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Gesellschaft

Lebenslänglich Südstadt

Montag, 10. September 2018 | Text: Markus Küll | Bild: Markus Küll

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Der 35. Severinsbürgerpreis 2018 ging soeben an Wolfgang Niedecken. „Meine Südstadt“ war bei der Preisverleihung und hatte anschließend Gelegenheit mit der „Südstadt-Ikone“, wie es im Pressetext hieß, zu sprechen. Über die Südstadt, über moderne Archäologie, Söhne – und natürlich über Musik.

Wenig kölschtümelnd

Schon seit 1984 wird der Severinsbügerpreis jährlich verliehen. Der ursprünglich eng mit dem „längsten Desch“ in der Severinstrasse verknüpfte Preis ehrt Kölner und Kölnerinnen, die „sich mit Freude für die Förderung von Kunst, Kultur und kölnisches Brauchtum einsetzen.“, wie es auf der website heißt.
Nicht wenige Gäste auf der Feier im Odeon-Kino waren verwundert, daß es bis 2018 gedauert hat, Wolfgang Niedecken auszuzeichnen. Umso emotionaler fielen die Würdigungen von Ursula Jünger, Vorsitzende des Vereins „Severinsbürgerpreis e.V.“, OB Henriette Reker und Shary Reeves als Laudatorin aus.
„Dein Wirken gibt vielen Menschen Hoffnung“ sagte eine sichtlich bewegte Shary Reeves, die Wolfgang Niedecken seit dem ersten „Arsch Huh“-Konzert am Chlodwigplatz 1992 verbunden ist.
Erfrischend wenig Kölschtümelei bestimmte den Festakt. Wurde mit Wolfgang Niedecken doch ein Künstler geehrt, der zwar den größten Teil seines Lebens in der Südstadt verbracht hat und ein wesentlicher Bestandteil der kulturellen Identität Kölns ist, dem aber selber jede Kölschtümelei fremd ist, wie er im anschließenden Gespräch mit Meine Südstadt-Autor Markus Küll betont.

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Schon vor 40 Jahren: Filetstücke in der Südstadt

Reihe 9, Sitz 3. Im leeren Odeon-Kino sitzt Wolfgang Niedecken. Eben noch hat er auf der Bühne von seinem ersten Beatlesfilm „A Hard Day’s Night“ erzählt, den der junge Wolfgang im damaligen Rhenania-Kino, dem heutigen Odeon, im Zorro-Kostüm überstehen musste. „Danach ging ich sofort nach Hause und zog meinen Kommunions-Anzug an. Ab dann war ich Beatle.“ Und an ein weiteres Kino als Ort der musikalischen Menschwerdung erinnert er sich: „Im Metropol in der Annostrasse hat Rory Gallagher seine erste Rockpalast-Show aufgenommen – alles hat sich seitdem in meinem 800-Meter-Radius rund um den Chlodwigplatz abgespielt!“

Es sind Geschichten wie diese, mit denen Wolfgang Niedecken die persönliche Biografie mit der politischen und kulturellen Geschichte der Südstadt verwebt. Er erinnert an die für das Viertel prägenden Ereignisse, wie z.B. an die Auseinandersetzungen um das Stollwerck. „ Das ist jetzt fast 40 Jahre her! Viele Leute wissen gar nicht mehr, dass da mal eine Schokoladen-Fabrik war und was sich da abgespielt hat. Das ist ein bisschen moderne Archäologie.“ Niedecken spricht ironisch von den „Revolutionswirren“ rund um die Besetzung des Stollwerck 1980, bei denen er ein Rendezvous opferte, um Klaus dem Geiger zur Besetzung zu folgen. Auf die Tatsache angesprochen, daß an die Stollwerck-Besetzung in einer Veranstaltung zum „kölschen Brauchtum“ erinnert wird, zeigt sich Niedeckens Lust an der Differenziertheit: “Ich glaube, daß wir damals schon Sympathien (im Bürgertum) hatten – die kriegten auch mit, daß da etwas läuft, was nicht laufen sollte: Auf einmal war Stollwerck das Filet-Stück von der Südstadt, mit dem man schön spekulieren konnte.“ In der Folge war BAP quasi die Hauskapelle des besetzten Stollwerck: „Immer wenn dachten, am Wochenende wird geräumt, haben wir ein Konzert veranstaltet. Wir haben da ziemlich oft gespielt…„
Zumindest für eine kurze Zeit blieben damals noch der Maschinensaal und der Annosaal, in dem BAP ihr erstes Album 1979 präsentierten. Daß der Annosaal abgerissen wurde, schmerzt Niedecken noch heute: „Das war ein architektonisches Kulturdenkmal. Den Saal hätte man nie abreißen dürfen!“

