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Kultur

Kuh auf dem Seil?

Freitag, 16. Oktober 2015 | Text: Alida Pisu | Bild: Patrick Jendrusch

Geschätzte Lesezeit: 2 Minuten

Da steht er, der Mann mit der Gitarre und den Häusersilhouetten auf dem Kopf, während ein Huhn (glänzend in den Rollen der Tierwesen: Wiebke Alphei) gackernd, scharrend, pickend durch den Raum läuft, besser gesagt: durch die Zirkusarena. Denn auf der Bühne vom Freien Werkstatt Theater wird Marc Chagalls phantastischer Bilderkosmos in „Chaga Chaga Chagall“ lebendig. Hörbar, (be)greifbar. Und so wie man staunend vor einem Bild des Malers steht und langsam darin eintaucht, in diese scheinbar naiven Idyllen, so kann man auch in die Szenen eintauchen. In die Motive, Themen und Orte. Sie umfassen das alltägliche Leben wie auch die göttliche Sphäre, kreisen um Leben und Sterben und natürlich um die Liebe.

Ach, die Liebe: es ist spannend anzusehen, wie SIE immer wieder ihr Gesicht unter ihren wallenden Röcken verbirgt, so als wolle sie nicht erkannt werden. ER muss sich anstrengen, um SIE werben, SIE enthüllen. Es gelingt ihm auch und sie entschweben eng umschlungen. Ein Motiv, das in der Inszenierung (ebenso wie bei Chagall)  immer wieder auftaucht. Zwei, die untrennbar zusammen gehören, so war das zu Chagalls Zeiten. Und auch, wenn die Zeiten sich geändert haben, die Sehnsucht nach der großen Liebe, die ist nicht auszurotten.

Mit einfachen Mitteln entfaltet sich ein Feuerwerk an Eindrücken und Assoziationen. Versuchte sich eben erst eine Artistin am Seiltanz, am Spiel um Leben und Tod, so nimmt anschließend eine muhende Kuh das Seil ins Maul. Fragt man sich noch, was eine Kuh auf dem Seil zu suchen hat, bindet sie sich das Seil schon um die Beine, liegt hingestreckt auf der Erde, die Beine hoch gezogen, tot. Dazu spielt die Musik auf, immer wilder, immer schwerer, rasender, bis es vorbei ist und die Musik in einem Abgesang auf das Leben  endet. Schrecklich schön anzusehen und zu hören. Auf dem Land ist nicht alles nur Idyll, es wird auch gestorben. Manchmal unfreiwillig. Man kann es als ein Paradox bezeichnen, doch es gehört dazu. Zur heilen Welt.

Auf eine Reise von der Welt bis in den Himmel nimmt uns ein Gedicht mit, das vom Schlaf erzählt. Alles schläft, vom Metzgerbeil bis zur Wolke. Eine Stadt, ein Land, die ganze Erde schläft. Und sie kann in Ruhe schlafen. Weil der Engel wacht. Traumhaft schön, wie er mit einer Taschenlampe in die kleinen Häuschen hineinleuchtet, die das Huhn errichtet. Das Huhn, warum auch nicht? Wenn man beispielsweise an die südamerikanischen Mythen denkt, nach denen die Erde aus einem Ei entstanden ist. Macht also Sinn. Und, wie schon erwähnt: die Szenen laden dazu ein, sie zu interpretieren. Die skurrile Zirkuswelt, die zauberhafte, von Hühnern, Kühen, Pferden, Schafen, Ziegen bevölkerte Tierwelt und die Welt der kleinen Leute mit ihren großen Lebensthemen.

Insgesamt 50 Bilder Chagalls waren der Ausganspunkt dieser Eigenproduktion des „Svetlana Fourer Ensembles“. Man muss sie nicht kennen, die Szenen nehmen auch so gefangen. Denn es ist den Künstlern gelungen, Chagalls Bilderwelt nicht nur abzubilden, sondern neue, theatrale Bilder zu schaffen. Sie umzusetzen in Musik, Geräusche, Trommeln, Mimik, Gestik, Sprache, Licht und Schatten. Geblieben ist – und das ist auch gut so – die Poesie und Magie, die Leichtigkeit, die Chagall immanent ist. Mehr noch, das Befreiende, es gibt nichts, was einen bedrohlichen oder belastenden Eindruck hinterlässt. In Chagalls Welt, in „Chaga Chaga Chagall“ ist alles gut und richtig. Wenn der Engel im Schlussbild seine Arme ausbreitet und davon fliegt, dann funkelt sie noch mal auf: die Geborgenheit und das „unter einen höheren Schutz gestellt Sein“. Tröstlich zu wissen.

 

 

„Chaga Chaga Chagall“ ist eine Gemeinschaftsleistung des „Svetlana Fourer Ensembles“.
Mit Julia Brettschneider, Matthias Bernhold , Wiebke Alphei
Inszenierung Svetlana Fourer,  Musik Matthias Bernhold
Termine: 15. und 16. November 2015, im April 2016 wird die Produktion in Moskau zu sehen sein
Freies Werkstatt-Theater, Zugweg 10, 50677 Köln

 

Text: Alida Pisu

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