Kürzungen im Offenen Ganztag:
Montag, 29. April 2013 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: Dirk Gebhardt
Geschätzte Lesezeit: 6 Minuten
Wir müssen schauen, dass die Kinder und unsere Mitarbeiter möglichst wenig darunter leiden. Heute (30.04.2013) ist Ratssitzung in Köln – und eines der Reizthemen ist der Offene Ganztag an Grundschulen. Die Stadt will ihren freiwilligen Zuschuss zum Sockelbetrag pro Kind kürzen, voraussichtlich um zwei Prozent. Außerdem gibt es im kommenden Schuljahr Engpässe, weil die Anzahl der Ganztagsplätze gedeckelt wurde. Die gute Nachricht: Im Jahr 2014/2015 sollen in Köln 1.500 neue Plätze geschaffen werden. Mit insgesamt 25.500 Plätzen und einer Quote von mehr als 90 Prozent in der Innenstadt stünde die Stadt damit im NRW-Vergleich sehr gut da.
Meine Südstadt spricht mit einem, der jeden Tag mit dem Offenen Ganztag zu tun hat: Friedhelm Meier vom Netzwerk e.V. – Soziale Dienste und Ökologische Bildung – einem der großen Träger des OGT. Der Netzwerk e.V. betreibt in der Südstadt zum Beispiel an der Grundschule Mainzer Straße den Ganztag. Etwas Mathematik vorweg: Der Grundbetrag für den Offenen Ganztag setzt sich zusammen aus Mitteln des Landes und der Stadt. Zuletzt waren das 1761 Euro – davon zahlt das Land 935 Euro und die Stadt 826 Euro. Der Anteil der Stadt besteht aus einer Pflichtsumme und einem freiwilligen Anteil – und dieser freiwillige Anteil soll gekürzt werden.
Meine Südstadt: Herr Meier, was wissen Sie darüber?
Friedhelm Meier: Also die letzten Aussagen, die ich gehört habe, lagen bei 21 Euro Kürzung. Dann läge der aktuelle Sockelbetrag bei 1740 Euro statt bei 1761 Euro.
Was bedeutet das?
Das bedeutet in der Praxis, dass eingespart werden muss. Und da gibt es viele Möglichkeiten. Man könnte bei den AG-Leistungen einsparen, man könnte bei den Stunden der Mitarbeiter einsparen, man könnte die Schülergruppen erweitern und eventuell noch bei den Sachkosten sparen, aber es ist in den letzten Jahren schon viel gespart worden, und es wird immer schwieriger.
Was ist das Problem?
Es gibt zum Beispiel an der Grundschule Trierer Straße einen weitaus höheren Bedarf an Ganztagsplätzen als Plätze vorhanden sind. Die Eltern haben das ja laut kundgetan.
Das heißt: Es gibt Plätze nur noch, wenn die Eltern vollberufstätige Doppelverdiener oder alleinerziehende Vollzeitbeschäftigte sind.
Theoretisch gibt es ein Ranking. Nur in so einer Situation wie in der Trierer Straße sind eben fast alle Eltern beide berufstätig, und da ist es schwierig, ein Ranking hinzubekommen. Da muss man dann schauen, aha, der eine ist voll berufstätig, der andere nur mit 30 Stunden, der andere mit 25 Stunden, dann wäre Letzterer eben weiter unten auf der Warteliste.
Der Finanzausschuss der Stadt hat für das kommende Schuljahr eine Art Übergangslösung beschlossen. In der Pressemitteilung der Grünen Fraktion heißt es, die rot-grüne Ratsmehrheit habe – Zitat: die Verwaltung beauftragt, eine Betreuung für diejenigen Kinder bereitzustellen, die bereits angemeldet wurden, aber deren Eltern eine Absage bekommen haben. Was heißt das?
