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Kultur

„Pssst, ich bin Zigeunerin“

Freitag, 8. Juni 2012 | Text: Doro Hohengarten | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Gürtel mit glänzenden Löwenschnallen. Durch Gel gezähmte Locken. Schwarze Nadelstreifenanzüge. Gelb schimmernde Hemden. Hochhackige Lackpumps, auf denen sich Kunstblumen mit Perlen kräuseln. Ohr-Kreolen, opulente Ringe aus schwerem Gold.

 

Wer  wollte, fand die Klischees gestern beim 1. Rheinischen Zigeunerfestival am Deutzer Rheinufer – vor allem am Rande des Bühne, wo ein fröhliches Begrüßen, Beklatschen, Schäkern, Witzeln stattfand. Viele der Sinti- und Romaensembles, die sich vor 1500 Besuchern die Mikrofone in die Hand gaben, um sehnsuchtsvolle Balladen, anspruchsvollen Gipsy-Swing oder herzhafte Tanzfolklore darzubieten, waren mit ihren Familien angereist. Gefeiert wurde die „Rheinische Zigeunerkultur“ und ihre Musik – und beide sind vielfältiger als alle Klischees. Meine Südstadt suchte Begegnungen und fand rheinländische Zigeunergeschichten.

 

Piroschka wird Musikerin

Auch Piroschka Triska verteilt Küsse, bevor sie auf der Bühne steigt: „Wir sitzen am Feuer und ich singe für meinen Liebsten“, sagt sie, im orangenen Chiffonkleid, mit schwarz umrandeten Augen. Dann singt sie mit zarter, bisweilen auch rauchiger Stimme von Liebe, Abschied und Sehnsucht, stolz und mit strahlenden Augen.

 

Piroschka Triska bezeichnet sich selbst als rheinische Zigeunerin. 39 Jahre alt ist sie, in Stolberg bei Aachen geboren. Es war in den 70er Jahren, als ihre Familie sich dort niederließ. Nur für drei Monate im Jahr: Den Rest waren die Triskas mit ihren sechs Kindern unterwegs. Piroschkas Oma betrieb ein Figurentheater, ihr Vater war Musiker und Kapellmeister, ihr Onkel, auch Geigenbaumeister, spielte sogar vor Willi Brandt. Piroschka selbst hatte mit sechs Jahren ihren ersten Auftritt als Sängerin – am Feuer, um das man sich abends sammelte, als die Sinti noch auf Campingplätzen oder Wiesen am Rande der Dörfer campieren durften.

 

„Sag, dass du Ungarin bist“

Ihre ersten eigenen Lieder komponierte sie mit 14, lernte Klavier. „Alles war gut, bis ich 18 wurde und verkündete, dass ich Musikerin werden würde“. Piroschka allein mit drei musizierenden Männern? „Meine Eltern ließen mich nur indirekt spüren, dass das nicht geht, durch Blicke, durch Nebensätze“, erinnert sie sich. In einer katholischen Zigeunerfamilie gibt es Regeln. Mit 19 heiratete sie, bekam drei Kinder. Damit waren die Verhältnisse klar. Sie verdiente Geld und unterstützte die Familie.

 

Aachen, erzählt sie, war nicht immer leicht. „Wenn dich jemand fragt, sag dass du Ungarin bist“, riet ihr ihr Vater. „Aber Freundinnen verriet ich: Pssst, ich bin Zigeunerin“. Das sprach sich rum. Wenn in der Schule mal was fehlte, durchsuchte die Lehrerin immer zuerst die Ranzen von Piroschka und ihrer Schwester.

Piroschkas Mann starb mit 30.  Seitdem ist sie alleinerziehend, und der Tod hat noch häufiger angeklopft bei den Triskas. Wenn jemand vom Abschied und Sehnsucht singen kann, dann Piroschka.

 

TamBa Bo mit Aldin (2.v.r.) und seiner Schwester Linda (3.v.r.)

 

Großväterchens Kinder

Wenig später, auch im Künstler-Bereich des Festivals, im zugigen Durchgang des LVR-Gebäudes: Linda, 10, und ihr Bruder Aldin, 14, legen einem grauhaarigen Mann die Hände auf die Schulter.

