Ask Alisa!
Mittwoch, 30. März 2022 | Text: Elke Tonscheidt | Bild: Elke Tonscheidt
Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten
Wie derzeit viele Kölner*innen, hat auch unsere Autorin Elke Tonscheidt Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine bei sich zu Hause aufgenommen. Mit Mann und Sohn im Einfamilienhaus lebend, hat sie spontan beschlossen, Platz zu machen für eine junge Frau und ihr Kind, Nachbar*innen haben es ihr gleich getan und deren Freundin samt Tochter einquartiert – nach zwei Wochen lässt sie uns teilhaben an ihren Erfahrungen bislang und gibt ein paar nützliche Hinweise.
Platz machen, Sofa ausklappen
„Ask Alisa“, das höre ich gerade oft. Denn ich bin Gastmutter geworden: Zwei ukrainische Teilfamilien sind täglich bei uns zu Besuch. Eine davon, Mama Oksana mit Baby Vera (10 Monate jung), lebt sogar seit zwei Wochen bei uns. Wir haben ein Zimmer umgewidmet, klappen abends die Eck-Couch auf und am Kleiderständer baumeln rosa Jäckchen und Strumpfhosen Größe 80. Oksanas Freundin, die zusammen mit ihr geflohen ist, hat auch eine Tochter: Alisa, 16 Jahre alt. Die beiden leben fünf Straßen von uns entfernt in einer anderen Gastfamilie. Viele Menschen nehmen jetzt Kriegsflüchtlinge auf, was mich sehr freut.
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Thai Gourmet am Ubierring – Köstlichkeiten aus Vietnam und Thailand„Wir möchten nützlich sein“
Das Erste, was ich gefragt werde, wenn sich andere Leute für uns interessieren, ist: „Und, wie kommuniziert Ihr?“ Ich sage dann immer: Mit allem, was es so gibt. Un petit francais, soviel Englisch wie möglich, ich lerne, mich auf Ukrainisch zu bedanken und dann natürlich Hände, Füße und diverse Übersetzungs-Apps. „Wir möchten nützlich sein“, las ich zum Beispiel kürzlich auf dem Handy von Oksana, als unser Sohn fieberte. Und mittags stand eine Hühnersuppe bereit – sie waren doch tatsächlich einkaufen gegangen, um den Klassiker gegen Erkältungskrankheiten für uns zuzubereiten.
Ich selbst bin dankbar, helfen zu können und ich glaube, sie fühlen sich wohl. So wohl, wie man sich fühlen kann, wenn in der Heimat Krieg herrscht und wir nur noch Polen zwischen uns wissen. So wohl, wie sie sich fühlen können, wenn ihre Männer via Facetime zugeschaltet sind und so gelassen wie möglich aus Kiew in unser Wohnzimmer winken. Vitalii, Oksanas Ehemann, kennt nicht nur Dynamo Kiew natürlich; er gestikuliert auch, den 1. FC Köln einordnen zu können. Mein Mann ist happy, die beiden haben über den Fußball ihre digitale Verbindung gefunden.
Wie haben wir uns vorbereitet, meine Familie und ich?
Wenig eigentlich. Ich folge dem Gedanken, dass man intuitiv das Richtige tut, wenn man wirklich will. Deshalb bin ich auch der Meinung, dass nicht jede Familie als Gastfamilie für Kriegsflüchtlinge geeignet ist. Wer nur aus Pflichtgefühl meint, helfen zu müssen, ist fehl am Platz. Wer aber gerne Platz machen kann in seiner Wohnung UND den Neuankömmlingen auch so etwas wie eine Privatzone zusichern kann, der oder die sollte sich trauen, „Ja“ zu sagen. Ja dazu, Menschen ein Dach über dem Kopf zu gewähren, die schutzlos sind.
Ich werde den dankbaren Blick von Vitalii, als er mich erstmals über sein Handy erblickt, nie vergessen. „Privit“ sage ich zu ihm, was so viel wie Hallo heißt und winke ihm zu. „It’s Elke“, sagt seine Frau und das Baby quäkt auf ihrem Arm. Vera hat sich an das Bild ihres Papas auf dem Handy ihrer Mama gewöhnt. Ob sie weiß, wer das ist – schwierig zu beantworten. Aber sie erkennt ihn und natürlich ist Vitalii trotz aller Sorgen froh, sein Kind wenigstens auf diese Weise zu sehen und vor allem scheint er glücklich, seine beiden bei uns zu wissen.
