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Gesellschaft Kultur

„Mein Erfolg ist eigentlich gar nicht möglich“

Mittwoch, 3. Februar 2016 | Text: Jasmin Klein | Bild: Tamara Soliz

Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

Syriens berühmtester Rapper lebt jetzt in Köln. Abdul Rahman kommt aus Aleppo City in Syrien. Er ist studierter Informatiker und lebt seit zwei Jahren in Deutschland, zunächst in Rostock, und seit zwei Monaten in Köln. Unter dem Künstlernamen ‚Murder Eyez’ war er in Syrien der bekannteste Rapper. Er produzierte Tracks für sich und andere Musiker in seinem eigenen Musik-Studio, besaß zwei Geschäfte, in denen er selbst-designte Kleidung verkaufte und drehte Musikvideos.

In den zwei Monaten in Köln hat er bereits viele Menschen kennen gelernt, ein Musikvideo gedreht und sich mit Ken Kasischke, dem Betreiber der Website www.wirsind.koeln, angefreundet. Wir treffen die beiden im WIPPNB’Ks. Das Gespräch führen wir auf Englisch.

Meine Südstadt: Gab es einen Zeitpunkt, zu dem Du festgestellt hast: Ich glaube, ich muss jetzt Syrien verlassen?
Abdul Rahman: Das war ein schleichender Prozess. Der Krieg kam näher, und wir zogen weg. Dann kam auch dorthin der Krieg, und wir zogen wieder weiter. Irgendwann ging es nicht mehr, und wir flohen nach Ägypten.

Es gab viele Gründe, weswegen ich Syrien verlassen musste. Aber der größte war der: ich wollte meine verwitwete Mutter und meine Schwester beschützen. Ich hatte jeden Tag Angst, dass meine Mutter sterben würde. Sie ist alt und krank, und der tägliche Stress schwächte sie zusätzlich. Und ich musste auch auf mich selbst aufpassen. Wenn ich geblieben wäre, hätte ich es jeder Seite recht machen müssen, und das ist nicht einfach. Die Kämpfer der verschiedenen Seiten nehmen jeden, der eine Waffe bedienen kann. Sie kontrollieren verschiedene Stadtteile. Sie ziehen Dich aus dem Auto, wenn sie Dich für stark genug erachten, um zu kämpfen. Sie klopfen an Deine Tür und sagen: Wir kämpfen, und Du sitzt wie eine Frau zu Hause rum. Du musst mit uns gemeinsam kämpfen. Ich bin aber gegen das Töten.

Ich bin gegangen, um meine Familie zu schützen. Ich bin und kämpfe auf keiner Seite, denn am Ende würde ich gegen meine eigenen Leute kämpfen. Ich müsste auf die andere Straßenseite schießen, aber da leben meine Freunde, meine Cousins. Ich lehne es ab, eine Waffe zu bedienen und Menschen zu töten oder durch meine Leute getötet zu werden. Ich beschütze meine Familie. Das ist mein größter Grund. Die anderen Gründe behalte ich für mich. Viele halten das für übertrieben oder PR, aber das fand einfach statt: Drohungen an mich, meine Mutter.

Alle Seiten versuchten mich zu vereinnahmen, denn ich hatte durch meine Musik und Texte großen Einfluss auf gerade auch junge Menschen. Sie wollten, dass ich ihre Botschaften in meinen Texten verbreite. Aber ich lehnte das ab, Teil des schmutzigen Krieges zu sein, und entschied mich, für meine Leute zu singen und nicht Botschaften anderer zu verbreiten, und darum habe ich mich unsicher gefühlt. Alle Augen lagen auf mir.

Ken Kasischke: Aleppo ist eine geteilte Stadt. Es kommt drauf an, in welchem Viertel Du lebst, dann musst Du gegen Deinen Nachbarn kämpfen. Viertel gegen Viertel. Es ist noch nicht mal Syrer gegen Syrer, es sind Aleppo-Einwohner gegen andere Aleppo-Einwohner.

Was beschäftigt Dich gerade am meisten?
Abdul Rahman: Hunderte von Dingen beschäftigen mich. Aber am dringendsten: Ich suche eine Wohnung. Das macht mich fertig. Ich verbringe so viel Zeit, Geld und Nerven mit der Wohnungssuche. Erst brauche ich ein Appartment, muss Deutsch lernen, einen Job suchen, und dann meine eigenen Projekte realisieren. Momentan bin ich ein Gast und warte auf ein Wunder.

Ken Kasischke: Er hat Freunde in der Stadt und ist hier auch registriert. Im Moment lebt er bei einer Freundin, die ihm seine Couch angeboten hat. Das ist aber keine haltbare Situation, denn die Couch steht in Bonn, und die Fahrtkosten nach Köln sind hoch. Es gibt zwar den Kölnpass, aber den bekommt man erst nach sechs Monaten. Wenn er eine Wohnung hätte, wäre dieses Problem schon mal erledigt. Und sein Deutschkurs beginnt im März. Dann muss er jeden Tag in Köln sein.

