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Lükes Liebes Leben

Meine unbekannten Bekannten – Lükes liebes Leben

Montag, 4. Dezember 2017 | Text: Reinhard Lüke

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Zu den Menschen, denen ich am häufigsten begegne, gehört Ingo. Ingo Debuschewitz. Nicht, dass es sich bei ihm um einen guten Bekannten handelte. Ich weiß nicht mal, wie der Mann aussieht. Aber wo immer ich an irgendwelchen Baustellen vorbeikomme, und von denen hat´s ja auch in der Südstadt derzeit reichlich, sehe ich Absperrgitter, auf denen „Debuschewitz“ prangt. Und bei großformatigen Modellen steht auch der Vorname mit drauf. Doch nicht nur Absperrgitter und mobile Ampelanlagen hören auf Debuschewitz.

Wenn in der Einfahrt zum Rheinauhafen mal wieder die Schranke schwächelt, macht sich alsbald ein Techniker daran zu schaffen, auf dessen orangefarbener Weste „Debuz“ steht. Hinter diesem Kürzel verbirgt sich natürlich auch niemand anders als der Debuschewitz, Ingo. Und wie ich der Homepage der Firma mit Sitz in Poll entnehme, haben sie jetzt auch Leitplanken im Angebot. Ein Foto von Ingo hat die Seite leider nicht vorrätig und nicht mal bei der sonstigen Internetsuche nach Bildmaterial zur Person wird man fündig. Da erscheint nur ein ölig lächelnder Anwalt gleichen Namens. So wird mir der Absperrgitter-Monopolist aus Poll womöglich auf ewig ein Unbekannter bleiben. Obwohl ich praktisch täglich auf ihn treffe.

Die Schwankende

Andere Begegnungen nehmen sich in diesen Tage weit seltener aus. Bei meinen morgendlichen Gängen durch den Rheinauhafen hat die Zahl der vertrauten Menschen, die mir auf ihrem Weg zur Arbeit auf dem Rad entgegenkommen, resp. mich überholen, jedenfalls merklich abgenommen. Wird vermutlich am Wetter liegen. Obwohl – Die Schwankende vermisse ich schon seit dem Frühsommer. Eine gelockte Frau um die 30, die über Jahre morgens stadtauswärts unterwegs war und bei jedem Tritt in die Pedale heftigst mit dem Oberkörper wackelte. Ich hoffe doch, sie ist wohlauf. Vermutlich nur den Job oder die Wohnung gewechselt.

Das Rätsel

Noch regelmäßig unterwegs ist hingegen eine Frau mit asiatischen Gesichtszügen, die ich „Das Rätsel“ getauft habe. Sie hat stets ein Fahrrad dabei, schiebt es aber nur. Nun ja, dachte ich mir bei unserer ersten Begegnung vor gut einem Jahr, wohl ein technischer Defekt. Als sie jedoch auch an den Tagen darauf ihr mitgeführtes Vehikel nie bestieg, machte ich mich mit dem Gedanken vertraut, sie sei des Radfahrens nicht mächtig. Solche Menschen gibt’s ja. Aber warum hatte sie den Drahtesel dann stets dabei? Sollte sie ihn womöglich nur überführen, um ihn irgendwo einer Bekannten auszuhändigen, die dann damit davonbrauste? Machte doch auch keinen Sinn. Aber eines Tages geschah das Wunder. Das Rätsel schob wie gewohnt das Rad, doch dann stieg es plötzlich auf fuhr ohne jeden Wackler ungefähr 200 Meter, um sodann wieder abzusteigen und in den Schiebemodus zu wechseln. Dieses Schauspiel habe ich seitdem durchaus öfter erlebt, aber was die Frau damit im Schilde führt, ist mir nach wie vor vollkommen schleierhaft.

