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Kultur

Liebesgeschichten

Montag, 8. Juni 2015 | Text: Alida Pisu | Bild: Meyer Originals

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

„Nichts ist schöner, dramatischer und unglaubwürdiger als das Leben selbst“, so heißt es auf der Bühne des Freien Werkstatt Theater. Wohl wahr, diesen Eindruck nehme ich jedenfalls nach einem Probenbesuch mit nach Hause. Erster Durchlauf des kompletten Stücks und nur noch wenige Stunden bis zur Premiere. Es wird spannend! Zünden die Pointen? Ist alles drin, was den Zuschauer bewegt? Komik, Dramatik und insbesondere die schon im Titel des Stückes „Ein Lieben lang“ angekündigte Liebe?

Eine Ballgesellschaft trifft sich im Tanzpalast und die Damen und Herren, allesamt im fortgeschrittenen Alter, präsentieren einen Episodenreigen, der das, was Leben und Lieben ausmacht, genussvoll zelebriert. Zugleich nehmen sie mit auf eine Zeitreise in ihre und unsere Vergangenheit, denn während sie erzählen und spielen, erinnere auch ich mich an vergangene, in Vergessenheit geratene Zeiten. Ach ja, die 68er und die sexuelle Revolution. Ach ja, der Mauerbau und die Kuba-Krise. Gesellschaftliche und politische Ereignisse, aus der Sicht und dem Erleben der ganz normalen, der „kleinen“ Leute gezeigt.

Sehr persönliche Geschichten, die den Kern von „Geschichte“ herausarbeiten. Der Schrecken der Kriegsjahre spiegelt sich in einem tragischen Geschehen wider: zwei Brüder erkranken an Scharlach. Die Mutter flieht mit einem Sohn vor den Russen, der andere muss im Krankenhaus bleiben. Er stirbt auf einem Lazarett-Transport.
Ein anderer Junge hat mehr Glück Er will seinen Vater besuchen, der in den Nachkriegsjahren als Koch in der Offiziersmesse arbeitet. Aber er läuft einem amerikanischer Oberst über den Weg, der ihn auffordert zu singen: „Ein Hund kam in die Küche und stahl dem Koch ein Ei…“ Herrlich absurd und das gesamte Ensemble singt mit. Und es ist auch gut so, dass Beklemmendes sich mit Heiterem abwechselt, die Hochs und Tiefs, die das Schicksal für Jeden bereithält, einander die Waage halten.

 

Eine besonders eindrucksvolle Episode, die packend aufgefächert wird, erzählt von einer großen Liebe. Wann und wo verliebt man sich in Köln? Natürlich zur Karnevalszeit und als Gabriela Anfang der 60er Jahre zum Kokain-Ball (Kölner Karneval International mit Studenten aus aller Welt) in die Wolkenburg geht, ist es rasch um sie geschehen. Sie lernt den Iraker Farsi kennen. Einen Idealisten, der sich politisch engagiert. Die beiden kommen sich näher, verbringen Weihnachten 1963 bei ihren Eltern. Gabrielas Schwester bringt einen Italiener mit und nach „Arrivederci Roma“ wird gemeinsam „Die Internationale“ intoniert. Dann wird Farsi sein politisches Engagement zum Verhängnis. Er bekommt einen Ausweisungs-Bescheid, stellt einen Antrag auf Asyl. Das Verfahren zieht sich Jahre hin. Gabriela wird schwanger, Farsi nutzt die Gelegenheit, in der damaligen DDR sein Studium fortzusetzen. Er geht, die schwangere Frau bleibt zurück. Ende offen.

Moment mal, ist das wirklich schon in den 60er Jahren so passiert? Das hört sich doch an wie eine moderne Geschichte, wie sie tagtäglich in den Zeitungen zu lesen ist. Könnte sich auch heute genauso abspielen. Könnte, ja. Ist auch eigentlich nicht verwunderlich, weil Geschichte sich wiederholt. Und weil Liebe stets auch bedroht ist. Es gibt so viel, was ihr entgegenstehen kann: die Familien, die politischen oder sozialen Verhältnisse, die eigenen Ängste und und und… Eigentlich ein Wunder, dass sie, allen Widerständen zum Trotz, auch ihre Triumphe feiert. Wie sagt es eine Darstellerin so schön in der Szene, die von dem handelt, was man aus Liebe tut: „Aus Liebe zur Liebe habe ich mich immer wieder neu verliebt.“

Die Mitglieder des FWT Altentheaterensembles, im stolzen Alter von 63 bis 93 Jahren, spielen schwungvoll und mit viel Spaß an der Sache. Kein Wunder, sind die Episoden doch durch die Bank authentisch. Hinter jeder einzelnen Geschichte steckt „ihre oder seine Geschichte“. Sehr individuell, sehr greifbar, sehr tiefgehend. Und routiniert in Szene gesetzt.

 

Ingrid Berzau, die das Ensemble seit Jahrzehnten als Regisseurin führt, muss das komplette Drehbuch im Kopf haben. Bei einem Hänger beruhigt sie: „Alles ist gut!“ und souffliert unverzüglich: „Was haben wir in dieser Zeit gefeiert!“ Ihre Anweisungen sind knapp und präzise: „Ihr flaniert und Ulla kommt.“ Erstmals arbeitet sie in dieser Produktion mit Sabine Falter zusammen, die eine spezielle Musik-Dramaturgie macht. Sie schafft es, „die Persönlichkeit über die Stimme herauszuholen“, so Berzau. Das ist ihr in der Tat gelungen.

Wer mit den vielen, so unterschiedlichen Persönlichkeiten, die da auf der Bühne stehen, mitleiden, vor allem aber mitlieben will, der darf sich auf eine sehenswerte Inszenierung freuen.

 

„Ein Lieben lang“
Das FWT Altentheaterensemble

Inszenierung: Ingrid Berzau

Musik-Dramaturgie: Sabine Falter
Freies Werkstatt-Theater, Zugweg 10, 50677 Köln
 

Text: Alida Pisu

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