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Kolumne

M&F

Donnerstag, 9. Mai 2013 | Text: Wassily Nemitz

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

„Nachts kann man kaum noch durch den Stadtpark gehen – Denn Männer und Frauen sind das nackte Grauen, wie sie sich stundenlang tief in die Augen schauen“, sangen vor nicht allzu langer Zeit die Ärzte in ihrer Single „M&F“. Für sie wären das ländliche Afrika und Kgautšwane das Paradies: Einen Stadtpark gibt es erst gar nicht – und Beziehungen zwischen Mann und Frau, die über reine Freundschaft hinaus gehen, sind in der Öffentlichkeit tabu.

Ich unterrichte Englisch in einer siebten Klasse – durch häufiges Sitzenbleiben sind die Kinder zum Teil 15 oder 16 Jahre alt. Eines Tages herrschte Aufregung in meinem Büro: Eine Kollegin hatte eine 15-Jährige und ihren Freund aus der benachbarten weiterführenden Schule gesehen, wie sie händchenhaltend die Straße entlang gingen. Sie fühlte sich belästigt – und beschwerte sich bei den beiden. Und da steht nun der Schüler in Demut versunken bei uns im Büro und überreicht der Kollegin einen Brief, in dem er sich offiziell bei ihr entschuldigt. Sie nimmt an, er darf gehen.

„Nachts kann man kaum noch durch den Stadtpark gehen – Denn Männer und Frauen sind das nackte Grauen, wie sie sich stundenlang tief in die Augen schauen“, sangen vor nicht allzu langer Zeit die Ärzte in ihrer Single „M&F“. Für sie wären das ländliche Afrika und Kgautšwane das Paradies: Einen Stadtpark gibt es erst gar nicht – und Beziehungen zwischen Mann und Frau, die über reine Freundschaft hinaus gehen, sind in der Öffentlichkeit tabu.

Ich unterrichte Englisch in einer siebten Klasse – durch häufiges Sitzenbleiben sind die Kinder zum Teil 15 oder 16 Jahre alt. Eines Tages herrschte Aufregung in meinem Büro: Eine Kollegin hatte eine 15-Jährige und ihren Freund aus der benachbarten weiterführenden Schule gesehen, wie sie händchenhaltend die Straße entlang gingen. Sie fühlte sich belästigt – und beschwerte sich bei den beiden. Und da steht nun der Schüler in Demut versunken bei uns im Büro und überreicht der Kollegin einen Brief, in dem er sich offiziell bei ihr entschuldigt. Sie nimmt an, er darf gehen.

Ich sitze im Bus. Vollbesetzt geht es von der kleinen Stadt Burgersfort zurück nach Kgautšwane. Neben mir betrunkene Männer, in der Reihe davor zwei jüngere Frauen. Einer der Männer steht auf, bedrängt die beiden, quetscht sich zu ihnen auf den Sitz. Die beiden wehren sich heftig verbal, doch er bleibt hart. Schließlich schieben sie ihn vom Sitz, er torkelt weiter. Die Busfahrerin bremst, er wird durch den Bus geschleudert. Er schreit herum, erklärt, Frauen seien grundsätzlich zum Fahren ungeeignet und schwankt nach vorne. Irgendwann steigt er aus, bis nach vorn hat er es nicht geschafft.

Beziehungen zwischen Mann und Frau dürfen nicht gezeigt werden – doch die Rolle des Mannes ist weitaus dominanter: Ein Er darf sich mehr erlauben als eine Sie. Ganz am Anfang des Freiwilligendienstes gehen wir zu dritt die Straße entlang, aus einer Taverne kommt ein junger Mann heraus. Er steuert direkt auf Alexandra, eine meiner Mitfreiwilligen zu, zeigt auf sie und sagt: „I want you to be part of my life! I want to marry you!“. Unerfahren und naiv, wie wir am Anfang waren, lassen wir uns auf ein Gespräch ein. Oskar, wie er heißt, verfolgt uns bis ins Center, setzt sich zu uns an den Essenstisch. Alexandra versteckt sich in ihrem Zimmer; irgendwann zieht er ab; mit der Ankündigung: „I will come back!“.