Kugelblitz

Dann wäre da noch Kugelblitz. Ein beleibter Typ in den 30ern, der ein klassisches Rennrad fährt. Wozu er sich jeden Morgen in Radlerhosen nebst passendes Oberteil zwängt. Was irgendwie nach Presswurst aussieht. Helm trägt er auch. Bemerkenswert wird die Erscheinung jedoch erst durch den Umstand, dass der Sattel seiner Rennmaschine viel zu tief eingestellt ist, so dass der Mann immer ein wenig o-beinig unterwegs ist. Zudem tritt er einen seltsam kleinen Gang, der ihn trotz nähmaschinenartig flinker Beinarbeit kaum vom Fleck kommen lässt.

Der Geprügelte

Wenige Minuten später folgt auf den Kugelblitz in Gegenrichtung der Geprügelte. Ungefähr im selben Alter ist er auf seinem Rad eher gemächlich unterwegs, macht dabei jedoch ein Gesicht, als verursache ihm jeder Pedaltritt körperliche Schmerzen. Überhaupt ist seine Mimik so, als hätte man ihn gerade aus dem Bett geprügelt. Freiwillig scheint er jedenfalls nicht unterwegs zu sein. Zudem hängt er auch noch völlig schief auf seinem Rad und ist offenbar eine echte Frostbeule. Zumindest trägt er schon seit Anfang Oktober einen dicken Anorak und Ski-Handschuhe. Was nun allerdings so gar nicht zu seiner gesamten Erscheinung passt: Mehrmals die Woche hat er Tennisschläger geschultert. Nicht einen sondern gleich ein ganzen Sack voll, wie man das von den Profis kennt, wenn sie den Center Court betreten. Sollte der Mann, der sich Tag für Tag mit der Körperspannung eines Wackelpuddings stadtauswärts quält, womöglich vormittags fidelen Senioren in Rodenkirchen Tennisunterricht erteilen? Vermutlich.

Der Monolog und die Arbeiterklasse

Schließlich darf in dieser Reihe meiner unbekannten Bekannten auch der Monolog nicht fehlen. Der ist weiblich, um die 50 und gegen 8 Uhr 30 stadteinwärts unterwegs. Montags bis donnerstags radelt ein Mann an seiner Seite. Allem Anschein nach handelt es sich bei ihm nicht um den Lebensabschnittsgefährten der Frau. Tippe eher auf Nachbarn oder Arbeitskollegen. Während sie zivil unterwegs ist, trägt er gelbe Warnweste und Helm. (Über solch sicherheitsrelevante Fragen würde man sich in einer funktionierenden Paarbeziehung doch verständigen.) Das Besondere an diesem Duo: Während sie ohne Unterlass auf ihn einredet, bzw. monologisiert, radelt er schweigend neben ihr her. Was sie da unaufhörlich mizuteilen hat, weiß ich nicht, da sie obendrein auch noch zu den Schnellsprecherinnen gehört. Mehr als ein paar Wortfetzen kommen da bei mir nie an. Ob er unter seinem Helm davon mehr mitbekommt?

Aber womöglich ist er auch nur einer dieser verständnisvollen Zeitgenossen, die wissen, dass Frauen zugehört werden will und hält sich deshalb mit eigenen Beiträgen vornehm zurück. Nur ein einziges Mal in den gut zwei Jahren, in denen das ungleiche Paar an mir vorbeigeradelt ist, hab´ ich von ihm einen Halbsatz aufgeschnappt. Der wurde mit erstaunlich lauter und sonorer Stimme vorgetragen und bestand nur aus drei Wörtern: „Kampf der Arbeiterklasse…“. Das war Anfang Mai. Danach habe ich nie wieder was von ihm gehöhrt. Aber seitdem versuche ich mir jeden Morgen, wenn er mir entgegenkommt, ein Bild zu machen, ob der Mann nun Historiker oder der letzte Kölner DKP-Funktionär auf dem Weg ins Parteibüro ist. Arbeiter ist er jedenfalls nicht. Die tragen keine Fahrradhelme.

 

Text: Reinhard Lüke

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