Das heißt: Zusätzliche OGS-Plätze gibt es erst 2014/15, also müssen wir eine andere Lösung finden. Es gibt in Köln zur Zeit noch 30 Gruppen, die machen die 8-13-Uhr-Betreuung. Das war vor dem Offenen Ganztag gängig, das kann mit Elternbeiträgen bis 14 Uhr aufgestockt werden.
Was heißt das für das kommende Schuljahr?
Die Idee der Stadt war: Für die Übergangszeit erklären wir uns bereit, diese Gruppen zusätzlich an den Schulen einzurichten. Was nicht geht, ist, die Kinder voll in das Offene-Ganztag-System hineinzunehmen und sie mit essen zu lassen. Es gäbe dann zum Beispiel räumliche Probleme, und auch die pädagogischen Konzepte werden durcheinander gebracht. Letztlich wollen die Eltern ja einen Offenen Ganztagsplatz, aber sie bekommen jetzt sozusagen eine 1-B-Betreuung, weil die Kinder nicht mit essen können, früher abgeholt werden und letztlich nur von wenigen Angeboten der OGS profitieren können. Es gibt dann Eltern, die haben eins ihrer Kinder im Offenen Ganztag, und das andere in der 14-Uhr-Betreuung.
Sind Sie damit zufrieden?
Uns als Träger macht das nicht glücklich, denn wir arbeiten seit längerem daran – übrigens gemeinsam mit der Verwaltung – die so genannte Randstunden-Betreuung bis 13 oder 14 Uhr abzubauen, zugunsten der Offenen Ganztagsschule. Das Ziel ist eben ein einziges System und nicht zwei Parallel-Systeme. Derzeit sind weder wir noch die Verwaltung glücklich mit dieser Übergangslösung. Die Frage ist natürlich: Reichen die 1.500 neuen Plätze im Offenen Ganztag, die für 2014/15 zugesagt sind, dann überhaupt aus? Da wage ich keine Prognose.
Für das kommende Schuljahr ist an der Zahl der OGS-Stellen nichts mehr zu machen?
Der Stichtag beim Land NRW ist vorbei.
Man hört, dass an den Schulen schon herumgefragt wird: Welche Eltern brauchen nicht unbedingt einen OGS-Platz? Wer verzichtet?
Das probieren wir als Träger natürlich als Erstes. Wir fragen das routinemäßig ab.
Was ist denn Stand der Dinge bei der Kürzung der Mittel?
Das betrifft die bestehenden OGS-Gruppen. Da muss man schauen, wie man das auffängt, und das geht zu Lasten der Qualität, ganz klar.
Wie geht es Ihren Mitarbeitern damit?
Was vielen Eltern und vielen Politikern immer noch nicht klar ist: Die Arbeit, die geleistet wird – ob hier in der Mainzer Straße oder woanders – steht in nichts der eines Lehrers nach. Nur ist das Gefälle in der Bezahlung rasant. Wir haben überwiegend sehr gute Leute. Das Problem ist, sie zu halten. Das sind Teilzeitstellen. Uns gehen die Leute weg, wenn sie beispielsweise bei der Stadt eine Vollzeitstelle im Kindergarten angeboten bekommen. Das kann ich verstehen.
Wie hoch ist eigentlich die Betreuungsrate in Köln beim Ganztag?
In der Innenstadt, und gerade auch in der Südstadt, da sind inzwischen fast 100 Prozent der Kinder im Ganztag. Was nicht gesehen wird: Die Entwicklung hier in Köln ist anders als in den meisten Teilen Nordrhein-Westfalens. Köln ist Vorreiter, was die Quote und die pädagogische Entwicklung angeht.
Ist die Finanzierung aus Ihrer Sicht zeitgemäß?
