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Kultur

Menschen. Wasser. Kranhaus.

Montag, 6. Juli 2015 | Text: Jörg-Christian Schillmöller | Bild: Tamara Soliz

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Irgendwann beginnt es. Einfach so, immer leise, in Zeitlupe. Und niemals dort, wo man glaubt. Es gibt keinen Startschuss, keine Ansprache, keinen Händedruck. Die Künstler fangen einfach an, sie arbeiten mit dem Raum in der Stadt. Diesmal ist der Raum der Rheinauhafen, mittleres Kranhaus. Es ist 17 Uhr, Kaiserwetter in Köln, sogar die Fallwinde zwischen den Fassaden sind heute warm. 

 

Menschen stehen vor einer Metalltreppe, 25 Stufen hoch, von oben fließt Wasser herab. Das Metall ist rotbraun, die Treppe passt gut hierher. Sonst passiert nichts, denn die Performance beginnt nicht hier. Sie beginnt ein paar Meter weiter in Richtung Rhein. Zumindest ist dort der erste Mensch zu sehen, der kein Zuschauer ist. Eine Frau mit blauem Shirt und blauer, kurzer Hose liegt inmitten von Plastikflaschen.

 

Es sind ungefähr 15 mal 25 Stück, minus die Anzahl, die ihr Körper benötigt. Die Form des Körpers war vorher ausgespart, eine Silhouette. Die Frau legt sich hinein in diese Silhouette. In wenigen Minuten stehen 150 Zuschauer um sie herum. Die Frau bewegt sich. Die Flaschen, in denen sie liegt, sind 1,5-Liter-Wasserflaschen, PET, Discounter. Es sind viele Flaschen hier und überall im Rheinauhafen. Es sind eher tausende als hunderte.

 

 

Angie Hiesl und Roland Kaiser bespielen seit vielen Jahren städtische Räume im In- und Ausland. Die Körper ihrer Künstler treten in Interaktion zu ihrer Umgebung. Am Ebertplatz, am Chlodwigplatz und jetzt hier, am Rheinauhafen, nicht weit von ihrem Atelier im Kunsthaus Rhenania. Die Künstler bewegen sich in, auf, unter, über und mit der Architektur. Es ergibt wenig Sinn, nach der konkreten Bedeutung zu fragen. Wozu festlegen? Es denkt sich sowieso jeder etwas Anderes, etwas Persönliches. 

 

Aquamarin.50678 heißt die Performance, und es geht um Wasser. Das Element bietet Raum für Assoziationen, jeder hat seine Geschichte damit, der Rhein ist in Sichtweite, der Hafen auch. Die Künstler setzen die Sinnlichkeit von Wasser in Szene. Gewicht, Gefühl, Geräusch, Geschwindigkeit. Die Aktionen passieren simultan, es sind elf, zwölf Orte, an denen sie agieren. Die Menschen, die zuschauen, verpassen immer etwas. Das gehört dazu.

 

Es ist ziemlich witzig, den Zuschauern beim Zuschauen zuzuschauen. Neugier, fragende Gesichter. Die Menschen wandern hin und her zwischen den einzelnen Orten dieser Performance, sie sammeln sich im Halbkreis, für zehn, fünfzehn Minuten, Kinder werden nass, weil sie näher rangehen. „Worum geht es hier eigentlich?“, fragt jemand. „Irgendwas mit Wasser“ antwortet jemand. Ein paar Segways kommen vorbei, eine Fahrrad-Rikscha, eine Joggerin.

 

Es sind Smartphones in der Luft, viele Smartphones. Die Zuschauer nehmen alles auf, sie sehen und fotografieren gleichzeitig. Zum Beispiel, wie die Frau im blauen Shirt und der blauen, kurzen Hose sich in den aufgestellten Flaschen bewegt, bis sie umfallen. Applaus. Fünfzig Meter weiter: Eine Mauer aus liegenden Flaschen in fünf Etagen, es müssen hunderte sein, ganz nah an der Stirnseite des schwarzen Electronic-Arts-Gebäudes. 

 

Drei Frauen beginnen damit, die Mauer umzustellen. Stücke für Stück stellen sie die Flaschen wie Schachfiguren auf. Es entsteht ein Muster, ein Flaschen-Quadrat, das in der Sonne glitzert. Man könnte dazwischentreten und die Flaschen umwerfen, aber keiner traut sich. In jeder Flasche blinken ein oder zwei Lichtpunkte, es sind die Reflexionen der Sonne. Es ist windig, die Flaschen zittern auf dem Kopfsteinpflaster, aber sie fallen nicht um.

