„Mens sana in corpore sano“
Samstag, 4. Februar 2012 | Text: Betsy de Torres | Bild: Dirk Gebhardt
Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten
Als Kinder dachten wir, mit 30 wäre das Leben vorbei. Als 30-Jährige meinten wir, mit 50 ist endgültig Schluss. Viele 50-Jährige meinen, das Leben fängt erst jetzt richtig an. Wann ist man alt, und wieso verschiebt sich das immer weiter nach hinten? Gibt es ein Geheimnis zur ewigen Jugend, oder zumindest zum gesund und glücklich älter Werden? Ist Sport vielleicht der Schlüssel?
Ich befinde mich in einem Sportstudio auf der Bonner Straße. Dieses Fitness- Zentrum hat nichts gemeinsam mit den lauten Studentenmuckibuden, die ich kenne. Die Atmosphäre ist ruhig und gepflegt. Hier läuft oder radelt man vor Großbildschirmen. An der Bar gibt es Getränke namens Basics, Shape, Energy und Regeneration.
Ich bin gekommen, um hier Wolfgang Tegethoff zu treffen. Jemand hat mir erzählt, dass dieser Mann Erstaunliches kann, und ich weiß sofort, dass ich vor ihm stehe, als ich diese Szene sehe: Ein Mann steigt auf einen Gymnastikball. Seine Beine zittern und er droht zu fallen. Leise gibt ihm sein Personal Trainer Erik Randrianarisoa Kommandos Ich bin da, ausgleichen, fühlen- Ich staune: Er hat es geschafft, auf dem Ball zu balancieren!
?
Herr Tegethoff, darf ich fragen, wie alt Sie sind??
Ich bin 75 Jahre alt.
Ach! Ich möchte mit 75 auch so fit sein und auf einem Gymnastikball balancieren können.?
(lacht) Danke!
?Man sagt, man ist so alt, wie man sich fühlt.?
Das stimmt!
Wie alt fühlen Sie sich??
Ich würde sagen, wenn ich einen 55-Jährigen beim Laufen betrachte und sehe, wie der sich bewegt, fühle ich mich 21 Jahre jünger! Das ist übrigens eine ganz wichtige Erkenntnis, dass man sich durch Sport einige Jahre jünger fühlt und auch jünger ist. Ich merke es, wenn ich meinen Koffer trage, am Flughafen. Keiner kommt auf die Idee zu sagen, Oh, Sie sind 75 Jahre alt, darf ich Ihnen mal helfen, ihren Koffer zu tragen?“ (lacht)
?Geben Sie mir ein paar Tipps. Wie kann ich mit Elan älter werden?
?In dem Sie Sport machen. Man muss auch gleichzeitig seinen Geist trainieren. Das ist die ergänzende Komponente.
?Was machen Sie dafür??
Ich habe vor zwei Jahren angefangen, Italienisch zu lernen und mein Klavierspiel zu intensivieren, und ich sehe, dass es mir besser gelingt, wenn ich tagsüber Sport gemacht habe.
?Was sagen die Mediziner dazu??
Die Mediziner oder die Gerontologen sagen, wer einen klaren Kopf im Alter behalten will, muss Sport machen. Ich habe mit einer Professorin gesprochen, mindestens 20 Jahre her, sie sagte: Wenn ich beurteilen muss, ob ein älterer Mensch geistig ok ist, dann gucke ich erst einmal seine Muskeln an. Das hat mir sehr gut gefallen! Ich war damals 55 Jahre alt. Ich habe gedacht, ach, mit 75 braucht man nichts mehr im Kopf (lacht). Man lebt ja nicht mehr so lange (schmunzelt), jetzt bin ich selber in dem Alter und denke: jetzt machst du was Körperliches und was Geistiges.
?
Sie machen einen fitten Eindruck. Was ist Ihr Geheimnis?
?Kein Geheimnis, ich mache das, was ich immer gerne gemacht habe. Früher bin ich viel geritten. Das habe ich vor vier Jahren aus verschiedenen Gründen aufgegeben. Ich hatte eine Rückenoperation und dann kam irgendwie Erik in mein Leben und hat ganz vorsichtig angefangen, mit mir eine Art von Rehabilitation zu machen. So hat sich das entwickelt, was Sie heute gesehen haben.
Das ist super!
?Ich habe es am Anfang nicht für möglich gehalten, dass ich auch nur eine Sekunde auf so einem Ball stehen kann!
?Was bringt Ihnen Sport?
Es scheint mehr zu sein, als sich den Rücken schonen zu wollen ?Es bringt mir eine Sicherheit. Was ich jetzt trainiert habe, über jetzt beinah 2 ½ Jahre, ist Konzentration und Gleichgewicht. Dass brauche ich für den Sport, den ich ausübe, Halbmarathon laufen, sicherlich nicht. Denn der Sport selbst ist gleichgewichtsfördernd. Aber irgendwie gibt einem dieses Training das Gefühl, dass man seinen Körper beherrscht.
?Gibt es beim Marathon viele in Ihrer Altersklasse??
Ich war letztes Jahr bei einem Marathon. In meiner Altersklasse waren, so glaube ich, sieben dabei.
