Die gottlose Jugend revolutioniert den Keller
Sonntag, 12. September 2010 | Text: Stephan Martin Meyer
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
„I Am Here!“ Fast unbeachtet liegt die Leuchtschrift im Hintergrund der Bühne auf dem Boden. Sie scheint die gesamte Szenerie zu untermalen, symbolisch für das Theater der Keller und seinen Spielzeitauftakt 2010/11 zu stehen. Am vergangenen Donnerstag trat die KellerRevolution mit der Inszenierung von Ödön von Horváths „Jugend ohne Gott“ fulminant an die Öffentlichkeit.
PiaMaria Gehle muss zeigen, was sie kann. Die neue Indendantin muss beweisen, dass sie das Ruder für die Zukunft des Theaters der Keller herumreißen kann.
Sie lässt die Schauspieler während der ersten Inszenierung dieser Spielzeit auf einer schiefen Ebene spielen. Und als wäre das noch nicht genug, ist dieser auch noch mit Kieselsteinen übersät. Die fünf Schauspieler können auf der rutschigen Ebene kaum Tritt fassen. Alles scheint aus dem Gleichgewicht geraten zu sein. Die Jugend, die in ihrer Gottlosigkeit kein Vertrauen mehr in die angestammten Autoritäten hat. Die Erwachsenen, die mit der Jugend nicht mehr klar kommen und sich fragen: Was wird das für eine Generation? Eine harte oder nur eine rohe? Die Bühne steht aber auch für eine auf die schiefe Bahn geratene Gesellschaft, in der das Volk und seine Vertreter die Verbindung zueinander verloren haben.
Aus einem unverzeihlichen Fehler des Herrn Lehrers entwickelt sich ein unaufhaltsamer Selbstläufer. Seine Schüler zollen ihm schon längst keinen Respekt mehr, seit er sich gegen eine rassistische Bemerkung ausgesprochen hat. Aus seiner kleinen bürgerlichen Angst, die Stelle in der Schule, die Stellung in der Gesellschaft und den Anspruch auf seine Pension zu verlieren, greift er in den Lauf der Dinge nicht ein. Erst als einer seiner Schützlinge getötet wird und ein anderer zu Unrecht verurteilt werden soll, wird ihm klar, dass nur die kompromisslose Wahrheit ein Ausweg aus der verfahrenen Situation sein kann.
Das Theater der Keller hat sich mit vollem Elan auf Revolution eingestimmt. Denn nur ein Umsturz, ein neues Denken der in Schieflage geratenen Finanzierungssituation kann das Traditionstheater noch retten. Wer heute noch daran glaubt, das Theater der Keller werde durch die Konzeptionsförderung gerettet werden, der hat sich geschnitten. Um den kulturellen Einrichtungen der Stadt Köln eine mittelfristige Planungssicherheit gewährleisten zu können, wird vom Kölner Stadtrat alle vier Jahre eine jährlich garantierte Fördersumme festgelegt. Für die kommenden vier Jahre. Dieser Weg ist verbaut. Der Theaterbeirat, der die Förderempfehlung ausspricht, hat sich ein Eigentor geschossen, indem er seinen Rücktritt androhte, sollte seiner Empfehlung nicht Folge geleistet werden. Die städtische Finanzierung muss durch einen anderen Topf gewährleistet werden. Und da kam das Gerücht aus Düsseldorf am Abend der Premiere doch genau richtig, dass die Stadt Köln ab Oktober hochoffiziell seine Bettensteuer erheben darf: Elf Millionen Euro im Jahr sollen ab sofort von Touristen, die in Köln übernachten, zugunsten der Kultur zusätzlich eingenommen werden. Elf Millionen Euro, die bisher in keiner Haushaltsplanung auftauchen.
Die herausragenden Schauspieler, allen voran Makke Schneider als Lehrer, schaffen es, die bedrückende Situation für den Einzelnen, der sich gegen die Masse stellt, spürbar zu machen. Durch die weiß geschminkten Gesichter und die fast ausdruckslose Mimik der Schauspieler tritt unmissverständlich zutage, dass es keiner körperlichen Gewalt eines Amokläufers bedarf, um der Verrohung der Gesellschaft Ausdruck zu geben. Nimmt doch die Entwicklung des Stückes mit der Formulierung eines Schülers, die Neger seien keine Menschen, seinen Anfang. Unweigerlich fühlt man sich an die Worte des scheidenden Bundesbankvorstandes erinnert, der bei vollem Bewusstsein von der ständigen Produktion kleiner Kopftuchmädchen spricht. Hier liegt die Ursache für die Verrohung der Gesellschaft und mit ihr der Jugend. Wer sich herablassend über Minderheiten in der Gesellschaft auslässt, leistet der Gewalt in all ihren Facetten Vorschub.
Rücksichtslose Wahrhaftigkeit rettet den Lehrer in der Bühnenfassung von Felicitas Kleine aus seinem Dilemma. Rücksichtslose Wahrhaftigkeit kann auch die in Schieflage geratene Gesellschaft aus ihrer Ohnmacht angesichts schwindenden Verständnisses für überzogene Managergehälter und Politikverdrossenheit retten. Doch es bedarf einer Revolution, um neue Wege zu gehen. PiaMaria Gehle geht diesen Weg voran. Sie bringt frischen Wind in das Theater der Keller. Hier entsteht junges Theater, in dem bedingungslose Begeisterung pulsiert. Mit jeder Faser kämpft Gehle für den Erhalt ihres Theaters. Wenn die nächsten Premieren ähnlich stark werden, dann hat sie gute Chancen, ihre Ziele zu erreichen.
Und hinter allem leuchtet die Schrift: „I Am Here!“ Es ist nicht Gott, der über allem wacht. Es scheint vielmehr wie eine Aussage des Theaters über sich selbst, als wollte das Theater der Keller unmissverständlich klar machen, dass die Theaterlandschaft ohne das Theater in der Kleingedankstraße ärmer sein wird. PiaMaria Gehle hat bewiesen, dass sie das Ruder längst herumgerissen hat und es fest in den Händen hält. So einfach wird sie es sich nicht wieder abnehmen lassen.
Heute Abend (14. September 2010) um 20 Uhr ist die nächste Aufführung!
Weitere Aufführungen:
14.-16./18./21. September 2010
1./7./8./12.-16/19./28.-30. Oktober 2010
jeweils 20 Uhr
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