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Kultur

Maschinenfrau zeigt Menschlichkeit

Donnerstag, 17. November 2016 | Text: Alida Pisu | Bild: Barbara Siewer

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Zum Brüllen komisch und zum Heulen traurig ist der Stoff, aus dem Alan Ayckbourns 1987 uraufgeführte Science-Fiction-Komödie „Ab jetzt“ gemacht ist. Irgendwann in naher Zukunft: Komponist Jerome lebt in einer hermetisch gegen das Außen abgeschotteten Welt, in der Gangs wie die „Töchter der Finsternis“ die Herrschaft übernommen haben.

 

Im Kampf um das Sorgerecht für seine geliebte Tochter Geain heuert er eine Hostess an, die seine glückliche Verlobte spielen soll. Als diese aber nicht so kann und will, wie sie soll, kommt sein Roboter GOU 300 zum Einsatz. Das sorgt für aberwitzige Situationen mit überraschenden Wendungen. Eine selten gespielte, düstere Farce, noch immer von beklemmend zeitloser Gültigkeit. Im „Theater am Sachsenring“ feierte sie unter der Regie von Joe Knipp eine umjubelte Premiere, die nicht zuletzt dem glänzend aufgelegten Ensemble zu verdanken ist.

 

Trostloser Alltag mit Hostess

Ein seltsamer Typ, dieser Jerome (Richard Hucke), der hinter Fensterläden aus Stahl lebt und seine Wohnung mit Mikrofonen bestückt hat, die jedes Geräusch aufnehmen. Aus den aufgezeichneten Alltagsgeräuschen und Sprachfetzen komponiert er seine Werke. Leider steckt er in einer Kreativitäts-Krise, seitdem Frau und Tochter ihn verlassen haben, weil sein Abhörwahn unerträglich war. In Jeromes trostlosen Alltag platzt die Hostess Zoe (Heike Huhmann) hinein. Sie, eigentlich Schauspielerin, ist das genaue Gegenteil des in seiner virtuellen Klangwelt lebenden Jerome: gefühlvoll, herzlich, sich auf ihn einlassend.

 

Nachdem sie ihre Scheu vor diesem seltsamen Typen verloren hat, der völlig darauf fixiert ist, ein grandioses Werk zum Thema „Liebe“ zu erarbeiten. Und nachdem sie sich an GOU 300 (Charlotte Welling) gewöhnt hat, eine Maschinenfrau, Prototyp eines Roboters, der ursprünglich als Babysitter gedacht war, aus Sicherheitsgründen aber aus dem Verkehr gezogen wurde. In Ermangelung eines Babys sucht der Roboter sich seine Aufgaben selbst, wiederholt unentwegt die programmierten Redewendungen und gibt erst Ruhe, wenn Jerome ihn auf Stand by schaltet.

 

 

Verwandte Seelen

Heike Huhmann verkörpert Zoe als eine verletzlich-verlorene Seele, die eigentlich eine Gescheiterte ist. Sie, die sich nach Shakespeare-Stücken sehnt, lässt sich darauf ein, in Jeromes Szenario des Vorgaukelns einer heilen Welt, mitzuspielen. Schwankend zwischen rührender Naivität, des Verkennnens der Kluft zwischen eigenen Ambitionen und limitierter Talentiertheit, glaubt sie im ebenso verlorenen wirkenden Jerome eine verwandte Seele gefunden zu haben.

 

Nach gemeinsam verbrachter Nacht stellt sie enttäuscht fest, dass er diese akustisch aufgezeichnet hat und künstlerisch zu verwerten gedenkt. Jerome, ein Verbraucher und Benutzer, dessen Schaffen auf Ausbeutung menschlichen Materials basiert  Auch wenn sie ihm noch wütend entgegen schleudert, was er nicht aufnehmen dürfe: „Ficken, baden, auf dem Klo.“, verlässt sie ihn dennoch. Woraufhin Jerome Hand an GOU 300 legt und ihn ummodelliert in seine Verlobte Zoe. Damit nimmt das Chaos seinen Lauf.