?Sind Sie immer Marathon gelaufen??
Früher bin ich hin und wieder gelaufen. Mit 45 Jahren habe ich in Norddeutschland den ersten kurzen Triathlon mitgemacht. Er bestand aus 500 Meter Schwimmen, 20 Kilometer Radfahren und 5 Kilometer Laufen.
?Und jetzt??
Als ich mit Erik angefangen habe zu trainieren, sagte er Ich habe eine gute Idee: Nehmen Sie doch am Köln-Marathon teil. Dabei habe ich entdeckt, wenn man ein Ziel hat, dann trainiert man ganz anders. Nämlich permanent. Viele sagen, ach, Sie müssen nicht am Marathon teilnehmen. In Ihrem Alter, ist doch
?Hat Sie der Ehrgeiz gepackt??
Nein, es ist kein Ehrgeiz! Wenn man weiß, am 21. Mai ist der Halbmarathon in Thüringen, und der innere Schweinehund sagt: Ach, bleib mal liegen-“ ,dann sage ich mir: Nein! Ich will heute raus. Denn am 21. Mai will ich in der besten Form meines Lebens sein! Auch wenn 8.000 Leute laufen und ich vielleicht der 7115te bin, ist es kein Siegergefühl im Sinne vom Ranking, aber es ist ein tolles Gefühl. Dann die halbe Stunde nach dem Lauf. Das Gefühl ist der Lohn dafür, dass ich ein halbes Jahr lang meinen inneren Schweinehund bekämpft habe (lacht). Sonst hätte ich längst gesagt: Komm, das musst du nicht machen!
?Sport und Ziele setzten hält jung. Was haben Sie als nächstes vor?
In der Westsahara gibt es einen von der Regierung vor vielen Jahren vertriebenen Stamm, die Sahauris. Leute aus Deutschland organisieren dort jedes Jahr um Februar, März herum, einen 21-Kilometer-Halbmarathon. Man muss 300 bis 400 Euro stiften, als Startgeld sozusagen. Das Geld geht an diesen Stamm. Schade, ich weiß nicht mehr, wie sie heißen. Es ist ziemlich interessant. Das möchte ich gerne mal machen. Erstens weil ich gerne da bin, wo es warm ist. Zweitens, weil man in dem Augenblick, in dem man durchstartet, etwas Gutes für die Leute tut, die dort in armseligsten Verhältnissen leben. Und drittens tut man sich selbst was Gutes. Was kann man Besseres tun?
Das klingt nach einer Win-Win-Situation! Und außerdem?
?Ich möchte im Mai den Marathon in Thüringen laufen und dieses Jahr wieder am Köln-Marathon teilnehmen. Für mich ist das Laufen ein Mittel zum Zweck. Dem Zweck, einen gesunden Körper zu haben und meinen Geist zu trainieren. Insbesondere, eine vernünftige Sauerstoffversorgung des Gehirns sicher zu stellen. Das ist eigentlich (lacht) mein zentraler Punkt.
?Mit 75 befinden sich viele in Rente. Sind Sie noch berufstätig??
Ich habe eine kleine Firma.
?Das möchten Sie so lange wie möglich machen??
Das mache ich so lange wie möglich. Ich finde, man sollte Leuten, die länger als 65/67 arbeiten wollen, nicht unbedingt Steine in den Weg werfen. Das hat sich Gott sei Dank geändert. Für mich heißt es: So lange ich das Gefühl habe, ich kann was tun, ich kann etwas bewirken, etwas Neues schaffen, möchte ich gerne arbeiten. Mens sana, in corpore sano, ein gesunder Geist in einem gesunden Körper.
?Was hat sich noch in der heutigen Gesellschaft verändert??
Jeder kann, wenn er will, als jugendlicher Sport treiben. Das ist eine ganz große Errungenschaft der heutigen Gesellschaft. Früher war Sport ein Privileg der oberen Gesellschaftsklassen, heute kann jeder fast jeden Sport ausüben. Manchmal läuft der Tag nicht so, wie man es gerne hätte. Wenn ich angeknackst bin, gehe ich laufen, und wenn ich zurückkomme geht es mir besser. Beim Laufen werden Glückshormone ausgeschüttet.
?So wie bei Schokolade!?
Genau! Die einen essen sie nur, hier arbeitet man selbst daran. Das erinnert mich an die Fußballweltmeisterschaft in Paris. Auf dem Titelblatt der Le Monde war folgender Cartoon zu sehen: Jemand sitzt in der Badewanne, so ein Brocken von Mann, mit einer Bierflasche in der Hand. Am Ende der Badewanne steht ein Bildschirm. Auf der Badewanne stehen auf einem Brett, leere und volle Bierflaschen. Auf dem Bildschirm sieht man Fußballspieler In der Sprechblase steht: Beweg dich doch, du faule Sau! So ist es ja leider oft.
?Wie lange möchten Sie noch trainieren? Bis 120 ??
(lacht) So lange wie ich kann. Ich habe mir kein Limit gesetzt. Jetzt komme ich langsam in ein Alter, das man Alter nennen kann. Mal sehen
?Ich finde das sehr inspirierend. Vielen Dank für dieses Gespräch!
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