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Gesellschaft Südkids

Love, Peace & Ungehorsam

Donnerstag, 29. April 2010 | Text: Kathrin Rindfleisch | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 2 Minuten

Heute ist deutschlandweit „Tag der gewaltfreien Erziehung“. MEINE-SÜDSTADT-Kolumnistin Kathrin Rindfleisch ist Mutter einer zweijährigen Tochter und Mit-Erzieherin von deren gleichaltrigem Freund. Hier schreibt sie, wieso Gewaltfreiheit ein Erziehungsideal sein sollte.

 

Paul & Smilla lieben sich. Sie teilen artig Gummibärchen, stellen vor jedem Sandkastenmatch klar, wer diesmal die rote und wer die grüne Schaufel haben darf und am Ende eines jeden Abends gibt´s ein Abschiedsküsschen – dabei ist tagesformabhängig, ob im Auge-Schläfe-Wange-Bereich, oder eher im Mund-Kinn-Arenal. Aber prinzipiell: Ach neee, wat schön!

 

Paul und Smilla streiten sich. Ziemlich oft. Es geht um Legoautos und  Luftballons, Laufräder und Puppenwagen. Sie treten, schreien, schubsen und beißen. Das nervt und stellt jedes mal wieder neu auf die Probe: einmischen ja oder nein?! Und wenn ja, wie?! Die Streithähne auseinanderreißen, den jeweils Bösen tadeln und das Opfer trösten?! Dem Mitleid mit dem jeweils Schwächeren nachgeben und zurückbeißen, ganz nach der Devise „Was Du nicht willst, dass man Dir tu…“?! In Ruhe den Chai Latte zu Ende schlürfen und beim Tratsch mit der Freundin nur ein wenig die Stimme heben, weil das Geschrei aus der Kinderecke dazu nötigt?! Den Beißer auf die ruhige Treppe verweisen?! Mit Sanktionen drohen?!

ZURÜCKSCHREIEN????!!!

 

Gewalt ist auch keine Lösung. Das zeigt uns aktuell die unbeschreibliche Zahl an offensichtlich mitteilungsbedürftigen erwachsenen Menschen, die in Ihrer Kindheit Gewalt erfahren haben. So´n Klaps auf die Finger hat noch keinem geschadet. Scheinbar schon, welchen Grund sonst sollten Menschen haben, nach oft mehr als 40 Jahren die Geschichten, ihre Geschichten, an die Öffentlichkeit zu tragen? Gewalt hat wohl Schäden hinterlassen, ob nun ausgeführt in Form von sexuellem Mißbrauch, von Prügelstrafen und versohlten Hintern, oder vom obligaten Fingerklaps mit dem Lineal des Dorfschullehrers.

 

Gewalt, in jeglicher Form, bedeutet immer Grenzüberschreitung, Unterdrückung der Persönlichkeit, Missachtung eines Menschen. Das weiss Smilla nicht, wenn sie Paul mal wieder ins Gesicht kratzt, weil er Ihr die Giraffe nicht gibt und auch Paul ist zum Thema Grenzen achten noch eher unbedarft: Smilla hat mir den roten Stift weggenommen, dann hau ich die jetzt und hol ihn mir zurück! Aber wie denn lernen? Wie  erfahren Kinder die Achtung vor dem Gegenüber? Sicher nicht, indem sie mit einem Strafklaps missachtet werden. Da erfahr´n sie wohl eher die Missachtung, die können sie dann. Schuss nach hinten…!

 

Aber was dann?! Machen lassen, bis die Augen ausgekratzt und die Klamotten zerrissen sind?! Letztens geschah Folgendes: fröhliche Kinderstimmen, plötzlicher Ur Schrei gefolgt von herzzerreißendem Gejammer. Smilla steht mit bedröppeltem Gesicht und einer roten Schaufel neben Paul und sagt: „Paul weint.“ Sie haben sich an dem Tag noch zweimal gestritten und wieder vertragen und jedes Mal bin ich als staatl. geprüfte Kampfhähneauseinanderreisserin hin, hab das Opfer getröstet und den Lump auf die Schmerzen des Verletzten aufmerksam gemacht. Kein Schnuller-Strafentzug, kein Ich-zeig-Dir-mal-wie-weh-das-tut-Kratzer und auch keine Treppe, weder still noch steil.

 

Die Erkenntnis, dass Paul weint ist, da bin ich mir instinktiv ziemlich sicher (und das, wo doch mein Mutterinstinkt so oft von meinem Rabenmutterinstinkt verdrängt wird), der richtige Weg hin zu Persönlichkeiten, die Menschen nicht ver- sondern achten. Die Grenzen erkennen und einhalten, weil sie selber diese Erfahrung auch gemacht haben.

 

Zu Kathrin Rindfleischs aktueller Kolumne „Allein unter Zwergen“

Text: Kathrin Rindfleisch

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