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Bildung & Erziehung Gesellschaft Südkids

Mathis´erster Schultag

Mittwoch, 7. September 2011 | Text: Judith Levold | Bild: Dirk Gebhardt

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Vor ziemlich genau einem Jahr schrieb ich an dieser Stelle über „Meine Traumschule“ – heute scheint mein Traum von einer Schule, die jedes Kind aus der Nachbarschaft willkommen heißt, ganz unabhängig von seiner Beschaffenheit, reell zu werden: die stinknormale Regelgrundschule KGS Mainzer Straße wird „inklusiv“ und ist damit Pionierin in Deutschland.

 

Die Inklusion in der Bildungslandschaft, vom Bund im Rahmen einer ratifizierten UN-Konvention vor bald drei Jahren zum Bundesgesetz erhoben, nimmt Gestalt an. Das Land NRW beschloss am 1.12.2010 den schrittweisen Umbau aller seiner Schulen zu inklusiven Schulen – Schulen also, in denen alle Kinder und Jugendliche, behindert oder gesund, gemeinsam lernen sollen. Und Inklusion geht weit über die bisher in vergleichsweise kleinem Rahmen praktizierte Integration an den wenigen integrativen Schulen hinaus.
 

Als ich vor etwa anderthalb Jahren vom Schulamt den Brief bekam, mein Sohn Mathis werde ja 2011 schulpflichtig und ich solle ihn doch an der KGS Mainzer Straße oder der Grundschule Loreleystraße bitte im Zeitraum von-bis anmelden, wurde mir flau ums Herz. Denn Mathis ist behindert, und das bedeutet ja normalerweise Förderschule oder den Run auf die wenigen Plätze in womöglich weiter gelegenen Schulen mit Integrationsklassen. Vor allem aber bedeutet es nicht, wie bei unserem großen Sohn, einen Brief zu bekommen, zu Anmeldung und schulmedizinischer Untersuchung gehen, und sodann relaxt den ersten Schultag abzuwarten.  Nein, es bedeutet Termine über Termine, Recherchen, Anfragen, Telefonate, Mails, Anträge etc.etc. um herauszufinden, was, auf Amtsdeutsch, der „ideale Förderort“ für ein geistig und körperlich behindertes Kind ist.

Abendtermin Ernst-Moritz-Arndt-Schule in Rodenkirchen, zwar für uns Südstädter weit, aber eben eine integrative Grundschule. Vorstellung von Mathis dort nach eingehender Begründung, weshalb wir die Schule wollen. Zuvor Besichtigung der „Förderschule körperlich-motorische Entwicklung“ in Müngersdorf, der unser Junge zugeordnet würde, käme er denn auf eine Förderschule. Später nochmals dorthin mit Mathis zusammen – die Physiotherapeutin und die Förderpädagogin wollen ihn sehen und kennen lernen. Parallel Besichtigung der Waldorfschule am Volksgarten – nicht barrierefrei und nicht offen für Therapeutenbesuche. Dasselbe gilt für die integrative Grundschule im Viertel, Zwirnerstraße – Altbau, nicht barrierefrei. Absage von der Ernst-Moritz-Arndt-Schule in Rodenkirchen. Wir waren nicht überrascht – die integrierenden Schulen sind vom Andrang überfordert, wählen die unproblematischsten „Fälle“ von Behinderung, und schon bei unserem Termin dort erschien uns die Atmosphäre sehr defizitorientiert: Man wies uns auf all´ das hin, was schwierig sei, wenn man ein solches Kind aufnähme. Na super, dass das leicht ist, hatten wir auch nicht angenommen. Das behagte mir nicht, genau so wenig wie die Aussage einer Ärztin des schulmedizinischen Dienstes beim Gesundheitsamt (Termin schon Wochen zurückliegend), Integration funktioniere nur, solange Mädchen noch mit Puppen spielten, danach würden Behinderte eh nur gemobbt, zum Teil geschlagen, sie wisse das aus Jahrzehnten Berufserfahrung. Kein Wunder, haben doch Heranwachsende in der Regel Null Erfahrung im Zusammensein mit behinderten Gleichaltrigen. Spätestens nach der integrativen KiTa ist für sie Feierabend mit der Tatsache, dass es auch Behinderte und Kranke gibt, die eben auch schlicht DA sind.

Und dann der rettende Gedanke in der Nacht vor dem letzten Tag der Anmeldefrist an der Regelgrundschule KGS Mainzer Straße: Ich gehe dort morgen  mit meinem Wisch vom Schulamt einfach hin und höre mal, was die Schulleiterin, Frau Sengelhoff, denn zu dem Thema so sagt.

Zwei Stunden später schwebte ich gemeinsam mit Mathis dort heraus und hatte in diesem gesamten Einschulungsbemühungsprozess das allererste schöne Erlebnis gehabt. Frau Sengelhoff, im Pulk im Foyer stehend, begrüßte mich herzlich erfreut und fragte nach dem Befinden unseres großen Sohnes im 2. Gymnasiumjahr sowie, mit Blick auf Mathis: „Wollen Sie den Mathis hier anmelden?“ Auf meine überrascht bejahende Antwort hin schickte sie mich in ihr Büro, und ein langes Gespräch später trennten wir uns in der Gewissheit, dass wir beide davon überzeugt sind, dass Inklusion sein MUSS. Und wir einfach damit anfangen und nach und nach alle Hebel in Bewegung setzen und alle Maßnahmen ergreifen wollen.

 

Die Direktorin der Schule hat Mathis aufgenommen, Eltern, Schule und Förderschule haben gemeinsam die entsprechenden Verfahren zur Prüfung des sonderpädagogischen Förderbedarfs, das so genannte AO-SF-Verfahren dem Schulamt vorgelegt und den Prozesss in die Wege geleitet. Und es ging bergauf, ganz und gar nicht hürdenfrei, und vor allem sehr arbeitsreich, aber wir haben immer mehr Menschen unter LehrerInnen, Ganztagspädagogen, Eltern, Behörden, Therapeuten für die Veränderung gewinnen können, von der Entwicklung in Politik und Gesellschaft mal ganz abgesehen – und wir hoffen, dass Inklusion kein Modebegriff im politischen Betrieb bleibt.  Es tut sich was und wir müssen was tun – das war unser Motto.

Und so wird wohl ab dem kommenden Schuljahr etwas sehr Schönes und Aufregendes passieren in der beliebten Südstadtschule in der Mainzer Straße. Das beginnt festlich am Donnerstag: mit Mathis´erstem Schultag.

P.S.
Um der Aktualität willen und weil Träume nie perfekt wahr werden: Aus dem Urlaub zurück, stelle ich fest, dass die Stadt Köln nicht, wie seit Monaten beantragt und auch genehmigt,  einen Schulbegleiter für Mathis besorgt hat. Wir seien nicht die einzigen, es gebe noch diverse „unversorgte“ Kinder, es gebe aktuell ein Problem mit den Integrationshelfern. Der Weg fängt steinig an. Integrationshelfer,  Schulbegleiter: Bitte meldet euch!

 

Hier lest Ihr Judith Levolds Artikel „Meine Traumschule“ vom September 2010.

Text: Judith Levold

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