Was bei uns in den 1950er Jahren schon anfing, altmodisch zu werden, ist hier nach wie vor gang und gäbe. Bitte ich eine meiner weiblichen Kollegen um Hilfe bei etwas, das über eine kleine Gefälligkeit hinaus geht, heißt es gleich: „I have to ask my husband first!“.

In der „Secondary School“, in der meine Mitfreiwilligen Max, Malte und Anne arbeiten, ist das Rollenbild ebenfalls ganz klar. Kommen die Kollegen morgens ins Büro, begrüßen sie meist ausschließlich die Jungs. Anne berichtete mir von einer Situation, in der sie mit Max am Tisch saß. Ein Kollege kam herein, erklärte Max etwas und sagte zum Schluss: „You can also tell Ann!“.

Die südafrikanische Verfassung gilt als eine der fortschrittlichsten der Welt, Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen wird großgeschrieben. Gerade in ländlichen Bereichen ist diese Verfassung aber nur ein Stück Papier. Selbst wenn es in den Regelschulen Bemühungen gibt, die Schüler zu mehr Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau zu erziehen, wird das alles wieder zunichte gemacht.

 

Denn: Es gibt in den Ferien so genannte „Summer-„ bzw. „Winterschools“, die von kulturellen Vereinigungen in den Bergen abgehalten werden und die Kinder dazu animieren sollen, ihre Kultur auszuleben. Offiziell redet darüber keiner, aber was ich gehört habe, ist erschreckend: Die Mädchen sollen dort in jungen Jahren beschnitten werden  (erkennbar sind sie an einem ins Gesicht eingeritzten Kreis), die Jungen dazu erzogen werden, gegenüber Frauen eine Vormachtstellung einzunehmen. Schlagen und häusliche Gewalt werden dort angeblich als Mittel der Erziehung gut geheißen und weitergegeben.

Es gibt wenig Möglichkeiten herauszufinden, was davon wahr ist und was Legende. Fakt ist: Häusliche Gewalt, auch zwischen Mann und Frau, ist nach wie vor ein großes Problem hier, die Dunkelziffer ist hoch. Ist einmal geheiratet und die Beziehung damit offiziell, gibt es für das Paar mehr Freiheiten. Die beiden ziehen sich dann aber meist in ein eigenes Haus zurück, was dann dort passiert, darüber hat die übrige Familie keine genaue Kenntnis mehr.

Gegenüber diesen tief verwurzelten kulturellen Gepflogenheiten ist der offizielle Staat häufig machtlos, die Menschen sind seit Jahrzehnten davon überzeugt. Vielleicht können wir Freiwillige einen kleinen Beitrag dazu leisten, den Schülern den Blick für ein – nach westlichem Verständnis – modernes Rollenbild zu vermitteln.

Angesichts dieser Dinge erscheint mein eigener Konflikt mit der Kultur eher klein: Ich bin seit Anfang des Jahres mit meiner Mitfreiwilligen Anne zusammen – auch wenn wir uns einbilden, die Kultur zu jeder Zeit respektiert zu haben, führt das zu Problemen mit unserer Gastmutter Mama Clara; sie hat von Anfang an die Devise gesetzt: „No relationship!“. Aber: Wir sind in zehn Wochen weg, die anderen Menschen in Kgautšwane bleiben. Auch wenn es mir schwerfällt, das muss ich mir klar machen. Und in Deutschland werde ich noch oft genug Gelegenheit haben, nachts in den Stadtpark zu gehen wo Männer und Frauen sich (den „Ärzten“ zufolge) stundenlang tief in die Augen schauen.

Text: Wassily Nemitz

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