Mehr als ein Best Of – laif zeigt 40 Jahre Zeitgeschichte
Dienstag, 22. März 2022 | Text: Nora Koldehoff | Bild: Dirk Krüll/laif
Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten
Es war die große Zeit der Magazine und Zeitschriften, die sich Anfang der 1980er-Jahre auch in der Kölner Südstadt bemerkbar machten. Blätter wie „Stern“, Quick“ oder „Bunte“ hießen auch deshalb „Illustrierte“, weil sie ihre oft exklusiven Geschichten nicht nur ausführlich bebilderten: Für manche ihrer Reportagen war die Fotografie der eigentliche Auslöser. Fotografinnen und Fotografen suchten nach Themen, die Zeitgeschichte dokumentierten, Fragen aufwarfen, Gewissheiten infrage stellten, über politische Zusammenhänge aufklärten. Sie verstanden und verstehen sich bis heute als Bildjournalistinnen und -journalisten, als Autor:innen ihrer eigenen Geschichten, die fast immer auch eine Haltung wiedergeben.
Um ihre Bilder den Medien anbieten zu können, gründeten sie 1981 ein Fotografenbüro in der Merowingerstraße – fast direkt am Chlodwigplatz.
Nachgeholtes Jubiläum
„Damals brauchten wir viel Platz“, erinnert sich Peter Bitzer. „Digitale Fotografie gab es noch nicht, deshalb mussten wir Tausende von Papierabzügen verwalten.
Nicht nur das hat sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten verändert.“ Bitzer stieß Anfang der 1990er Jahre zur Agentur „laif“ hinzu und war bis 2020 ihr geschäftsführender Gesellschafter. Nun steht er im Obergeschoss des Museums für Angewandte Kunst und blickt auf die Zeitleiste, die die 41 Jahre Revue passieren lassen. Eigentlich sollte die Jubiläumsausstellung schon im vergangenen Jahr, zum 40., stattfinden. Wie so Vieles verhinderte die Pandemie aber auch hier eine pünktliche Feier.
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in.form – Köln SüdstadtDas 41. Bild, als Appendix der Zeitschiene, ist daher auch ein beklemmend aktuelles: Es zeigt Menschen, viele Menschen. Sie stehen am Hauptbahnhof von Kyjiw an einem Zug in Gelb und Blau, drängen in den Zug und heben ein Kleinkind über die Köpfe zur offenen Abteiltür.
„Wir haben uns bewusst dafür entschieden, keines der Bilder von Krieg und Zerstörung zu wählen, die derzeit omnipräsent sind“ sagt Kurator und Fotograf Peter Bialobrzeski.
Konzeptreihen statt Nabelschau
Der mehrfach ausgezeichnete Bildjournalist räumt ein, dass er bei der Auswahl der Bilder für die Ausstellung nicht alle 14 Millionen Fotos der Agentur durchgesehen hat. „Die Auswahl ist nicht als Best Of gedacht“, erklärt er. „Mich haben mehr Konzeptreihen interessiert. Demokratisch ist diese Auswahl nicht, das kann sie auch nicht sein. Sie ist subjektiv und auch davon geprägt, was mir und uns persönlich in Erinnerung geblieben ist.“
Für jedes Jahr hat er ein Ereignis, eine Bildreihe ausgesucht, die die entsprechende Zeit (mit)geprägt hat.
Es beginnt mit Bildreihen der beiden Gründungsmitglieder Günter Beer und Manfred Linke, die die Proteste gegen den Bau des Atomkraftwerks Brokdorf und die gegen die Frankfurter Startbahn West dokumentieren.
Die visuelle Zeitreise führt durch das Ruhrgebiet der 1980er Jahre, zeigt die Mauer, die Reichstagsverhüllung und Angela Merkel „backstage“ und endet mit Fotos von der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021.
Dabei bleibt der fotografische Blick aber nicht im eigenen Land. Zu sehen sind auch asiatische Metropolen, experimentelle Arbeiten aus Los Angeles, Bordelle in Bangladesch, die „Sun-Cities“ genannten Senioren-Wohlstands-Ghettos in den USA und die innere Flucht durch Meditation in der überfüllten U-Bahn Tokios.
Die Ausstellungsführung geht nicht streng chronologisch vor, sondern nimmt sich auch die Freiheit, innere Zusammenhänge abzubilden: etwa in jenem Raum, in dem Bilder aus Wackersdorf 1986 einer Reihe aus dem Hambacher Forst 2019 gegenüberstehen.
Hommage an die Zeitung
Jeweils ein Foto ist bei jedem Projekt so präsentiert, wie man es aus Foto-Ausstellungen kennt, groß, auf Fotopapier abgezogen, gerahmt. Die anderen – gleichwertig gehängten – Bilder sind auf demselben Zeitungspapier gedruckt, das auch als Ausstellungskatalog fungiert.
„Das ist als Hommage an das Medium gemeint, für das die Fotos ursprünglich entstanden sind“, erklärt Peter Bialobrzeski. „Und das beinhaltet auch noch eine eigene Ironie: Früher musste man für vernünftige Farbdrucke einen Riesenaufwand betreiben. Heute dagegen, wo die Zeitung längst nicht mehr das Hauptmedium ist, mit dem sich visuelle Information beschafft wird, kann man sehr viel einfacher qualitativ hochwertige Farbdrucke erzeugen.“
Dass Farbfotos überhaupt erst gegen Ende der der 1980er Jahre in der Ausstellung vorkommen, ist dem Umstand geschuldet, dass auch in dieser Zeit erst die Illustrierten damit begannen, in Farbe zu drucken.
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Ralph Ley – SteuerberaterZur Agentur laif, die als Kollektiv begonnen hatte, gehören inzwischen mehr als 400 Mitglieder, darunter zahlreiche international tätige Fotograf:innen, die mit dem World Press Award oder dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurden. Er selbst habe an der Zusammenarbeit mit laif immer geschätzt, dass man ein sehr großes Mitspracherecht hat, sagt Kurator Bialobrzeski. „Als Fotograf ist man dort keine stromlinienförmige Figur, die einfach nur tagesaktuelle Bilder liefert. Vielmehr entwickelt und unterstützt laif freie Arbeiten.“
Und die sind im Museum für angewandte Kunst noch bis zum 25. September 2022 zu sehen.
makk
Museum für angewandte Kunst Köln
An der Rechtschule 7
50667 Köln
Der Eintritt in die Sonderausstellung kostet 6 Euro, ermäßigt 3 Euro.
Eine Edition zur Ausstellung gibt es auf www.laif-shop.de.
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