 

Stereotypen und Kaffeetassen

Besuch der Ehefrau (Charlotte Welling) und der Vertreterin (Anna Maria Wasserberg) des Jugendamtes. GOU 300 (nun verkörpert von Heike Huhmann) entpuppt sich erst mal als ideale Besetzung des Parts „liebende Verlobte“. Zwar fällt auf, dass sie die ewig gleichen Stereotypen von sich gibt und Kaffeetassen eher auf den Tisch wirft als stellt, doch wird sie überraschend gut mit Geain (Franziska Seifert) fertig.

 

Geain ist nicht mehr Papis kleines Mädchen, sondern kommt als genderverwirrter Macho-Boy daher und ist Mitglied der Gang „Hurensöhne“. Das Sorgerecht für Geain kann Jerome gerne haben, denn seiner Frau ist der vom entsetzten Vater als „Lastwagenfahrer“ titulierte „Sohn“ längst entglitten.

Innerhalb kürzester Zeit schafft GOU 300 es, die sich heftigst sträubende Geain aus den Männerklamotten in ein rot-weißes Tütü zu zwängen. Währenddessen gibt Anna Maria Wasserberg die Inkarnation der politisch überkorrekten Beamtin, die ganz selbstverständlich von ihrer Frau spricht, sehr darauf bedacht ist, „frau“ statt „man“ zu sagen und eine Vielzahl an Telefonen zückt. Thema: ständige Verfügbarkeit, das im Zeitalter des Digitalen somit kurz und knackig abgehandelt wird.  

 

 

Tohuwabohu mit Roboter

Die Ex-Gattin ist beeindruckt, dass Jerome, den sie als Wrack wiederzusehen glaubte, sich offenbar sehr zu seinen Gunsten verändert hat und eine ebenso attraktive wie patente Frau für sich gewinnen konnte. Noch fragt sie sich: „Was hat sie, das ich nicht habe?“, da gesteht Jerome ihr die Wahrheit, dass alles nur ein Spiel und die vermeintliche Zoe ein Roboter ist. Tohuwabohu, das Kind wird aufgefordert, die Hand des Roboters loszulassen, doch das Kind weigert sich.

Franziska Seifert als gezähmte Widerspenstige ist einfach entzückend. Wunderbar, wie lakonisch entschieden sie bei ihrem „Nö“ bleibt. Und man kann’s auch verstehen. Erscheinen die Figuren doch als monströse Gestalten, allen voran Jerome, die einem Kind kaum Halt und so etwas wie Verlässlichkeit bieten können. Das aber ist der auf Mütterlichkeit programmierten GOU 300 ja geradezu in „die Wiege“ gelegt. Sie zeigt mehr Menschlichkeit und Mitgefühl als alle anderen zusammen. Und ermöglicht somit Geaine erst, ihre eigentlich weiche Seite zu zeigen.  

 

Abschalten wie ein Tod

Was eigentlich noch das Zeug zu einem Happy End hätte, in dem sich findet, was zueinander drängt, mündet dann doch wieder in die anfängliche Beziehungslosigkeit und Isoliertheit. Schade. Doppelt schade um GOU 300, deren „Lebenszeit“ abgelaufen ist. Sie schaltet sich für immer ab und es ist bezeichnend, dass man Mitleid mit dem Roboter empfindet und sein Abschalten wie seinen Tod wahrnimmt. Sowohl Charlotte Welling als ganz besonders auch Heike Huhmann sind brillant in ihrer Roboter-Rolle.

Eine pointenreiche und schwungvoll in Szene gesetzte Komödie, in der die Gags im Minutentakt zünden. Aber auch ein Stück mit Tiefgang, das die von Huxley skizzierte „schöne neue Welt“, die schaudern macht, aufblitzen lässt.  

 

 

„Ab jetzt“ von Alan Ayckbourn, Deutsch von Corinna Brocher und Peter Zadek
Inszenierung: Joe Knipp, Bühne und Kostüme: Hannelore Honnen
Mit: Richard Hucke, Charlotte Welling, Heike Huhmann, Anna Maria Wasserberg, Franziska Seifert
Theater am Sachsenring, Sachsenring 3, 50677 Köln

Weitere Termine: 18., 19. November, 01., 02., 03., 08., 09., 10. Dezember 2016
 

Text: Alida Pisu

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