spiel steht – dass etwa in Aleppo das Minarett der Ummayaden-Moschee (die genauso heißt wie die in Damaskus) bereits eingestürzt ist, wegen der Kämpfe in dem Viertel. Auch Pfarrer Hans Mörtter findet klare Worte zum Auftakt: Angesichts von neun Millionen Flüchtlingen in und außerhalb von Syrien schäme er sich als Deutscher, dass die Bundesrepublik nur 10.000 Menschen aufnehme.
Wer das Bedürfnis verspürt, für die Opfer des Syrien-Krieges zu spenden, der kann das bei der Jasmin-Hilfe tun: www.jasminhilfe.com
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