Das Finanzpaket für jede Schule muss sowieso individuell geschnürt werden. Da zählt etwa: Hat die Schule sich auf den Weg gemacht wie die Grundschule Mainzer Straße in Richtung Rhythmisierung? (Anm. d. Red.: rhythmisierte Klassen verbringen in einem Gesamtkonzept Vor- und Nachmittag zusammen – anders als im Offenen Ganztag, außerdem gibt es auch nachmittags Unterrichtseinheiten) Oder ist es eine Schule, die den Ganztag als additives System daneben stehen hat? Ich plädiere dafür, dass die Schulen, die sich wirklich auf den Weg gemacht haben hin zu Rhythmisierung: Dass die eine andere Finanzierung bekommen müssen als die Schulen, die weiterhin auf das additive System setzen. Dafür brauchen wir einen Katalog von Kriterien. Wir brauchen eine Differenzierung.
Sie haben 21 Standorte mit knapp 4.000 Schülern. Wie viele Träger gibt es in Köln? Gibt es da Konkurrenz?
Ja natürlich. Es gibt 52 Träger in Köln, das sind auch viele Fördervereine mit nur einer Schule, und daneben sieben, acht größere Träger. Es wird gar nicht so sehr über den Preis entschieden. Aber wenn die Qualität nachlässt, dann werden Schulleitung und Eltern unruhig und probieren es mit einem anderen Träger. Dieser Druck ist da.
Können Sie denn gemeinsam mit den anderen Trägern auch ihrerseits mal Druck machen?
Gute Frage. Es gibt die Liga der Wohlfahrtsverbände, da tauschen wir uns aus und versuchen, Lobbyarbeit zu machen. Aber so ein Druckmittel, dass wir sagen, wir können das nicht mehr – das funktioniert eben wegen der Konkurrenz der Träger nicht. Irgendwer sagt dann: Okay, dann mach ich das. Wir können auf die Konsequenzen hinweisen. Aber so lange der Ganztag irgendwie funktioniert, schreit natürlich keiner.
Kürzungen von voraussichtlich 2,8 Prozent und seit Jahren vorher keine Erhöhung: Was heißt das real mit Blick auf die Inflation?
Ja, wir haben seit acht Jahren keine Mittelerhöhung. Als das Land die Mittel vor dem letzten Schuljahr erhöhte, kürzte die Stadt ihrerseits den freiwilligen Beitrag um die gleiche Summe, so dass bei uns nichts ankam. Hinzu kommen jetzt noch einmal die neuen Kürzungen bei der Stadt – mit Blick auf die Inflation landen wir da bei 16 oder 17 Prozent Realkürzung aus unserer Sicht.
Was erwarten Sie von der heutigen Ratssitzung?
Die Kürzungen sind beschlossene Sache. Damit haben wir uns abgefunden. Wir müssen schauen, dass wir das so gestalten, dass die Kinder und unsere Mitarbeiter möglichst wenig darunter leiden.
Kommen wir noch einmal zur guten Nachricht: Für das Schuljahr 2014/15 gibt es 1.500 neue Plätze.
Ja, das ist eine gute Nachricht. Aber wichtig wäre, dass auch finanziell pro Platz und auch räumlich in manchen Schulen nachgebessert wird und nicht nur bei der Anzahl der Plätze. Da wird es wohl bei den 1740 Euro bleiben. Aber dieser Pauschalbetrag ist zu gering.
Wenn Sie freie Hand hätten: Wie hoch müsste der Betrag sein?
Es gab Modellrechnungen vor drei bis vier Jahren. Und da reden wir von über 3.000 Euro pro Kind. Als es noch den Hort gab, vor dem Offenen Ganztag, da lag der Satz bei fast 4.000 Euro.
Was ist Ihre Prognose für die Zukunft?
Die Tendenz geht dahin, dass alle Kinder in Großstädten in den Ganztag gehen werden. Selbst an den Schulen, wo die Eltern nachmittags zuhause sind und ihr Kind daheim betreuen wollen: Da entsteht das Problem, dass die Kinder dann keine Spielkameraden haben, weil die alle in der Schule sind. Und dann sagen auch diese Eltern: Gut, eigentlich wollen wir das nicht, aber habt ihr nicht deshalb doch noch einen Platz?
Herr Meier, vielen Dank für das Gespräch.
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