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Kultur

Irre werden am Irrsinn

Mittwoch, 2. Dezember 2015 | Text: Alida Pisu | Bild: Meyer Originals

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Am Fluss Hindukusch (eigentlich ja ein Gebirge, wie wir wissen, aber wissen wir, ob wahr ist, was wir wissen?), in den Wäldern Afghanistans, ist alles irrsinnig. Irrsinnig der Auftrag, der Hauptfeldwebel Pellner (Matthias Lühn) und den Gefreiten Dorsch (Norman Grotegut) nach Afghanistan geführt hat. Den irrsinnig gewordenen Deserteur Deutinger (Doris Plenert) aufzuspüren und zur Rechenschaft zu ziehen. Dieser nämlich hatte im Wahn zwei Kameraden seiner Einheit ermordet. Irrsinnig auch die Menschen, denen sie auf ihrer Flussfahrt begegnen, die Geschichten, die sie erzählen. Irgendwie irrsinnig auch die Zuschauer, die ihnen dabei zusehen. Und nichts tun außer zusehen. Weil sie denken, sie hätten nichts mit dem zu tun, was in Afghanistan passiert.

Aber stimmt das auch? Die Inszenierung des Stücks „Die lächerliche Finsternis“ im „Theater Der Keller“ beantwortet die Frage mit einem eindeutigen Nein. Dieses Nein kommt grotesk daher, absurd, bizarr, zum Schreien komisch. Doch schreien könnte man auch über den Irrsinn des Krieges, den niemand mehr als Irrsinn wahrnimmt, weil er so alltäglich geworden ist und sich scheinbar ganz weit weg, am anderen Ende der Welt, abspielt. Und erst dann, wenn sie vor unserer Tür stehen und anklopfen, die Flüchtlinge aus all den Kriegsgebieten, erst dann sind wir gezwungen, nicht länger nur zuzusehen, sondern zu handeln.

Somalische Piraten, die in Hamburg vor Gericht standen, waren der Auslöser für Autor Wolfram Lotz, das Stück zu schreiben. Es wundert daher nicht, dass ein somalischer Pirat (Sascha Tschorn), der an der Hochschule von Mogadischu sein Diplom-Studium der Piraterie erfolgreich abgeschlossen hat, den Prolog spricht. Bzw. eine Verteidigungsrede vor dem Hamburger Landgericht hält. In der die Rede ist von leer gefischten Meeren und davon, wie ein deutsches Maschinengewehr den Himmel erschuf. Was bleibt einem somalischen Fischer da anderes übrig, als die Knarre in die Hand zu nehmen und Pirat zu werden…

Dann übernimmt der schneidige Hauptfeldwebel Pellner das Kommando. Indem er sich einen verkabelten Helm über den Kopf stülpt, auf einem Stuhl Platz nimmt und in ein Mikrofon spricht. Ursprünglich hatte Wolfram Lotz sein Stück auch als Hörspiel konzipiert, in der die Erzählform dominiert. Die behält Regisseur Martin Schulze bei, doch der Wechsel von Vortragsmonolog und Dialog der Figuren ist fließend. Passend zum Fluss, auf dem Pellner mit dem melancholischen Dorsch in das Herz der Finsternis, in die Wälder Afghanistans, eindringt. Vorbei am italienischen Offizier, dessen Probleme hier, quasi am Arsch der Welt, aberwitzig wirken. Empört er sich doch darüber, dass es Einheimische gebe, die ihre Toilette benutzten, ohne sich dabei hinzusetzen. So käme es immer wieder vor, dass Urinspritzer auf dem Brett seien. Er müsse diese Barbaren an die Wasser des Hindukusch schicken, um dort ihr stilles Geschäft zu verrichten.

 

Passend zum Fluss, auf dem Pellner mit dem melancholischen Dorsch in das Herz der Finsternis. / Foto: Meyer Originals

Ebenso aberwitzig die Begegnung mit einem fliegenden Händler, der mit allen Wassern gewaschen ist. Weiß man, ob es stimmt, dass er den Tod seiner Familie zu verschulden hatte, weil während des Balkan-Krieges der Funkenflug einer Präzisionsbombe die Markise traf, die er kurz zuvor angebracht hatte? Oder will er nur auf die Mitleidstour machen und seine Waren wie Spannbetttücher oder Spirelli-Nudeln, die man auf einem Fluss in Afghanistan nun wirklich nicht dringend braucht, besser loswerden? Es macht Sinn, in der Fiktion auch westliche Werte und westliche Waren in einen Staat zu transferieren, der mit ihnen nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. In dem dennoch Blauhelm-Soldaten stationiert sind. Die große Welt ist klein geworden. Da kreuzt ein Krieg den anderen. Und wenn von Globalisierung gesprochen wird, dann muss man sich darüber im Klaren sein, wie sie alles durchdringt. Bis eben tatsächlich auch in den allerletzten Winkel dieser Erde.

Wie verknüpft Menschen, Ereignisse, Schicksale miteinander sind, zeigt sich schon daran, dass die Bühne eingerahmt ist von zwei Zuschauer-Blöcken. Einer davor, einer dahinter. Und diese Blöcke sind auch zeitweise beleuchtet, Zuschauer beobachten nicht nur Schauspieler, sondern auch Zuschauer. Denn unbedingt, so die Logik des Stückes und des Regie-Konzeptes, sind die scheinbar Unbeteiligten doch Teil dessen, was geschieht. Wo auch immer es sei. Sascha Tschorn, der seine Vielseitigkeit in gleich mehreren Rollen, der des Piraten, des Offiziers und eines Reverends unter Beweis stellt, scheut sich nicht, als Reverend: „Für mich bedeutet Religion, auf die Menschen zuzugehen“, zu sagen, dabei ins Publikum zu gehen, Hände zu schütteln, Leute anzusprechen, Kommentare abzugeben: „Hier gibt es leere Plätze“, „Wie geht es Ihnen?“ zu fragen. Spätestens jetzt sitzen wir alle in einem Boot, pardon, auf einem Floß.

Eine Inszenierung wie aus einem Guss. Beklemmung verursachend und haarsträubend, aber so vor Abstrusitäten strotzend, dass man sie kaum ernst nehmen kann und amüsiert-grinsend zusieht. Doch man muss sie ernst nehmen. Auch wenn man dann irrsinnig wird an einer irrsinnigen Welt. Völlig zu Recht ist das Stück zum Stück des Jahres 2015 gekürt worden.
Das Publikum brauchte einen Moment, um das Geschehen zu verdauen und verabschiedete die Akteure dann mit jubelndem Applaus.

 

„Die lächerliche Finsternis“ von Wolfram Lotz
Mit: Norman Grotegut, Matthias Lühn, Doris Plenert, Sascha Tschorn

Regie: Martin Schulze, Bühne und Kostüme: Silvie Naunheim

Theater der Keller, Kleingedankstraße 6, 50677 Köln
Die nächsten Termine: 9., 12., 18. Dezember 2015, 7., 10., 31. Januar 2016
 

Text: Alida Pisu

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