Wie groß und teuer darf die Wohnung sein??
Maximal 50qm und 413€ kalt, 480€ warm.

Ganz Deutschland spricht über die Ereignisse an Silvester am Hauptbahnhof. Wie denkst Du darüber?

Was dort passiert ist, verstößt gegen alle Werte, mit denen wir großgeworden sind: religiöse und gesellschaftliche. Meine Religion sagt mir nicht, dass ich stehlen und vergewaltigen soll. Ich habe in meinem Land niemanden vergewaltigen gesehen, man las davon nichts in den Zeitungen. Es gibt natürlich Diebe, die gibt es sogar in der Schweiz, aber Vergewaltigungen? Nein. Das geschah nicht in meiner Community. Und ich würde es nie akzeptieren.

Und wir alle haben dieses Land zu respektieren. Hier wird uns geholfen, wir werden unterstützt, und wir sollten es mit gutem Benehmen danken und unser Land und die Gesellschaften, aus denen wir kommen, angemessen repräsentieren. Wir alle müssen aufstehen gegen alle, die dieses Land und seine Menschen nicht respektieren.

 

In den Zeitungen steht was über dieses Taharrush gamea..?
Ich kenne es nicht aus Syrien, aber ich weiß von anderen Ländern, dass das dort stattfindet. In einigen Ländern kann man sich nicht frei sexuell entfalten. Die jungen Menschen haben kein Geld für eine Hochzeit und stehen unter Strom, denn in diesen Ländern muss man verheiratet sein, um als Paar zusammen leben zu dürfen.

Wir in Syrien sind nicht arm, jeder darf heiraten, man kann Wohnungen anmieten, die Familien unterstützen sich finanziell – in dieser Hinsicht haben wir da kein großes Problem. Wir sind liberaler, haben Partys, Swimmingpools, Dirty Dancing, Events – wir kommen nicht aus der Wüste. Wir sind nicht so fasziniert von Frauen im Bikini. Die gibt es auch in Syrien.

Köln ist neben Berlin die Hauptstadt der LGBT-Bewegung. Ich weiß, dass Du im Sommer etwas bei facebook geschrieben hat, das gegen die LGBT-Bewegung ging. Wie ist Deine Haltung heute dazu?
Ich wurde in einer Gemeinschaft groß, in der Homosexualität offiziell nicht existierte bzw. geächtet wurde. Es war aus religiösen und gesellschaftlichen Gründen verboten. Aber natürlich hatte ich auch schwule und lesbische Freunde. Sie mussten sich sehr verstecken. Dann gab es im Libanon eine Fernsehsendung, in der ein Syrer und ein Libanese heiraten wollten. Die LGBT-Bewegung rief zum Coming-Out auf. Zwei Tage später outeten sich Menschen in Syrien und wurden daraufhin lebendig von Häusern geworfen oder zu Tode geprügelt. Es gibt davon Videos, ich erfinde das nicht. Nachdem ich das gesehen hatte, postete ich, dass man sich besser weiterhin versteckt. Weil man das Coming-Out mit dem Tode bezahlt. Ich habe das sehr unglücklich ausgedrückt.

Und mittlerweile habe ich so viele Schwule und Lesben hier in Deutschland kennen gelernt, die in der Flüchtlingshilfe arbeiten, und ich bin so beschämt, wie ich über sie gedacht habe. Ich bin zwar das Produkt meiner Erziehung und meiner Herkunft. Aber ich habe meine Haltung komplett geändert.

Wir hatten einfach keine Erfahrungen im Umgang mit Homosexuellen, wir wuchsen damit auf, sie abzulehnen und zu ächten. Aber durch den Umgang mit vielen von ihnen bei den humanitären Aktionen, da konnte ich ja nur meine Meinung ändern. Sie haben alle meinen Respekt, denn den verdienen sie absolut.

Wo sind deine schwulen Freunde jetzt?
Im Libanon, in der Türkei, USA , Europa, auch in Deutschland.

In der facebook-Gruppe ‚Meine Südstadt’ habe ich um Fragen an Dich gebeten.
Carina Kontio möchte wissen: Hilft Musik dabei, die schrecklichen Erlebnisse zu verarbeiten, und wenn ja, was macht das mit Dir?

Die Musik ist die größte Brücke zwischen allen Menschen, auch wenn es verschiedene Sprachen gibt. Musik ist eine universelle Sprache. Ich kann meine Gefühle ausdrücken, meine Haltung, meine Wut, meinen Zorn, mein Glück. Ich kann Botschaften transportieren.