 

Gerade haben sie mit 18 anderen Roma-Kindern aus Porz einen furiosen Trommel-Auftritt hingelegt, bejubelt vom Publikum, und vorher schrie einer: „Da ist mein Bruder auf der Bühne – ich liebe dich, aus dir wird was ganz Großes werden!“. Linda hat getanzt, mit kreiselnden Händen und Bauchtanz-Zittern am ganzen Körper. Aldin hat die Gruppe, die sich TamBa Bo nennt, rhythmisch angeführt.

 

Den Mann mit dem grauen Haar nennen die Kinder Cika – Roma für Großväterchen. Seit über zehn Jahren arbeitet er, der eigentlich Ticomir Djurovic heißt und aus Belgrad stammt, mit den Kindern aus dem Porzer Übergangsheim für Roma.

 

 

Vorbild Ferdi

„Aldin hat das Zeug, eines Tages Tamba Bo zu leiten“, sagt er und legt dem Jungen ebenfalls die Hand um die Schulter. Vor dem Konzert hat der Junge mit den kurzen dunkelbraunen Haaren und den Schatten um die Augen Cika einen Wunsch anvertraut. Er hätte gerne eine eigene Trommel. „Ich glaube, das kann was werden“, sagt Cika jetzt, „wenn du…“  Aldin weiß, was jetzt kommt: „… ich pünktlich in die Schule gehe, früher schlafen gehe und die Hausaufgaben mache“.

 

In zwei Jahren soll er seinen Hauptschulabschluss machen – wenn er nicht Gas gibt, landet er im Aus. Das ahnt er, deshalb spricht er ernst und nicht genervt von diesen Pflichten. Dass es klappen kann, weiß er durch Ferdi. Auch Ferdi hat mal als kleiner Pänz bei Tamba Bo angefangen – jetzt ist er 23, hat eine Familie und einen Job und leitet die Gruppe musikalisch.

 

Den Kids eine Perspektive zu schaffen ist Cikas Beruf. Für den Sozialarbeiter ist es auch eine Berufung. Wenn Cika über „seine“ Kinder spricht, dann spricht er nicht über eine Gruppe, sondern die individuelle Stärke, die jedes einzelne Kind in sich trägt. „Das hier ist unser Pünktlicher“. „Er hier ist ein richtig guter Mathematiker“ und „Sie hat schon mit drei Jahren vor hundert Leuten gesungen“. Dann legt sich bei den Kindern jede Hibbeligkeit. Wer gerade noch gebalgt, geknufft, gehauen hat, wird still. Er gibt ihnen das Gefühl, das sie etwas besonderes sind.

 

Keiner kommt pünktlich ins Bett

Die Familien der Salimovics, Hamidovics, Rizvanovics und Agovics, aus denen diese Kinder stammen, leben in schwierigen Verhältnissen. Die Behörden verlängern ihre Aufenthaltsgenehmigungen ständig nur für kurze Zeit, immer wieder werden Familien abgeschoben. In den Übergangswohnheimen leben sie auf engstem Raum. „Hier kommt eigentlich keiner pünktlich ins Bett“, sagt Cika. Einmal die Woche geht er ins Wohnheim, schmeißt die Kinder aus den Betten, macht Frühstück, schickt sie rechtzeitig zur Schule.

 

Ansonsten organisiert Cika Fußballnachmittage mit deutschen Kindern, Ausflüge und eben TamBa Bo – die Trommelgruppe. Dazu lädt er Zigeuner-Musiker wie Rudi Rumstajn ein, die den Kindern die Kunst von Rhythmus und Melodie vermitteln.

Und sie sind wahre Künstler geworden. Singend, klatschend, trommelnd und tanzend meistern sie komplizierte, rasend schnelle Rythmen und Tempowechsel.

 

Man sieht Freude in ihren Gesichtern.

Was man nicht sieht, sind goldene Kreolen und geschmalzte Locken.

 

 

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Text: Doro Hohengarten

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