 

 

Ein Mann taucht auf. Grauer Anzug, grünes Hemd, grün-weiß-schwarz-gestreifte Krawatte. Er rollt Glasflaschen auf den Betonplatten unter dem Kranhaus hin und her. Die Flaschen reiben über den Beton, sie sind unterschiedlich gefüllt mit Wasser und machen unterschiedliche Töne beim Rollen. Später wird der Mann zum DJ, an einer Spüle aus Metall – über einem der zwei Spülbecken hängt ein Mikrofon. Der Mann macht den Abwasch. Es gluckst und blubbert durch die Boxen vor der Spüle, das Wasser ist Klang, Geräusch, der Mann schlägt mit einem kleinen Klöppel auf eine Trinkschale für Hunde. Es klingt wie ein Unterwasser-Gong. 

 

Die Menge wandert. Auf der Treppe mit den 25 Stufen liegt jetzt eine Frau im fließenden Wasser, sie ist klatschnass. Eine andere Frau sitzt weiter rechts auf einem Metallgeländer und taucht ihr langes Haar in eine rote Einkaufstasche aus Kunstleder. Auch da ist Wasser drin, vermutlich in einer Schüssel. Die Frau reißt den Kopf hoch, Wassertropfen spritzen eine Linie auf das Pflaster. Applaus. Da übersieht man leicht den Mann, der inzwischen auf dem Vordach des braunen Steingebäudes sitzt, es ist kaum zu erkennen, was er da eigentlich tut.

 

Angie Hiesl steht etwas abseits. Sie begrüßt Bekannte, sie lacht, sie schaut selbst zu. „Das ist ein spezieller Ort“, sagt sie. „Zu bestimmten Zeiten sicher nicht der lebhafteste Ort, aber geprägt von der Architektur. Uns war die Einbettung der Aktion wichtig, zwischen dem stehenden Wasser des Hafens und dem fließenden Wasser des Rheins.“

 

 

Die Metalltreppe haben sie mit Hilfe der Kölner Kunstpaten aufgebaut: Freiwillige des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumtechnik haben mitgeholfen. Die Treppe ist in Saarbrücken gebaut worden und hat schon in Thionville in Frankreich, in Luxemburg, in Düsseldorf und Lüttich gestanden.

 

Irma Grümmer ist auch da, wie immer mit hochgesteckter Frisur, Seele der Südstadt aus dem Modeladen am Ubierring. Sie mag die Performance, sie mag die Treppe. „Das wäre doch toll, wenn die hier stehenbleiben könnte.“ Gute Idee, aber was sagt das Ordnungsamt? Inzwischen liegt unter dem Kranhaus einer der Künstler auf einem Haufen Sandsäcke. Kurz darauf verteilt er sie auf den Betonplatten, unbeirrt, gewissenhaft, systematisch.

 

Zwei Stunden dauert die Performance. Das Team von Angie Hiesl und Roland Kaiser schafft es auch dieses Mal, mehrere hundert Menschen eine Zeit lang an einen Ort zu binden. Sie einen Ort neu entdecken zu lassen, ihn anders zu erleben, eine Parallelwelt zuzulassen. Es ist eine eindringliche, unaufdringliche Intervention, ein künstlerisches Nachdenken über das Wasser, auf den ersten Blick vollkommen unpolitisch, aber natürlich schwingen all die politischen Ebenen mit: Wassermangel, Dürre, Verschmutzung.

 

Roland Kaiser eilt hin und her zwischen diesen Wasser-Orten im Rheinauhafen, denn auch er fotografiert alles, aber als Dokumentation für sich und Angie Hiesl. Und ganz zu Anfang sagte er einen Satz, der sich eigentlich auf das schlechte Wetter am Tag vorher bezieht, der aber wunderbar zu dieser tollen, tiefsinnigen Aktion der beiden Südstädter passt: „Die Generalprobe gestern, die ist echt ins Wasser gefallen.“

 

 

Aquamarin.50678

Weitere Termine: 7., 8. und 9. Juli um 17 Uhr, mittleres Kranhaus, Rheinauhafen

Konzept, Realisation und Gesamtleitung: Angie Hiesl und Roland Kaiser

Performer/innen: Armin Biermann, Gerno Bogumil, Fa-Hsuan Chen, Bernardo Fallas, Chih-Ying Ku-Gebert, Helena Miko, Alfredo Zinola

 

Text: Jörg-Christian Schillmöller

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