Und wieder kaufe ich Babybrei
Vorbereitet habe ich vor allem das Zimmer bzw. die Zimmer. Denn wir haben auch das Gästebad für privat erklärt, nur für Oksana. Kommen unsere Freunde zu Gast, gehen sie jetzt genau wie wir nach oben auf die Toilette, wo unser Familienbad ist. Ich habe kleine gelb-blaue Herzen auf Tür und Fenster ihres Raums geklebt, wir haben das Bücherregal geleert, eine Kleiderstange aufgestellt und die Betten schön bezogen. Mittlerweile bin ich auch wieder Up-to-date, was Babybrei angeht – mein Gott, hat sich da in zehn Jahren viel getan in diesem Zweig der Lebensmittelbranche.
Aber eigentlich isst das Baby am liebsten sowieso das, was unsere Babys eher selten bekommen. Hühnerbeinchen zum Beispiel. Als ich sehe, wie Vera auf dem Boden hockt und mir damit zuwinkt, schaue ich schnell zu Oksana herüber – aber die lächelt und sagt: „It´s okay! Ukrainian Babies – very special.“
Das Baby schreit – aber ich kann das gut ertragen
Das Erste, was mir geraten wurde im Umgang mit den Ukrainerinnen: Ich solle tolerieren, wenn das Baby etwas anders erzogen werde als deutsche Kinder. Und ich bin überrascht, wie leicht mir das fällt. Schreit Vera, höre ich das natürlich (und sie schreit nicht wenig), aber mein Mutterinstinkt springt nur mäßig an. Ich kann gut differenzieren, dass es nicht mein Baby ist, das da etwas will (oder nicht will). Ich finde ohnehin, dass es uns Deutschen gut ansteht, gelassener zu sein mit dem, was uns eigentlich gar nichts angeht.
Am meisten beeindruckt mich aber momentan – und mich beeindruckt wirklich viel: Wie konzentriert und fokussiert die 16jährige Alisa, Tochter von Oksanas Freundin, mit den vielen neuen Situationen umgeht. Das wird mal eine ganz starke Frau, da bin ich mir sicher. Sie dolmetscht überall, denn sowohl ihre Mutter als auch „meine“ Oksana sprechen wenig Englisch. Alisa aber hat damit gar kein Problem – und so sitzt sie im Gespräch in einer Pizzaria dabei (in dem es darum geht, ihre Mutter als Köchin vorzustellen) genauso wie in allen anderen Alltagssituationen, und wird auch nie müde, wenn sie hört: „Ask Alisa“. Denn dann ist sie schon wieder dran, etwas zu übersetzen.
Ausflug in den Tierpark zum Cappuccino
Zwei kleine Ausflüge haben wir in den ersten 10 Tagen auch schon gemacht. Mein Mann hat als Erstes rosa Schühchen für Vera gekauft – sie waren gemeinsam im Shoppingcenter. Und mein Sohn und ich haben den Vieren den Tierpark in Lindenthal gezeigt. Dort gab es auch leckeren Cappuccino. Nur die Frage des Kaffeeverkäufers, eines gebürtigen Afghanen, hat mich etwas irritiert: „What do you think, are your houses still there when you return?“
Niemand konnte die Frage beantworten. Und wenn die Sozialdezernentin aus Königswinter, Heike Jüngling sagt, dass es kein Dauerzustand sein könne, dass in Deutschland die Gästezimmer für Kriegsflüchtlinge genutzt werden, dann ist dem zuzustimmen. Was aber ist die Lösung? Sie sagte das in einer sehr sehenswerten Hart aber Fair-Sendung, wo neben Politiker*innen auch eine bei einer hannoverschen Familie lebende Ukrainerin selbst und eine Gastmutter aus Hamburg zu Wort kamen.
Kriegsflüchtlinge: Täglich viele neue Lösungen finden
Momentan finden wir jeden Tag viele neue, oft kleine Lösungen. Die große Lösung für Kriegsflüchtlinge aber ist, da sollten wir ehrlich sein, weder da noch erkennbar. Also konzentriere ich mich auf das, was täglich stemmbar ist. Ich spiele Babysitter, damit Oksana bei der Sparkasse ein Konto eröffnen kann und sondiere, wo es möglicherweise weitere Mütter mit Babys gibt, um diese zu vernetzen. Mein Mann kauft mindestens doppelt so viel ein wie sonst und sortiert die auf dem Boden liegenden Spucktücher, Beißringe oder Kuscheltiere. Unser Sohn hat seine alten Spielsachen rausgerückt und findet es angenehm, in die Rolle eines großen Bruders zu schlüpfen.