Viele Menschen wissen nicht, was genau in Syrien geschieht. Man sieht in den deutschen Nachrichten, was die deutsche Regierung kommunizieren möchte. Man sieht in den italienischen Nachrichten, was die italienische Regierung kommunizieren möchte. Viele Menschen wissen aber nicht, was hinter den Kulissen geschieht. In meinem Musikvideo „Sighs of Aleppo“ habe ich erklärt, was dort geschieht. Aleppo ist für mich eine Königin; sie ist sehr müde, seufzt und ist traurig. Ich erkläre ihr Seufzen in dem Song. Ich verehre Aleppo. Jeder ist stolz auf sein Land, aber ich bin stolz auf meine Stadt.

Das kann jeder Kölner sofort nachvollziehen. Sascha Becker fragt:? Wie kommst Du zu diesem Künstlernamen?
Es gibt die amerikanische Skater-Marke „No Fear“. Man sieht zwei gefährlich guckende Augen. Wenn jemand Dich schlagen möchte, schließt Du normalerweise reflexartig die Augen. Ich wollte mit dem Künstlernamen ausdrücken, dass ich nicht zucke, sondern meine Augen offen halte. Es sind Augen, die keine Angst haben. Aber der Name hat nichts mit Mord zu tun. (lacht) Ich war auch erst 17, als ich mir diesen Künstlernamen gab. Man wollte Gangstar sein. Später wollte ich den Namen ändern. Aber immer, wenn ich versuchte, mich mit meinem echten Namen Abdul Rahman zu etablieren, sagen alle: „Aaaah, Abdul Rahman, das ist ja Murder Eyez!“

Wie wird man ein so bekannter Rapstar in Syrien?
Mein Erfolg ist eigentlich gar nicht möglich. Die Regierung, die Gesellschaft: alle waren gegen uns: „Hiphop ist satanisch, Du verehrst Satan?!“ Niemand hat uns unterstützt. Wir hatten keine Presse. Und es gab keine Plattenfirmen in Syrien. Es gab auch kein Internet, und als es das gab, wurden facebook und youtube gesperrt. In einem anderen Land hätte es vielleicht zwei Jahre gebraucht, und ich wäre bekannt geworden. Aber in Syrien sprach alles gegen meinen Erfolg.

 

Vielleicht verstehen die Leute jetzt, warum ich nicht so bekannt in der westlichen Welt bin. Ich hatte kein Geld und keine Unterstützung. Wie willst Du da berühmt werden?
Jetzt habe ich facebook, youtube und Presse, jetzt können tolle Sachen geschehen.
Ich habe Energie, Pläne, Projekte, Ideen, und ich mache jetzt neue Musik, indem ich orientalische mit europäischer Musik mische.

Wie konntest Du dann Geld verdienen?
Ich arbeitete selbstständig als Informatiker und Grafiker. Ich habe mein Musik-Studio eröffnet und für Freunde aufgenommen und produziert. Dafür wurde ich bezahlt. Dann wurde ich berühmter und für Konzerte gebucht. So habe ich Geld verdient, aber ich hatte ja auch meine Geschäfte, in denen ich selbst designte Klamotten verkauft habe. Musiker haben bei mir im Studio ihre Musik aufgenommen und sich dann in meinem Laden mit Klamotten eingedeckt.

Eine weiteres Gruppenmitglied fragt: mit welchen Gefühlen schaust Du auf Deine Zukunft in Deutschland? Hast Du die Hoffnung, irgendwann nach Syrien zurückzukehren?
Natürlich möchte ich zurück. Jeder vermisst sein Heimatland. Aber der Krieg wird so schnell nicht enden. Ich hoffe, ich kann bald zu Besuch hinfahren. Die Mehrheit meiner Freunde lebt nicht mehr in Syrien. Aber auch, wenn meine Stadt zerstört ist, vermisse ich sie. Ich sehne mich sogar danach, die zerstörte Stadt zu sehen.

Wie kann man mit seinen Freunden und Familie Kontakt halten?

Wir halten Kontakt über WhatsApp, aber es gibt fast nur einmal im Monat Netz, und ich kann mit meiner Schwester nur alle paar Wochen sprechen. Sie blieb mit ihrem Mann und ihren Kindern in Aleppo, genau wie meine Cousins und Cousinen, Onkel, Tanten, Verwandten und der Rest meiner Familie.

Jens Schellhase fragt: Wie schmeckt dir Kölsch?
Ich trinke gar keinen Alkohol. Zum einen aus religiösen Gründen, aber ich mag einfach auch ein klaren Kopf behalten.

Zum Schluss reden wir noch kurz über Religion, und er sagt:
„Es ist ein großer Fehler, Religion mit Politik zu vermischen. Viele religiöse Führer missbrauchen die Religion für ihre politischen Ziele und verpassen ihr somit ein schlechtes Image. Das gilt für jede Religion. Lasst uns nur über Menschlichkeit sprechen, und lasst die Religionen dabei außen vor, um sie rein zu halten von politischen Zielen.“

Wir bedanken uns sehr herzlich für das Gespräch.

 

Nachtrag:
Abdul hat mittlerweile eine Wohnung gefunden.

 

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Text: Jasmin Klein

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