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„Die Südstadt wird einfach nicht schick!“

Ein Gespräch mit Wolfgang Niedecken über die Südstadt wäre nicht komplett, ohne auch seine Rolle als bildender Künstler und die Kölner Werkschulen am Ubierring zu erinnern, deren Absolvent er ist. In der Erinnerung an den Galeristen Ingo Kümmel wird klar, welche Intensität und Qualität Niedecken dieser Zeit zuschreibt: „ Der Ingo war nicht korrumpierbar. Authentizität hat dem was bedeutet. Ingo Kümmel verdanke ich eine Menge – der kannte mich schon, bevor das mit BAP richtig abging.“ Viele Kölner/innen des entsprechenden Alters werden sich noch an das Projekt der „Tagesbilder“ erinnern, das 1985 im Kölnischen Kunstverein ausgestellt wurde – und das im damaligen „OUT“ an der Theke von Ingo Kümmel an Wulf Herzogenrath vom Kunstverein vermittelt wurde.
Doch auch heute, so Niedecken, sei dieser besondere Charakter der Südstadt noch spürbar: „Da musst Du Dich nur mal auf den Chlodwigplatz stellen – da wo früher die Marlboro-Uhr stand. Da guckst Du alles an, was da ist, guckst die Menschen an und siehst: Das Beruhigende an der Südstadt ist: die Südstadt wird einfach nicht schick. Da kannst Du so viel machen, wie Du willst. Das ist irgend so ein Gen – man will nicht schick werden.“ Umso mehr bedauert Wolfgang Niedecken, daß mit dem Rheinauhafen eine „Area“ geschaffen wurde, wo die Südstädter nicht hingingen. „Jedesmal wenn ich da am Rhein spazieren gehe, denk ich: Schade! Da müsste es was geben, wo die Ur-Südstädter, die „Eingeborenen“, sich auch aufgehoben fühlen. Das brennt mir in der Seele.“

Auch die Söhne bleiben in der Südstadt

Auf die Frage, wie er die Zukunft der Südstadt sieht, antwortet er Niedecken aus seiner aktuellen Perspektive als Vielreisender in Sachen Musik, für den die Südstadt nur mehr der Heimathafen ist: „Da müsstest Du meine Söhne fragen, die können da mehr drüber sagen. Wie ich meine Söhne und deren Cliquen kenne – das sind Leute, die Köln leben. Die kämen nie auf den Gedanken, nach Berlin zu gehen. Die leben das auf eine andere Art als wir – aber das Authentische ist geblieben.“
Zum Ende des Gesprächs, als es um die vielen verschiedenen Arten geht, mit denen die Kölnerinnen und Kölner ihrer Stadt huldigen, sagt Wolfgang Niedecken einen bemerkenswerten, für seine Haltung typischen Satz: „In Zeiten wie diesen denken ich: Hauptsache, man liebt irgend etwas.“ Die Frage, ob er eine „Südstadt-Ikone“ ist würde er wahrscheinlich lachend und mit dem Hinweis auf die Kinks („Die Kinks haben mir die Bodenständigkeit beigebracht“) verneinen – aber ein Zeitzeuge und Zeitgestalter aus der Südstadt ist dieser Wolfgang Niedecken: interessiert, engagiert und sich seiner eigenen Geschichte so sicher, dass er völlig ohne Zynismus auskommt. Auch viele alte Weggefährten und Vringsveedelbewohner empfinden das so, wie ein anlässlich der Preisverleihung produzierter kleiner Film schön zeigt.

Text: Markus Küll

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