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Bambule’s Chilistube – Keine Angst vor SchärfeWir suchen täglich für das Lösungen, was an Herausforderungen auf uns zukommt. Und wir hören uns um, wenn Freunde unserer neuen Mitbewohner auf der Flucht sind und ebenfalls ein Dach über dem Kopf suchen. „Ich bin ansteckend“, lacht die Hamburger Gastmutter Moderator Frank Plasberg in der erwähnten Sendung an und verweist darauf, bereits zwei Nachbarinnen überzeugt zu haben, ebenfalls Platz für Kriegsflüchtlinge zu schaffen. So sehe ich das auch: In den nächsten Tagen erwarten wir eine befreundete Mutter mit ihrem Sohn – sie werden bei meiner Schulfreundin und ihrem Mann mit offenen Herzen empfangen.
Kriegsflüchtlinge aufnehmen: Nützliche Hinweise
Werde ich gefragt, auf was man achten sollte, wenn man auch überlegt, Ukrainer*innen aufzunehmen, fallen mir jetzt, nach mehrwöchiger Erfahrung, folgende Punkte ein: Macht es nur, wenn es ausreichend Platz gibt – sowohl für die Gäste als auch für Euch. Rückzugsräume sind sehr wichtig! Versucht, spontan zu handeln, größtmöglich flexibel zu sein und Fehler zu verzeihen – ich kenne keine Vorbilder und versuche selbst nach bestem Gewissen eins zu sein. Nehmt Geschenke an – natürlich möchten Menschen, die Hilfsbereitschaft erfahren, auch selbst hilfreich sein, Ablehnung kann ein falsches Signal sein. Vergesst das Lachen nicht – auch in Krisen hilft es, an das Positive zu denken und gemeinsames Lachen stärkt.
Und last but not least: Nehmt selbst Hilfe an – es gibt großartige, meist sehr regionale Netzwerke, die alles Mögliche sammeln und weiter spenden. Ruckzuck hatten wir auf diese Weise Kinderwagen, Babystuhl etc. Über diese Netzwerke finden sich aber auch Deutschkurse oder Jobs.
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Kommentare
Ein ans Herz gehender Artikel über eine fürsorgliche und menschliche Bereitschaft, anderen in Not Geratenen beizustehen und zu helfen.
Das gibt Hoffnung in dieser beunruhigen Zeit, Hoffnung auf ein Miteinander, Hoffnung auf ein gutes Ende dieses grausamen, unnötigen Krieges.
Leidtragende sind Kinder, Mütter und Alte. Soldaten, die wegen der Machtgelüste eines größenwahnsinnigen Einzelnen sinnlos um ihr Leben kämpfen müssen!
Diese Männer, die ihre Familien auf der Flucht wissen, wie beruhigt müssen sie sein, wenn sie hören, dass ihre Liebsten nun vorerst in Sicherheit sind!
Man kann nicht genügend dankbar sein, dass bei uns und auch in vielen anderen Ländern, Menschen ihre Türen öffnen und den Geflüchteten Zuflucht gewähren!
Elke Tonscheidts Bericht hat mich sehr berührt, macht mich traurig wegen der Umstände, gibt mir aber auch zugleich die Hoffnung, dass die Menschlichkeit nicht stirbt! Dass letztendlich ein Zusammenhalt auch den fürchterlisten Kriegsverbrecher stürzen wird! Und danach ist erneut ein großer Zusammenhalt erforderlich, der die Zerstörungen und Trümmer dieses unsinnigen Krieges beseitigt und die Städte und Dörfer wieder aufbaut.
Mein Dank geht an die bemerkenswerten Widdersdorfer, die sich erhoben haben, um den geflüchteten Menschen aus der Ukraine Wärme, Zuflucht und ein vorrübergehendes, sicheres Zuhause zu ermöglichen!
Mögen sich viele daran ein Beispiel nehmen!!
Nur ganz kurz: ganz toll, was ihr da macht und auch ganz hervorragend beschrieben!